Wohnst du noch?

60 5 2
                                    

Der Alltag hatte uns schneller wieder eingeholt, als uns lieb war, aber das neu gewonnene Selbstvertrauen und die Gewissheit, dass uns zusammen niemand etwas anhaben konnte, blieben. Neben der Arbeit im Studio und den Weihnachtseinkäufen suchten wir online nach Wohnungen, die unseren Vorstellungen entsprachen. Das gestaltete sich gar nicht so einfach, aber es machte Spaß, mit Smudo unsere gemeinsame Zukunft zu planen. Nachdem wir beide eine ungefähre Vorstellung davon hatten, wie die Wohnung sein sollte und was uns jeweils wichtig war, machten wir uns nach der Arbeit oder zwischendurch an die Wohnungsbesichtigungen. Wenn wir es einrichten konnten, gingen wir natürlich zusammen hin, aber ab und an nahmen wir auch abwechselnd die Termine wahr. Es war immer gut, sich die Wohnungen nochmal vor Ort anzuschauen, da ja auch das Drumherum eine Rolle spielte. Auch wenn der Schnitt der Wohnung an erster Stelle stand, waren Dinge wie die Helligkeit, Lärm durch die Straße oder andere Ursachen und nicht zuletzt die Breite des Treppenhauses auch nicht von der Hand zu weisen. Letzteres war vor allem für den Umzug wichtig. Was nützte es uns, wenn wir die perfekte Wohnung fanden und dann daran scheiterten, dass die Couch zu breit für das Treppenhaus war?

Ich ertappte mich mehrfach dabei, wie ich tagträumend in den leeren Wohnungen stand und mir vorstellte, wie es sein würde, mit Smudo hier zu wohnen. Wie wir beide früh grummelig am Frühstückstisch sitzen oder abends unter einer Decke auf der Couch chillen würden. Wo wir meine Plattensammlung oder Smudos Rennsimulator unterkriegen konnten. Wie wir einen lauen Sommerabend auf dem Balkon verbringen könnten. Einmal stand ich an einem Fenster und sah dem Schnee draußen zu, wie er vom Wind durch die Luft gewirbelt wurde. Smudo stellte sich hinter mich und massierte mir sanft meinen Nacken.
„Und?", fragte er leise.
„Schön", brummte ich.
„Mir gefällt sie auch, aber die gestern war auch nicht schlecht...", überlegte er leise.
Ich stimmte ihm zu. Bereits zwei Tage später fanden wir eine Wohnung, die uns noch besser gefiel.

Von Zeit zu Zeit hatten wir auch mit Vermietern zu tun, die offensichtlich kein schwules Paar in ihren Räumen wohnen haben wollten. Einer erklärte uns allen Ernstes, dass wir die Wohnung nur bekommen konnten, wenn wir zwei getrennte Schlafzimmer einrichten würden, um sicherzugehen, dass wir keine ekligen Dinge miteinander machen würden. Wir beendeten die Wohnungsbesichtigung auf der Stelle und verließen die Wohnung demonstrativ Hand in Hand. So etwas mussten wir uns nun wirklich nicht bieten lassen.
Aber zum Glück waren nicht alle so komisch in ihrem Kopf wie dieses eine besonders dämliche Exemplar von Vermieter. Einige erkannten uns und waren wirklich überrascht, aber ließen sich auch ausnahmslos dazu überreden, es nicht gleich an die große Glocke zu hängen.

Abends redeten wir über die Wohnungen und erzählten uns von den Wohnungen, die der jeweils andere nicht gesehen hatte. Natürlich waren wir nicht immer die einzigen, die einen Wohnungsbesichtigungstermin wahrnahmen. Manche Paare waren ähnlich euphorisch wie Smudo und ich, aber teilweise war es auch erschreckend zu sehen, wie andere Paare miteinander redeten. Gern hätte ich sie gefragt, ob sie sich das mit dem Zusammenziehen gut überlegt hatten. Smudo amüsierte sich über mich und anscheinend konnte er mein Gesicht so gut lesen, dass er ab und an stark an sich halten musste, um nicht über meine Reaktionen auf die Gespräche der anderen Kandidaten für die Wohnung zu lachen.

Ein Termin, zu dem Smudo nicht mitkommen wurde, wurde aus ganz anderen Gründen sehr unterhaltsam. Ich war spät dran und die Besichtigung musste schon losgegangen sein, denn vor der Haustür stand niemand mehr. Also klingelte ich und hetzte dann die Treppe hoch. Ich staunte nicht schlecht, als ich unter mehreren Stimmen die meiner Ex-Frau durch das Treppenhaus hallen hörte.

Na klar. Sie ist doch auch auf Wohnungssuche. Das wird lustig.

„Das ist ein Witz, oder?", sagte Uli, als sie mich sah.
Ihr Mund stand offen, dann lachte sie kurz und schüttelte den Kopf.
„Schön, dich zu sehen", meinte ich leise, als ich sie kurz umarmte.
„Gleichfalls", sagte sie und lächelte.
Wir wendeten uns dem Vermieter zu, der irgendetwas erzählte und mein späteres Auftauchen gar nicht thematisierte. Von der Seite beobachtete ich Uli kurz. Ich wollte den Blick direkt wieder abwenden, doch sie fing meinen Blick auf. Sie sah besser aus als das letzte Mal, als ich sie gesehen hatte. Mit mehr Zuversicht im Blick und mehr Farbe im Gesicht. Ich merkte, dass sie mich ebenfalls musterte und dann wurde mir bewusst, dass wir uns anstarrten. Räuspernd beendete ich diesen merkwürdigen Moment zwischen uns.
„Wie geht's dir?", fragte ich sie flüsternd, während sich die kleine Gruppe von insgesamt fünf Personen inklusive des Vermieters weiterbewegte.
„Besser. Viel besser", antwortete sie ebenso leise.
Ihr Lächeln war offen und ehrlich.
„Und dir?"
„Könnte nicht besser sein."
„Wie war der Urlaub?"
„Toll. Wirklich wahnsinnig schön."
„Wo hast du denn Smud..."
Ein lautes Räuspern und ein tadelnder Blick des Vermieters ließen unser Gespräch verstummen.
„Sorry", sagte ich und nickte ihm zu.
Er nahm seinen Redefluss wieder auf und Uli und ich warfen uns einen kurzen Blick zu, um zu klären, dass wir das später besprechen würden.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt