Andere Gedanken

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Es dauerte keine drei Sekunden, bis Smudo den Anruf entgegennahm.
„Michi! Na endlich!", sagte er und klang erleichtert.
„Smu, ich...", stammelte ich.
Ich wusste gar nicht, wie mir geschah vor lauter Herzklopfen, aber auch Schuldgefühlen, dass ich schon wieder abgehauen war.
„Hör mal, ich bin eigentlich stinksauer auf dich! Ständig läufst du weg, selbst, wenn du mir versprichst, dass du es nicht machst", sagte er vorwurfsvoll.
Meine Schuldgefühle wurden größer. Das war wirklich nicht gut gewesen.
„Ich weiß und du hast jedes Recht der Welt, sauer auf mich zu sein... Verdammt. Es tut mir wirklich leid. Kann ich das irgendwie wieder gutmachen?", fragte ich bedröppelt.
Ich hörte Smudos Seufzen.
„Ja."
„Was soll ich tun?"
„Komm zu mir, morgen Abend. Ich koche uns was schönes. Von mir war das heute auch nicht in Ordnung, ich möchte mich bei dir entschuldigen. Und was klarstellen... Sagen wir 19 Uhr?", meinte Smudo.
„...Ist das dein Ernst?"
„Ich frag' dich nicht zweimal, Michi."
„19 Uhr ist perfekt."

Er lädt mich zum Essen ein? Obwohl er stinksauer ist? Womit habe ich das verdient?

„Kann ich mir sicher sein, dass du kommst?", fragte Smudo.
Es tat mir leid, dass er dabei so unsicher klang.
„Auf jeden Fall. Es tut mir verdammt leid, dass ich... dass ich so ausgeflippt bin und dann einfach abgehauen bin."
„Das klingt gut. Ich verlass' mich auf dich."
Der letzte Satz war eine Mahnung, die sich in meinen Kopf brannte. Ich wollte, dass er wusste, dass er sich auf mich verlassen konnte. Ich musste es ihm nur auch mal zeigen.
„Danke, Smu", flüsterte ich ins Telefon.
„Was meinst du?"
„Dass du mir noch eine Chance gibst."
Ich konnte Smudos Lächeln förmlich hören, als er sagte:
„Bis morgen, Michi. Ich freu mich auf dich."
„Und ich mich auf dich."

Damit legte Smudo auf und ich hörte das Tuten in der Leitung. Ich war mordsmäßig aufgeregt. Seine Einladung klang ein wenig wie ein Date. War das ein Date?
Ich grübelte den gesamten Weg zum Hotel, ob es als Date gemeint war.

Wenn es kein Date ist, was bedeutet das dann? Dass Smudo meine Gefühle doch nur ausgenutzt hat?

Doch das wollte und konnte ich mir beim besten Willen nicht mehr vorstellen. Seine Nachrichten und überhaupt die Tatsache, dass er mich immer noch sehen wollte, sprachen eine ganz andere Sprache. Sollte ich also wirklich alles auf eine Karte setzen? Auf Smudos Gefühle bauen, von denen ich mir nicht sicher sein konnte, ob es sie denn gab?

Habe ich denn überhaupt eine andere Wahl? Er geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Schon allein durch die Band wird er das nie. Ich kann nicht einfach ignorieren, was ich fühle. Ich kann es einfach nicht! Und wenn es doch schief geht... dann will ich es wenigstens probiert haben. Und vor allem noch einmal seine Lippen auf meinen spüren.

Ich fiel in einen unruhigen Schlaf. In meinem Traum war ich wieder ins Smudos Bett und er lag neben mir, an mich gekuschelt. Verwirrt wachte ich auf und stellte fest, dass das Bett neben mir leer war. Es war allerdings noch mitten in der Nacht, weshalb ich direkt wieder einschlief.

Mit dem verstörend klaren Gedanken im Kopf, dass ich heute unbedingt zum Frisör gehen musste, wachte ich auf. Verschlafen rieb ich mir die Augen und spürte direkt Aufregung in mir aufsteigen. Ich würde Smudo sehen. Heute Abend. Und ich würde unvermeidlich mit ihm über das sprechen müssen, was das zwischen uns eigentlich war. Ich hatte Angst vor seinen Antworten. Wenn ich die eine Karte, auf die ich alles setzen würde, erst einmal ausgespielt hatte, gab es kein Zurück mehr. Zwar wusste Smudo bereits von meinen Gefühlen, doch ihn auf seine Gefühle anzusprechen, würde mich einiges an Überwindung kosten, da war ich mir sicher.

Seufzend schwang ich mich aus dem Bett und machte mich dann fertig für den Tag. Ich rief bei meinem Frisör an, ob heute noch ein Termin frei wäre. Ich hatte Glück: 18 Uhr war kurzfristig etwas frei geworden. Das bedeutete allerdings, dass ich direkt vom Frisör aus zu Smudo fahren musste, um pünktlich bei ihm zu sein.
Auf dem Weg zu einem Bäcker zerbrach ich mir den Kopf darüber, was ich anziehen würde. Es war kein offizielles Date, aber es war beim besten Willen auch kein Abend unter Freunden. Mit belegten Brötchen in der Hand ging ich zurück zum Hotel und im Kopf meinen Kleiderschrank durch. Zwei Pullover kamen in die engere Auswahl und so suchte ich im Hotelzimmer nach ihnen. Dort stellte ich allerdings fest, dass einer von beiden Pullovern nicht gewaschen war. Die Entscheidung war somit gefallen. Eine passende Hose fand sich und weiße Sneaker hatte ich sowieso... genug, um eine Auswahl treffen zu können. Genug weiße Sneaker konnte man nie haben. Sie sahen ja doch alle anders aus.

Während ich die Brötchen verputzte, überlegte ich, dass ich nicht ganz mit leeren Händen bei Smudo auftauchen wollte. Ich wollte ihm gern irgendetwas kleines mitbringen, etwas persönliches. Etwas, das ihm zeigte, dass ich an ihn gedacht hatte. Doch mein Hirn machte dicht, mir fiel für den Moment nichts ein.
Stattdessen beschloss ich, mich mal wieder etwas sportlich zu betätigen. Auf meiner Outfitsuche war ich nämlich auf meine Laufklamotten gestoßen. Ich war jetzt schon länger nicht mehr joggen gewesen. Die ganzen Ereignisse in letzter Zeit hatten mir den Elan für Bewegung genommen, doch jetzt war ich motiviert, das Training wieder aufzunehmen.

Das war eine wirklich gute Entscheidung gewesen, wie ich bereits nach kurzer Zeit feststellte. Auch, wenn es kalt draußen war - mit den richtigen Klamotten und ausreichend Energie tat es mir gut, mich wieder einmal intensiv zu bewegen, mich auszupowern und dabei auf andere Gedanken zu kommen. Eigentlich hatte ich gar keinen Grund für das missmutige Gefühl in meinem Bauch. Der Mann, in den ich mich verliebt hatte, hatte mich geküsst und hatte mich zum Essen eingeladen, obwohl ich ihm schon dreimal davongelaufen war. Ausgehend davon, dass Smudo meine Gefühle erwidern könnte, fragte ich mich plötzlich, wer hier eigentlich um wen kämpfte.
Ich wollte kein Feigling mehr sein und mich vor meinen eigenen Gefühlen verstecken. Weglaufen war einfach. Es wurde Zeit, dass ich Smudo zeigte, dass die Worte, die er aus meinem Mund nie hätte hören sollen, tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Die Zeiten des Weglaufens und des zögerlichen Abwägens waren vorbei, von nun an würde ich zu dem stehen, was in mir vorging und Smudo zeigen, dass er mir die Welt bedeutete.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt