Kann losgehen

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Bär ließ uns beide noch einmal erzählen, was wir der Presse sagen würden. Ich ließ all seine Anweisungen über mich ergehen und nickte, wenn es gerade passte.
„Ist euch klar, was auf dem Spiel steht?", fragte er mit Nachdruck.
Smudo und ich bejahten seine Frage und damit entließ er uns. Es waren noch ungefähr 20 Minuten, bis es losgehen würde. Wegen der Empfehlung, nicht aufeinander zu hocken, verließ Smudo als erster das Zimmer. Ich schnappte mir ein RedBull, das auf einem Schrank stand und sah Smudo hinterher, während ich die Dose öffnete.
„Ich frage mich, wann du mich das letzte Mal so angesehen hast", erklang plötzlich eine Stimme neben mir.
Ich verschluckte mich fast an dem Energydrink. Sie hätte ich lieber nicht hier gesehen.
„Uli! Musst du mich so erschrecken?"
„Du weißt schon, dass du so nicht raus kannst, oder?", meinte sie, ohne auf meine Worte einzugehen.
Irritiert sah ich sie an.
„Du musst das selbst glauben, für den Moment! Dass du nie was mit ihm haben willst und wirst. Du musst dich locker machen. Du bist total verkrampft. Willst du eine rauchen?"
„Äh... Ja", antwortete ich völlig überrumpelt.
Und mit einem Mal war ich froh, dass Uli da war.
Wir gingen zum Hinterausgang und ich zündete mir eine Kippe an. Uli rauchte eigentlich nicht, aber heute bat sie mich um eine Zigarette.
„Feuer?", fragte sie.
„Mmh", machte ich mit der Kippe zwischen den Lippen.
Ich zündete ihr gleich die Zigarette an. Unsere Blicke trafen sich dabei kurz und ich zwinkerte ihr zu.
„Danke."
„Kein Problem."
Wir schauten beide ins Nirgendwo und für einige Sekunden war es still.
„Das ist komisch mit dir. Aber irgendwie auch schön. Ich hab das vermisst... Mich mal nicht mit dir zu streiten", sagte Uli irgendwann.
„Geht mir genauso", entgegnete ich.
Vielleicht konnten wir ja irgendwann wieder ganz normal miteinander umgehen. Und der abgedroschenen Phrase „Lass uns Freunde bleiben" tatsächlich Bedeutung verleihen.

Ich spürte ihren Blick auf mir, genauer gesagt auf meinem Hals und setzte zu einer Erklärung an.
„Erzähl mir nichts über ihn. Ich will es gar nicht wissen. Reicht schon, dass ich es sehe", meinte sie, bevor ich irgendwas sagen konnte.
Ich lief feuerrot an.
„Ich sage einfach, ich hatte gestern ein Date mit einer tollen Frau...", verteidigte ich mich.
Uli seufzte.
„Ja klar, das kaufe ich dir sofort ab... Entspann dich, Michi. Du musst es mit mehr Lockerheit rüberbringen. Lass dich nicht in die Ecke drängen. Im Moment stehst du völlig neben dir. Dir fehlt der Witz, die Coolness. Du bist zu ernst. Zu... verkopft."
Sie hatte ja Recht. Aber was sollte ich denn machen? In meinem Kopf waren all die Erinnerungen an heute Nacht präsent. Und jetzt sollte ich glaubhaft behaupten, dass ich nichts für Smudo empfinden würde.
„Ich schaff' das nicht", sagte ich leise. „Meine Gefühle zu leugnen. Ich kann das nicht."
„Dann rede nicht darüber. Rede darüber, warum Miriam dir und Smudo was anhängen will und warum sie falsche Schlüsse gezogen hat. Das ist alles, was die Leute wissen müssen", schlug Uli vor.
Das war eine gute Idee.
„Kriegt du das hin?", fragte sie und ich nickte.
„Ja."

„Warum machst du das?", fragte ich dann, da es mich tatsächlich interessierte.
„Was meinst du?"
„Du bist für mich da, du stehst hinter mir. Warum?"
Sie versuchte zu lächeln, aber es wurde ein eher trauriges Lächeln.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht ein bisschen aus Gewohnheit. Du bist mir immer noch wichtig, Michi. Und ich habe noch was gut zu machen wegen den Schlagzeilen da...", sagte sie. „Auch, wenn das jetzt komisch klingt, aber irgendwie liebe ich dich noch. Nur... anders. Ich akzeptiere das, dass wir nicht mehr zusammen sind. Und sogar, dass du Smudo liebst, das... damit komme ich erstaunlich gut klar. Aber dass wir uns immer aufeinander verlassen können, hat nichts damit zu tun, ob wir uns lieben, ob wir verheiratet sind oder nicht. Wir haben viel zusammen durchgemacht. Es ist leichter, wenn es Menschen gibt, die hinter einem stehen." Sie drehte sich zu mir und schaute mir nachdenklich in die Augen. „Ich habe viel darüber nachgedacht, wie das mit uns weitergehen soll und das ist irgendwie das, womit ich am besten klarkommen würde, sodass ich nachts auch noch ruhig schlafen kann..."

Ich war überwältigt. Dankbar. So dankbar.
Den Stummel von der Zigarette warf ich weg. Ihrer hatte bereits den Weg auf den Boden gefunden.
„Darf ich?", fragte ich leise und breitete meine Arme aus.
Uli nickte. Und dann hielt ich sie in meinen Armen. Was sonst immer Uli zur Ruhe gebracht hatte, ließ nun auch mich runterkommen.
„Danke. Du hast keine Ahnung, wie viel mir das bedeutet", flüsterte ich in ihr Ohr.
Ich drückte ihr einen Kuss der Dankbarkeit in die Haare.

Die Tür zum Hinterausgang flog mit viel Schwung auf.
„Michi, ich such' dich überall, es geht gleich los!", hörte ich Smudos Stimme hinter mir.
Erschrocken ließ ich Uli los und drehte mich zu ihm. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich in Sekundenbruchteilen, als er Uli entdeckte.
„Oh. Wollte nicht stören."
Und damit schloss er die Tür wieder.
„Orrr, jetzt denkt er bestimmt... Man! Sorry, ich... Bis gleich!", rief ich Uli zu, dann stürzte ich hinter Smudo hinterher.
„Smu, warte!"

Ich erreichte ihn im Treppenhaus.
„Jetzt warte doch mal! Du hast ein völlig falsches Bild von dem, was gerade passiert ist!", raunte ich ihm möglichst leise zu, aber noch so, dass er hörte, was ich sagte.
Smudo drehte sich auf halber Treppe zu mir um.
„Verarscht du mich?", zischte er angespannt.
„Nein!"
„Was war das dann gerade?"
„Erzähle ich dir nachher. Wir müssen jetzt los!"
Er war eingeschnappt. Ich atmete hörbar aus.
„Smudo. Bitte glaub mir. Ich will nur dich. Nur dich", sagte ich leise und legte ihm dabei meine Hand auf die Schulter.
Unbeholfen küsste ich ihn und er erwiderte den Kuss. Ich wusste, dass wir dabei mit dem Feuer spielten. Wenn uns jemand gehört hatte oder schlimmer, sah, war es aus.
„Seid ihr wahnsinnig??", ertönte ein flüsterndes Rufen prompt ein halbes Stockwerk unter uns.
Wir gingen schlagartig auseinander.
„Los jetzt!", sagte die Stimme. „Wir haben keine Zeit mehr!"
Es war Uli. Natürlich, immerhin musste sie auch noch die Treppe hoch. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
„Und nein, ich will ihn dir nicht wegschnappen", sagte sie zu Smudo, der ihr einen unergründlichen Blick zuwarf.
Zu dritt hasteten wir das Treppenhaus nach oben. Wir hatten noch zwei Minuten – und die brauchten wir auch, um wieder zu Atem zu kommen. Ich spürte das Adrenalin in mir, seit Uli uns quasi erwischt hatte. Die Anspannung hatte sich gelöst, ich war bereit.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt