Lösch mich nicht

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Mein Schädel war riesig, als ich am nächsten Tag in meinem Hotelzimmer aufwachte. Am liebsten wäre ich direkt wieder eingeschlafen, denn dann hätte ich nichts von dem schlechten Gefühl in meinem Bauch wahrgenommen. Aber so sehr ich es auch versuchte, praktisch wälzte ich mich nur hin und her, bis mein Bett komplett zerwühlt war.
Ich schluckte, als ich einen Blick auf mein Handy warf. Zahlreiche verpasste Anrufe von ein und derselben Nummer standen als Benachrichtigung auf dem Sperrbildschirm. Ich hatte Smudos neue Nummer noch nicht eingespeichert, aber ich wusste auch so, dass er es war, der mich versucht hatte, zu erreichen.

Was du kannst, kann ich schon lange.

Ich löschte das Anrufprotokoll und die Nachrichten auf meiner Mailbox. Was sollte er mir schon großartig sagen? Sich entschuldigen? Mich zur Rede stellen zu wollen? Mir sagen, dass das ja gar nichts an unserer Freundschaft ändern würde?
Darauf konnte ich wirklich gut verzichten. Außerdem war es mir unangenehm, mit Smudo über meine Gefühle zu sprechen. Nach gestern Abend war ich mir sicher, dass er sie nicht erwidern würde. Also war es doch besser, sie zu verdrängen. Nur, um nicht mehr daran denken zu müssen, wie gut ich mich in seiner Nähe fühlte, wie gern ich sein Lachen und seine Stimme hörte. Wie gern ich in seine Augen blickte, meine tiefblauen Tore zum Glück.

Um ehrlich zu sein, schämte ich mich. Smudo hätte das nie erfahren sollen. Dass ich mit meinen ungeplanten Gefühlen zu kämpfen hatte, reichte ja eigentlich schon zu. Aber, dass Smudo jetzt auch noch Bescheid wusste... ausgerechnet Smudo.
Ich war einfach abgehauen, nachdem ich an Smudo vorbeigegangen war. Am liebsten wäre ich an Ort und Stelle im Boden versunken.
Wie so oft, wenn man es sich wünschte, tat sich der Boden unter mir auch heute leider nicht auf. Vielmehr lag ich in meinem zerwühlten Hotelbett. Weit entfernt von dem Mann, der mir nicht aus dem Kopf ging und weit entfernt von den Räumen, die ich jahrelang mein Zuhause genannt hatte.

Was Uli wohl machte? Wie es ihr wohl ging? Ob ich sie anrufen sollte, um mich nach ihr zu erkundigen?

Halt. Nicht nochmal der selbe Fehler. Sie ist meine Ex und das bleibt sie nun auch. Das kann nicht die Lösung sein, nur um nicht allein zu sein, wieder bei ihr anzutanzen. Der Zug ist abgefahren. Endgültig. Und da kommt auch kein neuer mehr.

Uli hatte schließlich auch nicht versucht, mich zu erreichen.
Dennoch wurde ich melancholisch, wie ich allein und ausweglos auf dem Bett lag und auf meinem Handy plötzlich durch die Fotos längst vergangener Tage scrollte. Ich sah Ulis strahlende Augen, erinnerte mich zurück an die Momente, in denen diese zahlreichen Bilder entstanden waren.

Sie hat mich ertragen, all die Jahre. Mehr als das. Es war gut, was wir hatten. Dass wir einander hatten. Wieso ist das kaputt gegangen?

Ich wollte die Fotos nicht löschen, zeigten sie doch mein Leben. Und das konnte ich ja auch nicht löschen. Ich konnte nicht ungeschehen machen, was passiert war.
Und wenn ich es könnte? Würde ich die Dinge auslöschen, die zwischen Uli und mir vorgefallen waren und meine Gefühle zu Smudo unexistent machen?
Energisch schüttelte ich den Kopf, auch wenn mich niemand sah. Schon allein der Gedanke daran, dass alle verwirrend und widersprüchlich schönen Momente zwischen Smudo und mir nie stattgefunden hätten, versetzte meinem Herz einen Stich. Mit der Hand fuhr ich über mein Gesicht und rieb mir die Augen.

Gott, Smu... Was hast du nur mit mir angestellt?

Ich hätte ihm sofort verziehen, dass er sich nicht gemeldet hatte, wenn er mir nur versprochen hätte, dass er das nie wieder tun würde. Aber das hatte er nicht. Im Gegenteil. Dass diese Schreckschraube, die er nicht einmal liebte, ihn verlassen könnte, hatte für ihn eine höhere Priorität als meine Befindlichkeit.
Und jetzt bombardierte er mich mit Anrufen und Nachrichten. Jetzt. Nachdem er erfahren hatte, was er nie wissen sollte. Und ich konnte ihm nicht verzeihen, was er mir gestern offenbart hatte. Konnte nicht über meinen Schatten springen, den Ärger nicht runterschlucken.
Ich würde ihm nie wieder unter die Augen treten können.

Mein Handy vibrierte erneut - eine neue Nachricht von Smudo. Ich löschte die Benachrichtigungen ungelesen und schaltete das Handy aus.

Als mein Magen gegen Abend unaufhörlich knurrte, raffte ich mich endlich dazu auf, das Bett zu verlassen. Mir war bewusst, wie armselig das war. Aber wen interessierte das schon noch?

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt