Herzrhythmusstörungen

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Fragend sah ich ihn an, doch Smudo sagte nichts mehr. Sein Mund öffnete sich zwar kurz, aber er schloss ihn ohne einen Laut wieder. Dann atmete er aus, seine Schultern senkten sich erheblich, als wäre er aufgeregt gewesen und würde jetzt zur Ruhe kommen. Er ließ meine Hände los.
„Sorry. Ich..."
Ich schüttelte leicht den Kopf.
„Ist schon gut, Smu", sagte ich und lächelte ihn an.
Dann drehte ich mich um und ging nun wirklich in Richtung Bad. Gerade, als ich die Tür hinter mir schließen wollte, fiel mir noch etwas ein.
„Smudo?", rief ich in die Wohnung.
„Ja?", antwortete Smudo und steckte seinen Kopf aus der Küche, um mich zu sehen.
„Hast du noch einen Hoodie oder so für mich? Ich würde mir gern einen frischen anziehen."
Smudo grinste.
„Klar, geb' ich dir gleich."
„Danke."
Damit schloss ich die Badtür endgültig hinter mir.

Ich setzte mich auf den Wannenrand und stützte den Kopf auf meine Hände.

Oh Gott, was passiert hier bitte? Was ist das? Warum ist er so... so wie er ist? Was war das gerade eben? Die Umarmung, seine Worte, dass er meine Hände festgehalten hat. Das... das ist... Ich hab' nicht mal Worte dafür!

Ich war völlig durch den Wind. Wie ein Roboter kam ich mir vor, als ich mich auszog und unter die Dusche ging. Smudo wusste, dass ich auf ihn stand. Warum verhielt er sich seitdem so anders? So offensichtlich anders? Machte er sich über mich lustig? Oder meinte er das ernst? Ging es ihm am Ende nicht anders als mir?

Träum weiter, Beck. Das glaubst du doch selbst nicht.

Das Wasser, das an meinem Körper herunterfloss, fühlte sich gut an und schwämmte die vielen konfusen Gedanken fort. Ich ließ das Wasser eine ganze Weile auf mich einprasseln, bis ich mich wieder in der Lage fühlte, Smudo zu begegnen, ohne dabei sofort den Kopf zu verlieren. Ich nahm mir ein Handtuch, rubbelte meine Haare halbwegs trocken und trocknete anschließend den Rest meines Körpers ab. Das Handtuch band ich mir um die Hüfte und öffnete anschließend die Badtür.
„Smu?", rief ich, als ich auf der Suche nach ihm durch die Wohnung lief.
„Hier!", ertönte es aus der Küche.
Als ich die Küche betrat, schob Smudo gerade etwas in den Ofen, das verdächtig nach Zwiebelkuchen aussah.
„Mmh, da bekomme ich jetzt schon Hunger", meinte ich gut gelaunt und lehnte mich an den Türrahmen.
„Halbe Stunde musst du noch warten. Hast du...", sagte Smudo gut gelaunt, stockte jedoch, als er sich zu mir umdrehte. „Ich meine, hast... du... offensichtlich nicht."
Wovon redete er bitte?
„Was habe ich?"
„Den Pullover neben der Badtür gefunden. Hab' dir noch 'ne Jogginghose dazugelegt."
Smudo räusperte sich und zwang sich, in meine Augen zu sehen. Zuvor war sein Blick über meinen gesamten Körper gewandert und ich kam mir mit einem Mal merkwürdig nackt in meinem Handtuch vor.
„Oh. Ja... Danke, das wollte ich dich fragen. Dann... ziehe ich mir mal was an, hm?", stammelte ich.
Unwillkürlich nickte Smudo und ich verließ die Küche wieder.

Ruhe bewahren. Einatmen. Ausatmen. Und nochmal von vorn.

„Passt perfekt", meinte ich grinsend, als ich – nun vollständig angezogen – auf Smudo traf, der sich seinerseits gerade auf den Weg zum Bad gemacht hatte. Tatsächlich hatten wir sehr ähnliche Kleidergrößen. Smudo füllte die Shirts und Pullover mit seinem Bauch etwas mehr, an mir hingen sie etwas lockerer.
„Schön", sagte Smudo kurz angebunden. „Kannst du den Ofen ausmachen, wenn mein Handy klingelt?"
„Mach' ich."
Und schon war Smudo im Bad verschwunden.
„Hier herrscht ja eine andere Klimazone!", hörte ich ihn noch im Bad gedämpft durch die Tür lachen, dann verschwand ich selbst in die Küche und machte die Tür hinter mir zu.

Mir fiel auf, dass die Lampe in der Küche immer noch nackt aus der Decke ragte. Der alte Lampenschirm, gegen den ich irgendwann getreten war, war zwar schon lange nicht mehr schön gewesen, aber so sah es jetzt auch nicht überragend aus. Ich beschloss, Smudo irgendwann eine neue Lampe zu besorgen.

Dieses lange Warten und untätige Herumsitzen war nichts für mich. Ich suchte aus den Schränken Teller und Gläser und stellte sie auf den Couchtisch im Wohnzimmer. Wenn wir noch einen Film schauen wollten, konnten wir das ja gleich mit dem Essen verbinden. Beim Raussuchen musste ich unweigerlich an das Candlelight-Dinner denken, das ich hier vorbereitet hatte. Es fühlte sich an, als wäre eine Ewigkeit seitdem vergangen, dabei waren es nur wenige Wochen. Ich hatte immer noch das Gefühl, dass Smudo sich damals wirklich gefreut hatte über das, was ich vorbereitet hatte – bevor ihm seine Jetzt-Ex eingefallen war.

Smudos Timer auf dem Handy klingelte und ich schaltete ihn aus, ohne wirklich hinzusehen. Ich machte den Ofen aus und nahm den Zwiebelkuchen mit Topfhandschuhen heraus.
„Haaa heiß!", fluchte ich, da die Handschuhe nicht die ganze Hitze von meinen Händen fern hielten.
Mit dem Ellbogen stieß ich an Smudos Handy, das nun neben dem Zwiebelkuchen lag und das Display ging durch die Bewegung an. Unweigerlich blickte ich auf Smudos Sperrbildschirm, wodurch mein Herz gleich wieder anfing, schneller zu schlagen. Hoffentlich würde ich nach diesem Tag keine bleibenden Herzrhythmusstörungen davontragen.
Smudo hatte eins der Fotos vom Schlittschuhlaufen auf seinem Sperrbildschirm und das haute mich komplett um. Verzückt betrachtete ich das Foto.
„Schönes Bild, oder?", riss mich Smudos Stimme aus meinen Gedanken.
Ich zuckte heftig zusammen.
„Äääh. Ja", stammelte ich und tat schnell so, als müsste ich den Kuchen unbedingt noch etwas hin- und herschieben.

Was macht er denn jetzt schon hier? Kann er sich nicht ein bisschen mehr Zeit beim Duschen lassen? Ich bekomme definitiv Herzrhythmusstörungen, wenn das hier so weitergeht.

„Tut mir leid, das Display ist angegangen. Ich..."
„Alles gut. Ich weiß, dass du nicht im Handy von anderen schnüffelst. Ich kenn' dich", entgegnete Smudo und lächelte mich an.
Ich konnte diesem Lächeln einfach nicht widerstehen. Wahrscheinlich sah ich aus wie der größte Depp vom Dorf, als ich das Lächeln erwiderte, aber ich konnte gar nicht anders.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt