Anspannung

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Mit der Bahn schaffte ich es relativ schnell zu mir ins Hotel. Es war auch ganz gut so, dass ich selbst nicht auf den Verkehr achten musste. Debil grinsend stieg ich wieder aus der Bahn und legte so die letzten Meter zum Hotel zurück.
Ich realisierte nur halb, was ich heute eigentlich alles für kitschige Sachen gesagt und getan hatte. Den ganzen Weg über schwebte ich mindestens 20 Zentimeter über dem Boden. Alles in meinem Kopf drehte sich um Smudo. Das Gefühl, wenn er mich küsste. Wie sich seine Lippen dabei anfühlten. Wie sich sein Bart anfühlte. Wie seine Augen strahlen konnten. Wie viel Gefühl in seinem Blick liegen konnte. Das Gefühl, ihm ganz nah zu sein. Wie er mich in seine Arme nahm oder er in meinen Armen lag. Wie ich von seinem Duft umhüllt war. Was er mit seinen Händen und seiner Zunge alles anstellen konnte. Wie cool er aussehen konnte. Wie liebevoll er sein konnte. Wie gut es sich anfühlte, dass ich ihm wichtig war.
All meine Gedanken kreisten nur um diese eine Person und ließen mich mein grenzdebiles Grinsen nicht aus dem Gesicht bekommen.

Wie soll ich diese Pressekonferenz nur überstehen? Das Reden ist das Eine, das bekomme ich hin. Aber ich bin ja nicht blöd, das sieht doch ein Blinder, dass ich verliebt bin!

In diesem Moment fiel mir Smudos Knutschfleck wieder ein. Vielleicht war der doch gar nicht so schlecht. Immerhin konnte ich, wie Smudo bereits vorgeschlagen hatte, sagen, dass ich eine heiße Nacht gehabt hätte und mich neu verliebt hätte. Ich musste nur höllisch aufpassen, dass ich dabei von ihr und nicht von ihm sprach. Und ich musste darauf achten, wie ich Smudo ansah. Wie ich über ihn sprach. Wie weit ich von ihm entfernt stand. Dass ich ihn nicht unnötig berührte oder beobachtete.
Seufzend öffnete ich die Tür zu meinem Hotelzimmer. Ich zog mir eine andere Hose und einen neuen Sweater an. Im Bad benutzte ich schnell mein Lieblingsaftershave, was mir Smudo ironischer Weise mal zum Geburtstag geschenkt hatte. Mein Blick fiel auf meinen Knutschfleck am Hals. Ich betrachtete ihn mit gemischten Gefühlen. Einerseits war er wie ein Liebesmahl, auf das ich schon fast stolz war, andererseits wie ein Schandfleck, den ich offiziell nicht haben dürfte. Und außerdem lag es schon Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte zurück, dass so ein roter Fleck meinen Hals geziert hatte. Es war einfach ein ungewohntes und überraschendes Gefühl, nach so langer Zeit wieder frisch verliebt zu sein.

Ich hoffte, dass Miriam nicht da sein würde. Smudo schlug sich tapfer, aber ich wusste, dass er immer noch stark daran zu knabbern hatte, was sie mit seiner Psyche angerichtet hatte. Ich hoffte, dass ich ihm helfen konnte, indem ich ihm zeigte, wie sehr ich ihn... liebte? War das wirklich Liebe? Konnte man schon von Liebe sprechen, wenn man seit zwei Tagen zusammen war?

Gegenfrage: Sind wir nicht schon seit über 30 Jahren zusammen? Wenn auch... anders? Die Gefühle waren schon lange vorher da. Bei ihm und bei mir. Es ist intensiver als sonst zwischen uns. Und zwar wesentlich intensiver. Aber da ist eine Verbundenheit zwischen uns, eine Vertrautheit und gegenseitige Wertschätzung... Das sind so tiefe Gefühle. Ich weiß genau, dass wir miteinander können. Und ich weiß genau, wenn wir es für den Moment nicht können, dass wir uns wieder zusammenraufen. Ich habe mich schon so oft mit Smudo gestritten und hätte ihn mehr als einmal auf den Mond schießen können. Aber ich habe es nicht und er auch nicht.

Die Verliebtheit war wie eine neue Ebene. Die uns enger zusammenschweißte, die mir das gab, was ich brauchte und wollte. Die mich komplett machte.
Ich liebte Smudo schon so lange – nur auf eine andere Weise, als ich es nun tat. Nun konnte ich endlich meinen Gefühlen freien Lauf lassen.

Dennoch musste ich so tun, als gäbe es diese Gefühle nicht. Zumindest für heute. Und für eine gewisse Zeit danach – aber nur in der Öffentlichkeit. Zuhause konnten Smudo und ich tun und lassen, was wir wollten.
Mit gemischten Gefühlen verließ ich mein Hotelzimmer wieder. Der Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich es nicht mehr ganz pünktlich zu Bärs Deadline schaffen würde, aber das ließ sich jetzt nicht mehr ändern. Immerhin würde ich trotzdem noch in time zur Pressekonferenz ankommen.

Ich war angespannt. Zu angespannt. Bär schnappte sich mich, sobald ich angekommen war und führte mich in ein kleines, büroartiges Zimmer. Smudo war bereits darin, außerdem einige andere Männer, die ich nicht wirklich zuordnen konnte und die sich miteinander unterhielten.
„Smu!", rief ich erleichtert, da ich ihn sonst nirgendwo entdeckt hatte.
Doch sowohl er als auch Bär warfen mir einen warnenden Blick zu, durch den ich auf Abstand blieb. Ich verstand. Die Männer im Raum.
„Ich dachte schon, du hast verpennt", schob ich nach und hoffte, dass es möglichst lässig klang.
Du bist zu spät, lenk' nicht ab", meinte er.
Ich erkannte ein minimales Lächeln auf seinen Lippen.
„So dann wollen wir mal besprechen, wie das gleich abläuft", sagte Bär. „Wenn ihr uns bitte kurz allein lassen würdet", wandte er sich an die anderen Männer, die daraufhin den Raum einer nach dem anderen verließen.
Kaum hatte Bär die Tür hinter sich geschlossen, fiel ich Smudo in die Arme.
„Jungs...", murmelte Bär und ich hörte sein Schmunzeln dabei.
Smudo streichelte mir über den Rücken. Ich war froh, dass wir einen kurzen Moment für uns hatten, wenn auch in Bärs Anwesenheit.
„So, jetzt reißt euch mal zusammen. Kuscheln könnt ihr auch zuhause noch, jetzt wird's erstmal ernst", unterbrach er unseren Moment auch direkt wieder.
Widerwillig löste ich mich aus Smudos Armen. Unbewusst legte ich meinen Arm um Smudos Hüfte und so schauten wir beide zu Bär. Dieser sah uns kopfschüttelnd an.
„Okay, wir müssen die Sitzordnung ändern. Michi, du links von mir, Smudo rechts. Nicht, dass ihr noch in Versuchung kommt...", murmelte er.
Ertappt nahm ich den Arm von Smudo und konzentrierte mich auf Bär.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt