Overthinking Everything

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Es war anders als vor ein paar Monaten, als Uli und ich uns schon einmal getrennt hatten. Damals hatte ich viel zu tun gehabt, was mich abgelenkt hatte. Jetzt starrte ich vor allem abwechselnd nüchtern und high Löcher an die Decke meines Hotelzimmers. Ab und zu war ich auch betrunken, aber das versuchte ich zu vermeiden, weil ich dann nur sentimental und anschließend aggressiv wurde und mich am nächsten Tag für mich selbst schämte.

Ich hatte eine kleine Garage angemietet und dort meinen Krempel verstaut, den ich aus der Wohnung mitgenommen hatte. Natürlich hatten Uli und ich uns gestritten, als ich zum Ausräumen gekommen war. Wie hätte es auch anders sein können. Ich sollte dies dalassen und jenes, anderes hingegen sollte ich unbedingt mitnehmen, weil sie es eh nie gemocht hätte. Sie war zu einem richtigen Wutball an diesem Tag geworden und ich war froh, als ich die Tür hinter mir zumachte.

Was jedoch der eigentliche große Unterschied zu unserer Trennung vor ein paar Monaten war, hieß Smudo und meldete sich weiterhin nicht bei mir. Ich hatte ihn bei der Trennung bewusst außen vor gelassen. Smudo war auch nicht der Grund für unsere Trennung. Er war vielleicht ein Anlass, aber die Ursachen saßen tiefer.
Ich stellte mir viele Fragen in den Tagen im Hotelzimmer. Teilweise hatte ich das Gefühl, mein Kopf würde platzen oder die ganze Welt würde zerbersten, weil ich sie mit meinen Gedanken zerdacht hatte. Ich stellte alles in Frage und bekam trotzdem keine Antworten.

Was macht man mit Anfang 50, wenn man gerade seine Frau verlassen hat, die Band voraussichtlich am Arsch ist und man zu allem Überfluss auch noch... Gefühle für seinen besten Freund hat, die man eigentlich gar nicht haben dürfte. Wenn man in jede alte Nachricht, die er gesendet hat, etwas reininterpretiert, was vielleicht gar nicht gemeint war. Wenn man alte Gespräche im Kopf durchgeht, die auch komplett anders hätten verlaufen sein können, wenn man die Worte anders interpretierte.

Ich konnte meinen Kopf nicht davon abhalten, nach den kleinsten Zeichen zu suchen, die mir Hoffnung machten, dass ich nicht der einzige war, dem es so ging. Ich hielt das Foto von der Hochzeit, auf dem Smudo und ich zu sehen waren und das ich zwischen Unterlagen wiedergefunden hatte, sehr oft in der Hand. Betrachtete uns, versuchte seinen Blick zu deuten. Es wäre so viel einfacher gewesen, wenn Miriam in Smudos Leben nicht existieren würde. Und wenn sich Smudo endlich mal bei mir melden würde.
Denn wie oft ich auch darüber nachdachte, Smudo hatte sich bewusst für sie entschieden, das konnte ich nicht leugnen.

Bei jeder Benachrichtigung meines Handys hoffte ich, dass Smudo mir geschrieben hatte, doch es waren fast immer sinnlose E-Mails diverser Newsletter, auf die ich auch verzichten konnte.

Verschlafen wachte ich eines Morgens - wohl eher Mittags, wie ich mit Blick auf die Uhrzeit feststellte - auf. Der erste Griff ging routinemäßig zu meinem Smartphone. Vor Aufregung ließ ich es beinahe fallen, als ich den Bildschirm anschaltete. Ich hatte eine Nachricht von einer unbekannten Nummer auf meiner Mailbox.
Hektisch tippte ich auf dem Display herum, um die Nachricht abzuhören. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich die Stimme des Sprechers erkannte.

„Hey Michi, hier ist Smudo. Also ich... ich habe jetzt endlich ein neues Handy. Und ne neue Nummer und alles. Das alte hatte... einen Wasserschaden und da ging gar nix mehr. Also ich... keine Ahnung, ob du mir noch was geschrieben hattest, aber... Ich hab lange nichts von dir gehört und so langsam... So langsam vermisse ich dich."
An dieser Stelle folgte eine Pause.
„Also wieso ich anrufe... Miri und ich sind wieder zusammen und sie scheint euch das nicht mehr übel zu nehmen, was ihr da abgezogen habt. Was hältst du von einem Doppeldate? Uli, du, Miri und ich. Vielleicht können wir nochmal von vorn anfangen und ihr gebt ihr noch eine Chance. Mir hat sie ja auch noch eine gegeben..."
Ich dachte schon, dass es das war, da nur Stille zu hören war, doch statt der Mailboxansage, wann ich diese Nachricht erhalten hatte, folgte noch etwas von Smudo:
„Es tut mir leid, Michi. Ich hätte dich schon viel eher zurückrufen sollen, aber es... es ging einfach nicht, ja? Ich hab ein schlechtes Gewissen. Lass mich das bitte wieder gutmachen."
Mein Kopf war wie leergefegt.
„Empfangen: heute um vier Uhr sechsunddreißig. Ende der letzten Nachricht", nahm ich nur an Rand war.

Er vermisst mich? Und was soll das mit dem Wasserschaden? Das glaubt er doch wohl selbst nicht, so wie er das gesagt hat. Er hat ‚Zurückrufen' gesagt, also muss er doch wissen, dass ich ihn versucht habe, anzurufen. Er hat gesagt, dass er mich vermisst! Und er hat mich mitten in der Nacht angerufen!

Vor lauter Euphorie hörte ich mir seine Nachricht noch einmal an. Er klang merkwürdig zurückhaltend und sprach auffällig leise. Warum hatte er mich 4:36 Uhr angerufen? Jeder normale Mensch schlief um diese Uhrzeit schon!

Das mit dem Doppeldate wird wohl nichts. Jetzt muss ich es ihm sagen, dass Uli und ich nur noch auf dem Papier zusammen sind. Dann lassen wir eben die Frauen weg und machen aus dem Doppeldate ein Date. Nur er und ich... Okay, Schluss mit dem Quatsch.

Mein Daumen war schon fast dabei, auf anrufen zu tippen, als mir durch den Kopf ging, dass Smudo vielleicht nicht ohne Grund so leise gesprochen und mich zu dieser ungewöhnlichen Uhrzeit angerufen hatte. Die Frage war nur: Warum?

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt