Der Teufel auf Erden

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Der nächste Supermarkt war mein Ziel. Ich nahm gleich eine ganze Palette an Energydrinks für die nächsten Tage vom Stapel. Auf dem Rückweg würde ich mir einen Döner holen und damit war die Planung meines Abends auch schon abgeschlossen. Mit Kopfhörern im Ohr schlurfte ich durch die Gänge. Cap auf dem Kopf, tief ins Gesicht gezogen - so hoffte ich, von niemandem erkannt zu werden.
Ich stolperte gegen eine andere Gestalt, die mir im Weg stand. Schnell entschuldigte ich mich und wollte den rausgefallenen Kopfhörer wieder ins Ohr stecken, als ich stockte. Ich hörte eine Stimme. Eine mir nur zu gut bekannte Stimme.

„Komm, wir haben davon noch genug zuhause. Wir müssen das nicht mitnehmen", ertönte Smudos Stimme. Er klang genervt.
Schnell schaute ich mich um und entdeckte ihn und seine Olle einen Gang weiter. Wie erstarrt stand ich an der Ecke und beobachtete die beiden. Sie hörte gar nicht darauf, was Smudo gesagt hatte. Stattdessen räumte sie weitere Lebensmittel in den Wagen. Doch als Smudo laut wurde, stand sie ihm in nichts nach. Giftige Worte drangen aus ihrem Mund gut hörbar an mehr als nur an Smudos Ohren.
„Du hast doch die Kohle", „Bin ich dir das denn nicht wert?", „Du gönnst mir ja gar nichts", „Pass lieber auf, was du sagst".
Das waren nur einige und im Vergleich zu anderen Sätzen harmlose Ausführungen der Aussagen, die sie Smudo entgegenwarf. Ihm war die Situation sichtlich unangenehm.
„Jetzt komm mal wieder runter, die Leute schauen schon", versuchte er sie zu animieren, dieses Theater zu beenden. Doch sie nutzte gerade diese Aufmerksamkeit aus, um Smudo kleinzukriegen. Um noch mehr Aufsehen zu vermeiden, gab Smudo nach und widersprach ihr nicht mehr.
Zufrieden stolzierte sie weiter, während Smudo kopfschüttelnd und in sich zusammengesunken den Wagen hinter ihr herschob und so verschwanden sie aus meinem Sichtfeld.

Was zur Hölle war das denn?

Ich war entsetzt. Das war nicht der Smudo, den ich kannte. Meine Vermutungen von gestern Abend hatten sich bewahrheitet. Das war Psychoterror vom Feinsten. Dass er es bevorzugte, mit dieser Person zusammen zu sein, anstatt sie schleunigst auf den Mond zu schießen, war mir ein einziges Rätsel. Es verletzte mich ehrlich gesagt. Das hier war ihm also wichtiger als ich. Gleichzeitig hatte ich ansatzweise sogar ein schlechtes Gewissen, dass ich Smudo geholfen hatte, Frauen kennenzulernen und er ausgerechnet bei ihr gelandet war.

Die Energydrinks wurden langsam schwer in meinen Armen und so machte ich mich - immer noch verwirrt über das, was gerade passiert war - auf den Weg zur Kasse. Die Kopfhörer ließ ich draußen, damit ich Smudo aus dem Weg gehen konnte, wenn ich seine Stimme hören würde.
Elend lange Schlangen befanden sich an allen Kassen. Aber gut, abends und mitten im Stadtzentrum konnte man auch nichts anderes erwarten.
Ich entdeckte Smudo ein paar Kassen weiter links und drehte mich sofort mit dem Rücken zu ihm. Darauf konnte ich gut verzichten, dass er mich hier entdeckte. Mein Plan ging auf: Ich legte die Palette auf das Kassenband und wartete, bis ich dran war. Der Zigarettenschrank neben dem Band war ein guter Sichtschutz und ich atmete erleichtert auf. Jetzt konnte Smudo mich nicht mehr sehen. Ich konnte ihn allerdings immer noch hören, denn dieses Miststück diskutierte immer noch mit ihm.

Das ist doch peinlich, in aller Öffentlichkeit so laut zu streiten, dass ich es selbst drei Kassen weiter noch ohne Probleme verstehen kann!

Mein Einkauf wurde eingescannt und die Kassiererin nannte mir den zu bezahlenden Betrag. Ein wenig abwesend war ich dabei, da Smudo nun wieder in mein Sichtfeld getreten war. Sie wiederholte den Betrag und ich reichte ihr gedankenverloren einen passenden Schein. Smudo fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht und schüttelte den Kopf, als seine Trulla nicht hinsah. Mir fiel auf, dass die Aufmerksamkeit sämtlicher Menschen in einem gewissen Umkreis Smudo und dem Teufel auf Erden galt. Unsicher schaute er sich um. Vielleicht überlegte er, ob ihn schon jemand erkannt hatte.
Unglücklicherweise achtete ich überhaupt nicht darauf, dass ich ihn anstarrte - bis sein Blick an mir hängen blieb.
„Michi?", formten seine Lippen lautlos.
Schnell wandte ich meinen Blick von ihm ab und wartete ungeduldig darauf, dass ich mein Rückgeld bekam.
„Michi!", rief Smudo nun laut.
„Können Sie sich bitte beeilen?", bat ich die Kassiererin.
Sie warf mir einen missbilligenden Blick zu.
„Ach, erst träumen Sie vor sich hin und dann kann es auf einmal nicht schnell genug gehen, ja?", meckerte sie.
„Ja sorry, ich muss jetzt los!"
Die Aufmerksamkeit der Menschen lag nun nicht nur auf Smudo, sondern auch auf mir, da er mich immer noch rief. Ich nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie er sich an den Leuten vor ihm in der Schlange versuchte, vorbeizudrängeln.
Eilig ließ ich mein Rückgeld in der Hosentasche verschwinden, schnappte mir meine Palette, ignorierte Smudos „Michi, bleib stehen! Ich muss mit dir reden!"-Rufe und rannte zum Ausgang des Supermarkts. Atemlos stieg ich in eine Straßenbahn ein, die just in diesem Moment erschien.

Puh. Das war knapp.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt