Zwei Dinge

106 5 6
                                    

Jetzt war ich es, dem der Mund offen stand. Diese Worte waren gerade aus dem Mund desselben Mannes gekommen, mit dem ich vor wenigen Minuten fast komplett nackt im Bett rumgemacht hatte. Der Mann, der die Initiative ergriffen hatte und mich geküsst hatte. Der mich als den wichtigsten Menschen in seinem Leben betitelt hatte. Und jetzt das?
Ich nahm meine Hand von seiner Schulter und schüttelte ungläubig den Kopf.
Smudos Lachen fror ein, als er meinen Blick erwiderte.
„Macht das unter euch aus... ekelhafte Schwanzlutscher", sagte Miriam verächtlich und spuckte auf die Fußmatte vor Smudos Wohnungstür. Damit machte sie auch direkt kehrt und verschwand im Treppenhaus.
„Michi, ich... Wo willst du hin?", fragte Smudo, als ich in sein Schlafzimmer stürzte, mir in Windeseile meine eigenen Klamotten anzog und mir dann die Jacke von der Garderobe im Flur nahm.
„Dein ‚bester Freund, nichts weiter' macht sich jetzt vom Acker", sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
Schnell fuhr ich in meine Sneaker.
„Michi, so war das doch gar nicht gemeint, das war doch nur wegen..."
„Ach ja? So hast du es aber gesagt", entgegnete ich patzig, ohne ihn ausreden zu lassen.
Und dann knallte ich die Wohnungstür hinter mir zu und rannte die Treppen nach unten.

„Michi! Jetzt warte doch mal!", hörte ich Smudo von weiter oben im Treppenhaus rufen.
„Du kannst doch nicht immer weglaufen! Michi!"
Ich ignorierte seine Rufe und machte genau das, was ich ihm noch vor wenigen Minuten versprochen hatte, was ich nicht tun würde: davon laufen. Vor wenigen Minuten, als ich mir sicher war, dass Smudo meine Gefühle erwidern würde und mit ihm in den siebten Himmel geschwebt war.

Nur mein bester Freund. Nichts weiter. Pah. Ist das für ihn nur ein Spaß? Weil er weiß, dass ich mich in ihn verliebt habe, nutzt er mich jetzt aus? Um nicht allein sein zu müssen? Wieso habe ich mich da nur drauf eingelassen? Er hat sich erst vorgestern von Miriam getrennt und heute macht er mit mir rum. Das kann doch nicht gutgehen.

Ich wusste, dass ich wahnsinnig werden würde, wenn ich alleine im Hotelzimmer wäre. Schon fünf Minuten, nachdem ich dort angekommen war, mir frische Klamotten angezogen hatte und das Fenster zum unerlaubten, aber einfach notwendigen Rauchen geöffnet hatte, merkte ich, wie mir die Decke auf den Kopf fiel. Ich konnte das jetzt nicht - alleine mit meinen Gedanken sein. Für mich stand die Welt Kopf. Ich hätte nie zulassen dürfen, Smudo so nah an mich heranzulassen. Ich hätte nach dem Schlittschuhlaufen direkt zurück ins Hotel fahren sollen. Jetzt hatte ich die Quittung für mein unüberlegtes Handeln bekommen.

Vielleicht würde mich frische Luft auf andere Gedanken bringen. Ich verließ das Hotel wieder und lief ziellos durch die Straßen, darauf bedacht, dass ich meinen Kopf mit dem, was ich sah, zwangsbeschäftigte. Aber wie das immer war, wenn man Liebeskummer hatte, begegnete ich zu vielen glücklichen Paaren mit und ohne Kind. Sie liefen Hand in Hand oder einfach nur nebeneinander her. Manche unterhielten sich miteinander, andere schwiegen größtenteils und vereinzelt stritten sie sich. Ich fühlte mich elend, wie ich so allein durch die Stadt ging und mich meine Umgebung noch deprimierter machte, als ich es so schon war.

Ein Geistesblitz durchfuhr mich und ich wusste genau, zu wem ich gehen konnte, der mir zuhören würde und mir eventuell einen Rat geben könnte: Thomas.
Ich war sogar bereits in der Nähe seines Hauses und deshalb kam ich verhältnismäßig schnell bei ihm an. In der Hoffnung, dass er zuhause war sowie Zeit und Nerven für mich hatte, klingelte ich bei ihm.
„Ja bitte?", hörte ich Thomas durch die Freisprechanlage fragen.
„Hey, hier ist Michi. Hast du mal 'ne Minute?"

„Das ist ja mal eine Überraschung, dass du hier auftauchst. Was verschafft mir denn die Ehre?", fragte Thomas gut gelaunt und mit seinem typischen Thomasgrinsen im Gesicht, als ich meine Jacke an seine Garderobe hängte.
„Ähm... Das könnte eine längere Geschichte werden. Hast du... Zeit?", fragte ich und schaute ihn bittend an.
Thomas zog die Augenbrauen hoch.
„Klar. Tina ist gerade los, holt die Kinder ab und wollte mit den beiden noch einkaufen gehen. Wir haben sturmfreie Bude. Komm erstmal rein, Michi."

Thomas war schon immer sehr fürsorglich gewesen und so bot er mir erstmal eine Tasse Tee an. Und weil es Thomas war, war es natürlich nicht irgendein Tee sondern ein spezieller Bio-Tee, der CO2-neutral produziert und verschickt wurde. Ich schmunzelte, als er mir das erzählte und nahm die Tasse Tee dankend an.
„So Michi, was ist los? Du besuchst mich doch sonst nicht!", sagte er. Es war kein Vorwurf, nur eine Tatsache.
„Ich weiß, ich... Bei mir geht gerade wirklich alles drunter und drüber und... vielleicht kannst du mir ja weiterhelfen", sagte ich, während ich mit dem Löffel im Tee rührte.
„Das klingt ja nicht gerade gut. Worum geht's?", wollte er wissen.
Ich atmete hörbar.
„Du kannst doch Dinge für dich behalten, ja?"
Thomas nickte.
„Gut... Pass auf, zwei Dinge. Nummer eins: Ich habe mich von Uli getrennt."
„Was??"
„Nummer zwei...
„Was hast du? Dich von Uli getrennt??"
„Ich habe mich in Smudo verliebt."

Thomas starrte mich an wie einen Außerirdischen.
„Also das... Wow. Ich muss das grad' erstmal verarbeiten! Du hast... Wieso in aller Welt hast du dich von Uli getrennt? Und du... Warte. Hast du gerade gesagt, dass du dich in Smudo verliebt hast?"
Ich nickte mit gesenktem Kopf und starrte auf die Wasseroberfläche des Tees. Unsicher schaute ich Thomas aus dem Augenwinkel an. Sein Mund stand offen und er vergrub sein Gesicht in seinen Händen.
„Also das sind mal Neuigkeiten. Ha! Michi, Michi... Okay. Das musst du mir jetzt aber noch genauer erklären, das weißt du schon, oder?", sagte er, nahm dabei die Hände von Gesicht und schaute mich ernst an.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt