Was bleibt

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„Hat's dir die Sprache verschlagen?", fragte ich.
Ulis Augen waren glasig. Dieses Gespräch hatte eine ganz andere Dimension angenommen, als sie beabsichtigt hatte, da war ich mir sicher. Aber ich konnte das nicht mehr länger - so zu tun, als ob alles wieder gut werden würde.
Ich seufzte.
„Ich weiß, du willst das nicht hören... Aber wir waren doch eigentlich nur wegen dem Sex wieder zusammen. Und aus Gewohnheit. Und Bequemlichkeit."
Uli schüttelte den Kopf. Sie schien nun ebenfalls zu merken, in welche Richtung sich unser Gespräch bewegte.
„Nein. Michi. Mach das nicht. Michi!"
Sie griff nach meinen Armen und ich ließ sie regungslos gewähren. Mein Kopf war gesenkt, mein Blick auf nichts besonderes gerichtet.
„Wer weiß, ich glaube, das hätte sogar funktioniert. Wir hätten funktioniert", murmelte ich.
In meinem Hals hatte sich ein Kloß gebildet. Wut stieg in mir auf - ohnmächtige Wut, weil ich die Zeit nicht zurückdrehen konnte. Ich hob den Kopf an und blickte geradewegs in Ulis verzweifeltes Gesicht.
„Du warst alles für mich. Weißt du, wie sehr ich dich geliebt habe??"

Eine einzelne Träne rann Ulis rechte Wange herunter.
„Du hast alles kaputt gemacht!", sagte ich laut. Meine Worte transportierten all die Enttäuschung, all den Frust, die sich in mir befanden. „Du hast..."
„Ich?", unterbrach mich Uli, „Ich habe alles kaputt gemacht? Fass' dir doch erstmal an die eigene Nase! Eine Beziehung zu führen, bedeutet auch, füreinander da zu sein. Und nicht immer nur für seinen besten Freund."

Das wirft sie mir jetzt nicht wirklich vor.

„Immer nur, immer nur. Warum fällst du mir damit in den Rücken? Ich dachte, man unterstützt sich gegenseitig und nimmt die Sorgen und Probleme des anderen ernst. Und mal abgesehen davon, dass es mir eben nicht am Arsch vorbeigeht, dass mein bester Freund mich seit Wochen ignoriert, meldet er sich auch nicht bei der Band. Und da hängen weiß Gott mehr als nur wir vier dran. Wenn Smudo das Handtuch wirft, sind wir alle am Arsch. Du genauso wie ich."
Ich war überrascht, wie rational ich das ganze hier gerade betrachtete. Eigentlich kochte es in mir.
„Oh und dann wird die Presse wissen wollen, woran es liegt, dass Smudo kein Interesse, kein Vertrauen mehr in die Band hat. Ich bin gespannt, wie lange es dann dauert, bis dein Name fällt. Was denkst du... Zwei Tage? Drei? Vielleicht vier?"

Ulis Mund stand offen.
„Aber das weißt du ja. Stimmt doch, oder?", meinte ich verächtlich. „Ich kann dir das nicht verzeihen. Ich kann's einfach nicht! Wie soll ich dir jemals wieder vertrauen können? Unabhängig davon, ob Smudo wieder zu Verstand kommt. Wie? Wie, Uli? Sag's mir!"
Mit beiden Händen hielt ich sie an ihren Oberarmen fest und zwang sie durch meine Nähe, mir in die Augen zu sehen.
„Ich weiß es nicht", sagte sie leise. Sie wendete ihren Blick von mir ab und wischte sich durch ihr rechtes Auge.

„Scheiße."
„Das kannst du laut sagen."
Und dann fasste ich einen Entschluss, der schon seit Wochen in mir gereift war. Ich hatte nur nicht den Mut gehabt, das endlich durchzuziehen. Endlich einen Schlussstrich zu setzen.
Ich hielt Uli fest, ein letztes Mal. Ein allerletztes Mal. Meinen Kopf lehnte ich seitlich an ihren. Ihr Körper bebte.
„Ich will das hier nicht mehr."
Ein Schluchzen von Uli.
„Warum nicht?"
„Ich kann nicht. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich gar keine Gefühle mehr für dich habe. Dafür kenne ich dich vielleicht auch zu lange..." Ich machte eine kurze Pause und überlegte, wie ich es ihr am besten erklären könnte. Denn nichts war frustrierender, als nicht zu wissen, warum man verlassen wurde. „Aber wir machen uns beide mehr Probleme, als uns gut tut. Ich schaff's nicht, dir zu verzeihen und dir wieder zu vertrauen. Und ich kann nicht nur mit dir zusammen sein, weil wir guten Sex haben. Dafür bin ich nicht der Typ und das weißt du."

Ich wusste genau, was meine Worte in Uli auslösten. Sie musste es geahnt haben, da war ich mir sicher. Aber es war immer nochmal etwas anderes, wenn man den Schritt dann letzten Endes wagte, als wenn man nur darüber nachdachte.
Mir ging das auch sehr nah. Diese Trennung war anders als unsere letzte. Damals waren wir im Streit auseinander gegangen, ohne noch einmal zur Ruhe zu kommen, ohne zu realisieren, was das bedeutete - dass es kein wir mehr gab. Im Zorn war ich damals gegangen.
Jetzt wollte ich unserer gemeinsamen Zeit ein wenig mehr Respekt entgegenbringen und gab Uli Gelegenheit, meine Worte zu verarbeiten.
Während sie sich an mir festklammerte, liefen mir stumm einzelne Tränen über die Wangen.

„Ich wusste es... Ich habe nur gehofft, dass ich mich irre", nuschelte sie an meine Schulter. „Aber es geht nicht mehr, das... das weiß ich auch."
Sie schniefte.
„Aber es tut trotzdem so verdammt weh!"

Während ich Uli weiterhin festhielt, zog ich mir meinen Ehering vom Ringfinger. Es fühlte sich sofort so an, als würde etwas fehlen, doch ich wusste, dass ich mich schneller daran gewöhnen würde, als mir jetzt im Moment bewusst war. Ich drehte den Ring kurz in meiner Hand, dann schloss ich diese mit dem Ring darin zu einer Faust.
„Ich packe jetzt ein paar Sachen zusammen, den Rest hole ich im Laufe der Woche, ja? Ich glaube, es ist besser, wir sehen uns für eine Weile nicht", sagte ich leise und mit geschlossenen Augen.
Ulis Kopf neben meinem bewegte sich, was ich als Nicken identifizierte. Ich schluckte, wischte mir kurz über die Augen und sah dann Uli an. Musterte ihr Gesicht - ihre Augenbrauen, ihre braunen Augen, ihre Nase, ihre Wangenknochen und ihre Lippen, ein allerletztes Mal. Eine Strähne ihrer lockigen Haare fiel ihr ins Gesicht und ich strich sie ihr aus Gewohnheit hinters Ohr, ein allerletztes Mal. Ich griff nach ihrer Hand und umfasste sie mit meinen eigenen Händen.

Unser letzter Kuss schmeckte salzig durch die Tränen auf unserer Haut. Er war zärtlich und ohne Hast. Langsam schloss ich ihre Hand um meinen Ehering. Wir lösten unsere Lippen voneinander, ein allerletztes Mal. Und dann war es vorbei.

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(Ich habe mich mit den letzten beiden Kapiteln extrem schwer getan. Uli und Michi gehören in meinem Kopf einfach zusammen. Ich bewundere die beiden, vor allem als Paar. Dann aber zu schreiben, dass sie sich trennen (auch wenn das hier alles nur ausgedacht ist), ist mir wirklich schwer gefallen. Also seid bitte ein wenig nachsichtig mit mir, wenn ihr euch die Trennungsszene etwas anders vorgestellt hättet.
Und ja, Michi geht hier fast gar nicht auf die Vorwürfe von Uli ein, was er für Fehler gemacht hat. Er hat ihr ihre Worte einfach im Mund rumgedreht. Ich bin einfach froh, dass ich diese Szene hinter mich gebracht habe und deshalb ändere ich jetzt auch nichts mehr daran.)

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt