The Morning After

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Smudo brummte unterdessen leise, was meine Gedanken beruhigte und mich meine unbewusst begonnene Tätigkeit fortführen ließ. Ich stützte mich vorsichtig auf meinen Ellenbogen, sodass sich mein Kopf schräg über Smudos Kopf befand. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen, als ich seinen entspannten Gesichtsausdruck sah. Heute Morgen war alles anders gewesen. Jetzt war alles besser. Unbewusst ließ ich meine Finger nach vorn wandern und zeichnete vorsichtig die Konturen seines Gesichts nach. Ich war vollkommen darin versunken, Smudos Gesicht zu erkunden.

Ob sich seine Lippen genauso weich anfühlen, wie sie aussehen?

„Smu?", flüsterte ich leise, um zu testen, ob er noch wach war.
Ich erhielt keine Antwort und auch keine anderweitige Reaktion, weshalb ich schlussfolgerte, dass er eingeschlafen sein musste. Mit meinem Daumen kreiste ich über Smudos Kinn und ließ die Kreise langsam größer werden, sodass ich seiner Unterlippe immer näher kam. Ich zögerte, da ich mich erneut fragte, was ich hier eigentlich gerade veranstaltete.
Schließlich traute ich mich und fuhr mit meinem Daumen sanft über Smudos Unterlippe.

Ja. Angenehm weich. Sehr angenehm.

Blaue Augen, die plötzlich intensiv in meine blickten, sowie eine Hand, die meine langsam wegzog, holten mich in die Realität zurück. Erschrocken über mich selbst erwiderte ich Smudos Blick und setzte zu einer Erklärung an. Dabei wusste ich nicht einmal, wie ich erklären sollte, was ich gerade getan hatte.
„Shhh", machte Smudo und legte seinerseits seinen Zeigefinger an meine Lippen.
„Schlaf jetzt, Michi", sagte er leise, ohne Hast und ohne Ärger.
Sein Blick war unergründlich. Ich nickte, woraufhin Smudos Finger von meinen Lippen verschwand. Er hinterließ ein Prickeln.
Smudo schloss seine Augen wieder und drehte sich mehr auf die Seite.
Erst, als er auf seine Seite klopfte, bemerkte ich, dass ich wie versteinert in meiner Position verharrt war. Ich schüttelte den Kopf und ließ mich nach unten sinken. Smudos Angebot, meine Hand auf seine Seite zu legen, kam ich zögerlich nach.

Meine Gedanken begannen, sich zu jagen, doch die Auswirkungen des Alkohols bremsten dies und Smudos gleichmäßiger Atem ließ mich zur Ruhe kommen. Ich nahm die Wärme wahr, die Smudos Rücken abstrahlte, spürte seinen ruhigen Herzschlag an meinem Brustkorb, spürte seine Dankbarkeit und fühlte mich mit einem Mal selbst unglaublich... wohl.

Der Geruch von Kaffee beförderte mich am nächsten Morgen aus dem Schlaf. Verwirrt schlug ich die Augen auf und versuchte, mich zu orientieren.

Das ist Smudos Wohnzimmer. Ich muss hier gestern auf der Couch eingeschlafen sein... Oh Gott, Smudo doch auch! Wir beide auf dieser schmalen Sitzfläche?? Und... fuck, was hab ich mir denn bitte mit seinen Lippen gedacht?? Gibt's hier irgendwo ein Loch, in dem ich mich schnellstmöglich vergraben kann?

Ich zog mir die Decke über den Kopf und hoffte, dass das irgendetwas verbessern würde. Natürlich tat es das nicht. Zu allem Überfluss hörte ich, wie jemand das Zimmer betrat und auf mich zu ging. Irgendetwas wurde auf dem Tisch abgestellt und der Geruch von Kaffee verstärkte sich. Eine warme Hand zupfte vorsichtig an der Decke über meinem Kopf.
„Michi... hey, du musst langsam mal aufstehen", erklang Smudos Stimme.
Sie war sanft und leise. Und sie klang in kleinster Weise vorwurfsvoll. Vielleicht hatte Smudo ja vergessen, was ich gestern Abend veranstaltet hatte.
„Ich hab Kaffee gemacht", sagte Smudo.
Plötzlich spürte ich, wie seine Hand leicht über die Stelle fuhr, an der offensichtlich mein Hinterkopf durch die Decke hindurch erkennbar sein musste. Es fühlte sich gut an, doch ich versteifte mich. Smudo schien das zu bemerken, denn die Hand an meinem Kopf verschwand.
„Magst du das nicht? Mir gefällt das ja, wenn du das machst. Aber gut, dann lass ich es eben...", meinte er.

Also, wenn er sich daran erinnern kann, dass ich ihm den Kopf gekrault habe, kann er sich auch an alles andere erinnern. Fuck! Ich kann nicht mal wegrennen oder sowas. So eine Scheiße hier.

Ich gab mir einen Ruck und schlug die Decke zurück.
„Moin", sagte ich mürrisch und fügte ein „Danke" mit einem Kopfnicken in Richtung des Kaffees hinzu.
Ich wich Smudos Blick aus, da ich fürchtete, dass ich dann beginnen würde, mich für gestern Abend zu entschuldigen. Und dafür war ich zu stolz.
„Ich... geh erstmal ins Bad", murmelte ich und erhob mich von der Couch.
Dass ich Smudo und den Kaffee damit einfach so stehen ließ, ignorierte ich geflissentlich.

In meinem Kopf herrschte Chaos. Mein Spiegelbild schaute mich vorwurfsvoll an, nachdem ich mir kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt hatte.

Ich hab lange nicht mehr so gut geschlafen wie heute Nacht und das, obwohl ich sie auf Smudos unbequemer Couch mit minimalem Platz verbracht habe. Und vor allem zusammen mit Smudo! Ich würde es ja gern auf zu viel Bier schieben oder darauf, dass er so fertig war und ich ihm nur einen Gefallen getan habe... Aber ich fand es schön. Zu wissen, dass sich Smudo wegen mir gut gefühlt hat, ist... wow.

Verwirrt über meine eigenen Gedanken wendete ich mich von meinem Spiegelbild ab. In der Hoffnung, dass fließendes Wasser meine Gedanken verscheuchen würde, stieg ich in die Dusche und lauschte dem Rauschen des Wassers, während es an meinem Körper hinabfloss. Es half nichts, mein Kopf schaltete sich nicht ab. Im Gegenteil, vor meinem inneren Auge tauchte Smudo auf. Sein undurchschaubarer Blick, mit dem er mich angesehen hatte, als ich ihm mit dem Daumen über die Unterlippe gefahren war. Seine sanfte Stimme. Das Prickeln auf meinen Lippen, als er seinen Finger darauf gelegt hatte. Vor allem aber das unglaublich schöne Blau seiner Augen.

Was ist denn los mit mir? Seit wann mache ich mir denn bitte Gedanken über Smudos Augen? Und sehen die schon immer so... traumhaft schön aus?

Ein besorgtes „Michi? Alles okay bei dir?" und ein Klopfen an der Badtür rissen mich aus meinen Gedanken.
„Äh... Klar, alles okay", rief ich zurück und stellte das Wasser ab. Ich rubbelte mir schnell mit einem Handtuch über die Haare und band es mir anschließend um die Hüfte.
„Wieso?", fragte ich eilig beim Öffnen der Tür, hinter der Smudo noch stand, wie ich vermutet hatte.
Dieser hingegen wirkte überrascht, dass ich so schnell aufgetaucht war.
„Oh sorry, ich weiß, ich tropfe hier gerade alles voll. Du klangst nur so... so...", sagte ich, stockte aber, da ich bemerkte, wie Smudo mit seinem Blick meinen gesamten Körper zu scannen schien und nicht wusste, was ich nun dazu sagen sollte.
„Smu?", fragte ich irritiert und wedelte mit der Hand vor seinen Augen hin und her, da er seinen Blick nicht von meinem Oberkörper löste.
Er zuckte leicht zusammen.
„Was?", fragte er und schaute schnell in meine Augen.
„Also ist gar nix?", wollte ich mich versichern.
„Äh... Hä? Was meinst du?", fragte Smudo verwirrt.
„Na... okay. Vergessen wir das, ja?", schlug ich lachend vor, da anscheinend keiner von uns beiden wusste, worüber wir hier gerade sprachen.
„Ich trockne mich schnell noch ab, zieh mir was an und dann fahr ich heim, ja?", sagte ich.
„Ja, klar. Machen wir so", murmelte Smudo abwesend.
Kopfschüttelnd wendete ich mich mit einem belustigten Grinsen im Gesicht von ihm ab und betrat das Bad erneut. Dann schloss ich die Tür hinter mir.

Ich hätte schwören können, dass Smudos Blick an meinem vom Handtuch bedeckten Hintern geklebt hatte.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt