Kartenhaus

102 4 4
                                    

„Hi. Ich bin's... Mal wieder. Du hast immer noch nicht eine Nachricht von mir gelesen. Das ist doch scheiße, Smu."

„Deine Mailboxansage ist totaler Bullshit. Du rufst mich überhaupt nicht zurück."

„Ich hab zu viel getrunken. Alleine trinken ist Mist. Max macht den Umsatz seines Lebens mit mir... Du solltest auch hier sein. Ich... ach egal."

„Da du dir das ja eh nicht anhörst... Du fehlst mir... Ruf mich bitte an."

„Hat sie dir eigentlich das Hirn aus dem Schädel gepoppt? Du kannst doch nicht jede Bandprobe sausen lassen, nur weil du ein Problem mit mir hast! Thomas nervt mich, was denn los wäre. Würde mich übrigens auch mal interessieren. Aber bist dir ja zu fein, dich bei uns mal zu melden."

„Smu. Komm schon. Gib dir'n Ruck."

„Hi, hier ist Michi... Ach, ist doch alles scheiße."

Seit drei Wochen hatte ich keinen Ton mehr von Smudo gehört, wenn man von seiner Ansage für die Mailbox, die ich mittlerweile nicht mehr hören konnte, ab sah. Meine Abende verbrachte ich größtenteils bei Max in der Bar, der nach meinen ersten Besuchen keine Fragen mehr stellte und mir stattdessen kommentarlos neue Getränke vor die Nase setzte. Wenn ich nicht gerade in der Bar saß, hockte ich zuhause in meinem Arbeitszimmer, in welchem ich den Rauchmelder abgestellt hatte. Der Rauch von normalen und Sportzigaretten hätte sonst bereits mehrfach den Rauchmelder aktiviert und für Überschwemmungen gesorgt.

Uli und ich redeten nicht mehr wirklich viel miteinander. Ich ging ihr und somit außerdem einem längst überfälligen Gespräch aus dem Weg. Wir hatten keinen Sex mehr und stritten uns nicht einmal mehr. Ich fühlte mich leer. Allein. Unverstanden. Aber ich verstand mich selbst nicht mal wirklich. Meine Gefühlswelt stand Kopf. Am liebsten hätte ich mir das Herz aus der Brust geschnitten, weil es mich in diese verzwickte Situation gebracht hatte. Mir fehlte nicht nur das Gefühl für Uli, mir fehlte auch der Wille, es überhaupt zu suchen.

Smudo war dagegen allgegenwärtig in meinem Kopf und in meinem Herzen. Er fehlte mir. Ich fühlte mich verarscht von ihm. Ich war immer für ihn da und jetzt, wo ich Smudo gebraucht hätte, ließ er mich hängen. Mehr als das - er ignorierte mich gekonnt. Als wäre ich ihm überhaupt nicht mehr wichtig. Das hätte mich auch sonst wahrscheinlich beunruhigt, denn das war mehr als untypisch für ihn. Aber jetzt, mit all meinen verwirrten Gefühlen in der Brust, bescherte es mir schlaflose Nächte. Ich sehnte mich nach ihm. Nach seinem Lachen, seinen wunderschönen Augen und seiner Nähe.

Es war ein Dienstag, als Uli und ich mit unseren Dickschädeln mit heftigen Konsequenzen aneinander rauschten.
„Wo willst du hin?", verlangte Uli zu erfahren, als ich gerade die Tür zum Flur öffnete. Sie musste irgendwo hinter mir stehen. Seufzend drehte ich mich zu ihr um. Ich hatte eigentlich gehofft, dass sie gar nicht bemerken würde, wie ich kurz verschwand. Uli hatte die Arme vor der Brust verschränkt und warf mir einen skeptischen Blick zu.
„Zu Smudo", sagte ich knapp und wendete mich wieder der Tür zu.
„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?", fragte Uli völlig entsetzt.
Ich hielt in der Bewegung inne und runzelte die Stirn. Was war denn bitte so schlimm daran, dass ich zu Smudo fuhr?
„Natürlich ist das mein Ernst", antwortete ich genervt und drückte die Klinke nach unten.
Ulis Hand, die meinen Arm wegzog, hielt mich davon ab, die Tür zu öffnen.
„Man, was ist denn? Jetzt lass mich fahren, verdammt!"
Ich war unbeabsichtigt ziemlich laut geworden, aber das war mir eigentlich auch egal. Zornig blickte ich in Ulis Gesicht, die ihrerseits grummelig dreinschaute.
„Du merkst das gar nicht, oder?", fragte sie.
„Was?"
„Es geht immer nur um Smudo bei dir. Smudo hier, Smudo da. Smudo meldet sich nicht, Smudo kommt nicht zur Probe, Smudos Freundin ist Mist, Smudo, Smudo, Smudo! Gibt es eigentlich noch andere Menschen in deinem Leben, die dir wichtig sind??"
Die Frage war ein Vorwurf, das konnte ich deutlich heraushören. Ich stöhnte.

Will sie das jetzt wirklich diskutieren? Jetzt?

„Herr Gott nochmal, er ist mein bester Freund und ich mache mir Sorgen um ihn! Er hat sich noch nie so lange nicht bei mir gemeldet! Er geht sogar der ganzen Band aus dem Weg! Das ist doch nicht normal, Uli!", fuhr ich sie an.
Ich hatte jetzt wirklich keinen Nerv, ihr zu erklären, warum ich jetzt zu ihm fuhr. Eigentlich hätte ich das schon viel früher tun sollen.
„Ich weiß, dass er dein bester Freund ist. Aber du hast auch noch eine Frau, Michi! Und um die machst du dir überhaupt keine Gedanken mehr! Dich interessiert es gar nicht, wie es mir geht, was ich denke, ob ich dich brauche. Du gehst mir doch permanent aus dem Weg. Denkst du, ich merke das nicht? Du bist wie ein Geist in diesem Haus! Und jetzt schleichst du dich auch noch heimlich raus? Was soll das, deine ganzen Alleingänge?"

Da platzte mir der Kragen.
„Darf ich dich vielleicht daran erinnern, wessen Alleingang diese ganze Scheiße hier überhaupt erst verzapft hat?"
Ulis Mund ging auf und wieder zu, ohne, dass sie etwas sagte.
„Du bist diejenige, die im Alleingang beinahe Smudos Ruf zerstört hätte, wenn wir nicht so ein bombastisch gutes Management hätten, das die ganzen Gerüchte in kürzester Zeit aus dem Weg geräumt hat. Aber weißt du, was mich richtig ankotzt?" Ich machte eine kurze Pause, doch Uli gab keinen Ton von sich. „Du stehst nicht einmal zu deinem Fehler. Ich musste das ausbaden! Ich! Und blöd, wie ich war, hab ich das auch noch gemacht! Einfach so! Weil ich dich geliebt habe, Uli. Weil wir immer ein Team waren und zusammen unschlagbar waren. Und ich wollte dieses Team retten. Ich wollte das so sehr, verdammt!"
Meine Faust landete auf dem Sideboard, das neben mir stand. Diese Wut und Verzweiflung musste einfach raus. Tränen stiegen mir in die Augen, doch für den Moment konnte ich sie noch zurückhalten. Uli stand da wie versteinert und sagte kein Wort. Ich musterte ihr Gesicht, das mir so vertraut war.

Vertrauen, das ist das Stichwort.

„Aber wie soll ich denn jemandem vertrauen, der mein Vertrauen so mit Füßen tritt? Du sagst, dass es mir scheißegal ist, wie es dir geht? Hast du überhaupt eine Ahnung, wo mir im Moment der Kopf steht? Smudo ignoriert mich, die Band, alle. Thomas und Andy sind total angepisst, weil sie mir dafür die Schuld geben, obwohl ich überhaupt nichts dafür kann! Ich wollte deinen Mist wieder geradebiegen, deinen Fehler ausbügeln. Und als Dank dafür habe ich vielleicht meinen besten Freund verloren!"
Ich legte eine Hand an meine Stirn und schüttelte den Kopf.
„Wenn ich ehrlich bin, interessiert es mich gerade wirklich einen Scheiß, wie es dir geht. Ich hab genug eigene Probleme. Na... Stimmt nicht ganz. Ich hab genug eigene Probleme wegen dir."
Verächtlich schaute ich sie an.

Wie war das? Lieber unglücklich zusammen mit Uli als alleine? Was ist denn das für eine bescheuerte Logik? Was hält mich denn noch hier? Das Vertrauen, das nicht mehr existiert? Der Sex, den wir nicht mehr haben? Die Liebe, die schon vor Ewigkeiten erloschen ist?

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt