Now You're Under Control

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Ich kannte den Club tatsächlich. Es war zwar schon länger her, aber wir waren hier bereits oft feiern gewesen. Die Tanzfläche war schon gut gefüllt, das Alter der Gäste bunt durchmischt und der aktuelle DJ machte seinen Job ganz ordentlich. Wir bestellten uns erstmal etwas zu trinken und stellten uns an den Rand der Tanzfläche.
„Wie kommt's denn eigentlich, dass du heute Freigang hast?", fragte ich ironisch, nachdem wir jeder einen Schluck getrunken hatten und die Flaschen in den Hand hielten.
Smudo rollte mit den Augen, behielt seinen fröhlichen Gesichtsausdruck aber dennoch bei.
„Sie fährt heute ihre Familie besuchen. Und bleibt da noch bis morgen Abend", beantwortete er mir meine Frage.
Ich nickte mit dem Kopf und setzte die Flasche wieder an meine Lippen.

Also weiß sie gar nicht, dass wir uns treffen.

„Warum hast du nicht zurückgerufen?", fragte ich dann.
Ich beobachtete Smudos Reaktion genau. Er zögerte.
„Und erzähl' mir nix von einem Wasserschaden."
Smudo kniff die Lippen zusammen, schien sich dann aber doch zu entscheiden, mir zu antworten.
„Ich soll das eigentlich nicht erzählen. Erst recht nicht dir. Miri hat...", begann er und machte eine Pause. Wahrscheinlich überlegte er, ob er mir wirklich die Wahrheit erzählen sollte oder nicht.
„Miri hat mein Handy in... nennen wir es Gewahrsam genommen. Und von dem aus ich dich angerufen habe, von dem weiß sie nichts. Sie würde mir die Beine lang ziehen, wenn sie das wüsste... Sie meinte, sie muss mir wieder vertrauen können. Wobei ich sie ja nicht mal angelogen habe, das war ja deine reizende Frau. Tut mir übrigens leid... Dass ich dir nicht geglaubt habe."
Ich nickte nur zum Zeichen, dass ich das verstanden hatte und Smudo fuhr fort:
„Aber so richtig hat sie das nicht gecheckt, dass das ein blöder Scherz war. Und sie dachte, ich betrüge sie. Weiß der Geier, was in ihrem Kopf vor sich geht."
Smudo verdrehte die Augen, was mich überraschte. Bisher hatte ich ihn noch nie schlecht über diese Trulla reden hören. Gespannt hörte ich weiter zu.
„Jedenfalls hat mich irgendjemand... und ich vermute mal, dass... du das warst, sehr oft angerufen, mir geschrieben und mir auf die Mailbox gesprochen. Zumindest hat sie das gesagt. Und sie war deshalb sehr... eifersüchtig auf dich. Auch, wenn es dafür ja gar keinen Grund gibt...", erklärte Smudo. „Ich habe es klingeln hören, verdammt und konnte nicht rangehen, weil sie es weggeschlossen hat!"

Er hat also wirklich nicht eine Nachricht von mir gelesen oder gehört... Puh. Ist das jetzt gut oder schlecht? Unabhängig davon hätte er aber auch anderweitig Kontakt zu mir aufnehmen können.

„Ob du es glaubst oder nicht, aber... wir haben noch so etwas wie ein Festnetztelefon. Oldschool, aber es funktioniert noch", meinte ich abschätzig.
Das war doch wohl ein schlechter Witz. Und wieso ließ er sich so etwas überhaupt bieten von dieser Schnepfe?

Die wäre bei mir hochkant rausgeflogen. Ohne mit der Wimper zu zucken.

„Sie... ach, muss ich dir das wirklich erklären?", murrte Smudo und setzte seine Flasche an die Lippen.
„Pff... Musst du wissen, wie wichtig ich dir bin", antwortete ich.
Es ärgerte mich, dass wir aneinandergerieten - ausgerechnet wegen dieser Ausgeburt der Hölle. Aber das ging mir wirklich nah und da konnte ich bei dieser Reaktion gar nicht anders, als eingeschnappt zu sein.
Smudo seufzte.
„Komm, sei nicht so. Es tut mir leid, wie es gelaufen ist. Du glaubst nicht, wie sehr... Aber... jetzt sind wir hier, oder? Und das zählt", meinte Smudo.
Dass er sich entschuldigt hatte, war schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Trotzdem erwartete ich mehr als das.

Der DJ tat Smudo in diesem Moment wahrscheinlich den größten Gefallen, denn der Song wechselte und Smudo schlug daraufhin vor, in Richtung Dancefloor zu gehen. Wenig begeistert stimmte ich ihm zu und wir bewegten uns zur Musik.
Ich hatte kein Bedürfnis, irgendwelche Frauen anzutanzen. Die meisten waren eh bereits stockbesoffen und konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Einige waren mir deutlich zu jung und Schönheiten waren auch nicht wirklich welche dabei. Außerdem war das Objekt meiner Begierde keine Frau. Ich hielt krampfhaft etwas mehr Abstand zu Smudo, als nötig gewesen wäre, um nicht in Versuchung zu geraten, ihm nahe kommen zu wollen.
Smudo schien es im Gegensatz zu mir zwar nicht unbedingt zu genießen, wenn ihn irgendwelche Weiber antanzten, er unternahm allerdings auch nichts dagegen. Ein entschuldigender Blick seinerseits war alles, was er mir zuwarf.
Die Situation war verzwickt. Ich wünschte mir, dass ich den Mut hätte, auf Smudo zuzugehen und den Frauen deutlich zu machen, dass es hier für sie nichts zu holen gab. Aber ich fürchtete mich vor Smudos Reaktion und dass bei mir die Synapsen nach und nach durchbrennen würden, wenn ich ihm so nah kommen würde.

Ich fragte mich erneut, warum ich mir das alles antat. Man konnte es schon fast als Flucht bezeichnen, die ich in Richtung der Bar antrat, um mir etwas neues zu trinken zu holen.
Die Bar war gut besucht und ich stand eine Weile am Tresen, bevor ich meine Bestellung aufgeben konnte. Es herrschte ein großes Gedränge. Gerade als ich dran war, stolperte jemand unbeholfen von hinten an mich. Er entschuldigte sich atemlos, als er sich am Tresen links und rechts von mir festhielt. Ich wusste nicht, ob ich ihn zuerst an seinen Händen oder seiner Stimme erkannt hatte. Tatsächlich stand ich von Smudo an den Tresen gepresst da und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Sein Atem an meinem Nacken verursachte eine Gänsehaut. Ich drehte meinen Kopf zur Seite.
„Auch was?", meinte ich nur und war überrascht, wie ruhig meine Stimme klang.
Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Mein Blick wanderte von seinen Augen über seine Wangen zu seinen Lippen und blieb dort einen Moment lang hängen.
Er wirkte abgehetzt.
„Bin ich froh, dass ich dich wiedergefunden habe! Ich musste da gerade jemandem 'ne Absage machen... Die war aber aufdringlich...", lachte er.
„Tu dir keinen Zwang an", sagte ich und bestellte einfach zwei Bier für Smudo und mich.
„Witzbold. Ich bin vergeben, schon vergessen?"
„Wie könnte ich...", murmelte ich, nahm das Bier entgegen und drückte Smudo von mir weg, der komischer Weise immer noch direkt hinter mir stand. Er nahm sein Bier entgegen und wir entfernten uns gemeinsam von der Bar.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt