Der stille Held

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Ich erzählte ihm, wie es zur Trennung von Uli und mir gekommen war. Damit kam ich besser klar, als ich gedacht hätte. Gerade jetzt fehlte sie mir zwar, aber ich wusste auch, dass sie mir – und ich ihr ebensowenig – nicht das geben konnte, was ich brauchte. Thomas sagte, dass es ihm leid täte, dass es so weit gekommen war, aber er verstand mich auch.
Deutlich schwerer fiel es mir, ihm von meinen Gefühlen für Smudo zu erzählen. Thomas war abgesehen von Smudo der erste, der davon erfuhr. Miriam zählte für mich nicht mit.
„Hey, alles ist gut. Du brauchst dich gar nicht rechtfertigen, schon gar nicht vor mir. Man kann sich das nicht aussuchen, in wen man sich verliebt. Und wenn es Smudo ist, dann ist das eben so", unterbrach mich Thomas ruhig, aber bestimmt.
Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht gemerkt, dass ich tatsächlich durchgängig versucht hatte, meine Gefühle zu rechtfertigen. Ich stockte und merkte, wie dadurch ein großer Teil meiner Anspannung von mir abfiel. Thomas verurteilte mich nicht. Er akzeptierte mich und stellte mich nicht in Frage. Etwas besseres hätte mir wahrscheinlich nicht passieren können.
„Das sehen bestimmt nicht alle so. Ich bin jetzt auch ein bisschen überrascht, muss ich sagen, aber das war's. Ich werd' mich schon dran gewöhnen. Ich stehe immer hinter dir und Andy genauso, das weiß ich. Und viele andere, Freunde und Bekannte mit Sicherheit auch. Aber mal ehrlich: Wen interessiert das schon, was irgendjemand anderes sagt? Auf dich kommt es an. Auf deine Gefühle. Und Smudos. Oder... wie sieht das da bei ihm aus?"
Ich war Thomas unendlich dankbar für seine Worte. Ich schätzte ihn für viele Dinge, aber seine Ehrlichkeit und Loyalität als Freund waren zwei wesentliche Punkte davon.
„Danke, man... Das... Du glaubst gar nicht, wie gut das tut, was du gerade gesagt hast", bedankte ich mich aufrichtig bei ihm. „Und Smudos Gefühle... Das ist ja das Ding. Er... hat sich vor zwei Tagen von dieser Kotzpille Miriam getrennt. Das war einen Tag, nachdem er durch einen blöden Zufall erfahren hat, dass ich auf ihn stehe. Und heute morgen..."
Ich seufzte. Das war doch alles zu blöd.
„Ich hab' heute Nacht bei ihm gepennt. Also, nur so bei ihm geschlafen. Gut, in seinem Bett und wir haben gekuschelt, aber... sonst nichts. Und heute morgen haben wir uns zum ersten Mal geküsst. Das heißt, Smudo hat angefangen... Ich hatte mir die ganze Zeit eingeredet, dass Smudo nie im Leben für mich mehr empfindet als Freundschaft. Und dann küsst er mich einfach und bringt mich halb um den Verstand!"
Thomas grinste.
„Was?", verlangte ich zu erfahren.
„Nichts. Ich hätte nur nicht gedacht, dass ich dich nochmal so über beide Ohren verliebt erlebe, Michi", erklärte er, woraufhin ich mit Sicherheit mehr Farbe im Gesicht bekam.
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich an heute morgen dachte. Wie ich aufgewacht war. Das Gefühl von Smudos Lippen auf meinen. Von seinem Geruch umhüllt zu sein, so viel von seinem Körper zu spüren...
„Ich war so glücklich in dem Moment, weißt du? Weil ich das nie für möglich gehalten hätte. Es hat sich einfach so gut angefühlt. So... richtig." Mein Blick verfinsterte sich. „Und dann kam Miriam und hat Sturm geklingelt. Smudo ist an die Tür gegangen, sie haben sich in die Haare bekommen, dann bin ich aufgestanden, weil ich dachte, dass es eine gute Idee wäre, mich da einzumischen..."
Thomas zog eine Augenbraue hoch.
„War es nicht?"
Seufzend schüttelte ich den Kopf.
„Sie hat mich gesehen, wahrscheinlich unsere beiden zerstrubbelten Frisuren, dann hatte ich auch noch Smudos Klamotten an... Und überhaupt: Ich, früh am Morgen bei Smudo zuhause... Da hat sie eins und eins zusammengezählt."
„Das ist blöd gelaufen, aber wo ist das Problem?", überlegte Thomas.
Ich schnaubte.
„Smudo hat gelacht, als sie behauptet hat, dass er schwul ist. Was das für ein Quatsch wäre. Und sowieso, ich wäre doch nur sein bester Freund. Nichts weiter", knurrte ich.
Es verletzte mich immer noch, als ich daran dachte.
„Oh je", sagte Thomas kopfschüttelnd. „Und dann?"
„Ja ich bin abgehauen! Sowas sagt man doch nicht, wenn derjenige direkt neben einem steht, mit dem man vor fünf Minuten noch rumgemacht hat!"
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Thomas schüttelte den Kopf und fing plötzlich an zu lachen.
„Mit dir würde ich aber auch nicht zusammen sein wollen", meinte er lachend. „Also, zum einen weil ich Tina liebe und weil ich es mir mit 'nem Kerl nicht vorstellen könnte. Aber man, Michi! Wie explosiv bist du denn drauf?"
Dass Thomas lachte, fand ich wirklich nicht nett. Schmollend nahm ich einen Schluck Tee.
„Nimm mir das nicht übel, dass ich lache, ja? Es ist nur... stell dir mal vor, du wärst an Smudos Stelle. Hättest dich gerade erst von deiner Freundin getrennt, hast gerade zum ersten Mal einen Mann geküsst, also so richtig geküsst und hast wahrscheinlich noch nicht mal darüber nachgedacht, was andere Leute deswegen jetzt von dir halten. Dann steht deine Ex vor der Tür. Genau, stell dir vor, es wäre Uli gewesen. Hättest du wirklich gesagt: ‚Ja stimmt, ich hab mich in ihn verliebt'? Oder hättest du es erstmal verneint, um dir erstmal selber darüber klarzuwerden, was du fühlst, willst, denkst, was auch immer?"

Wie macht er das eigentlich, dass er mir immer so gut ins Gewissen reden kann?

„Es ist trotzdem nicht in Ordnung!", beschwerte ich mich.
„Stimmt, ist es nicht. Hat er dich schon angerufen oder so?"
„Keine Ahnung, mein Handy ist aus..."
Thomas lachte schon wieder.
„Dein Handy ist aus? Bei dir ist ja wirklich nichts mehr, wie es mal war! Michi Becks Handy ist aus und er hängt nicht pausenlos daran, das gibt's ja nicht..."
Jetzt musste ich auch grinsen.
„Jaa, hast ja Recht", gab ich zu. „Und du meinst nicht, dass er nur mit mir spielt?"
Skeptisch sah Thomas mich an.
„Michi... Es gibt einen Menschen in Smudos Leben, zu dem er schon immer den besten Draht hatte. Der ihm schon immer wichtig war wie kein zweiter. Und das bist du. Schon immer gewesen. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, ist es eigentlich nur logisch, dass ihr zwei euch ineinander verguckt habt." Er machte eine kurze Pause. „Schau doch einfach nach, was bei deinem Handy abgeht, wenn du es anschaltest."

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt