Was zur Hölle?

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Es war anders seit diesem Tag. Wir waren beide übervorsichtig und gegenüber jedem, den wir nicht kannten und der uns zufällig über den Weg lief, misstrauisch. Doch es passierte nichts. Es kam kein neuer Brief. Smudo wurde unruhig und mir gefiel das ganz und gar nicht. Er war mit den Gedanken ständig woanders und außerdem äußerst schreckhaft. In der Nachbarschaft gab es Katzen, die nachts gelegentlich den Bewegungsmelder auslösten, wenn sie auf die Autos sprangen, wodurch das Licht in der Einfahrt anging. Ich bemerkte nach etwa einer Woche zufällig, dass Smudo davon wach wurde und dann flach und viel zu schnell atmete.
„Smu?", flüsterte ich, als ich ihn so auf dem Rücken liegen sah, die Augen viel zu offen für die Uhrzeit.
Er schreckte zusammen und schaute mich panisch an.
„Alles gut, Schatz. Ich bin's doch nur...", murmelte ich und streichelte sanft über seinen Arm.
Ich rollte mich auf die Seite, um näher bei Smudo zu liegen. Er fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht und atmete tief durch.
„Ja. Ich weiß... Alles in Ordnung. Ruhig Blut."
„Ich rufe Bär morgen an", beschloss ich. „Der Spuk muss ein Ende haben."

„Dann weiß ich jetzt wenigstens, warum du aussiehst, als hättest du die halbe Nacht wachgelegen...", meinte ich am nächsten Morgen. Es war noch fast komplett dunkel, da ich nachts die Rollläden nach ganz unten navigiert hatte, damit wir nichts mehr von dem Licht in der Einfahrt mitbekamen.
„Mh", brummte Smudo verschlafen, „das ist so, weil ich die halbe Nacht wachliege."
„Wer auch immer das ist: Wenn wir den kriegen, mache ich ihm die Hölle heiß. Er ist daran schuld, dass wir uns nicht mehr sicher fühlen!"
„Ich mag deinen Enthusiasmus. Da bist du immer so positiv drauf."
Er klang ein wenig sarkastisch dabei, aber vor allem noch sehr müde, was angesichts seines Schlafmangels aber auch nicht weiter verwunderlich war.
„Willst du noch liegen bleiben?", fragte ich leise, nachdem ich ihm einen Kuss auf die Wange gehaucht hatte.
Sein weicher Bart kitzelte dabei angenehm an meinen Lippen, ich liebte dieses Gefühl. Meinen eigenen Bart ließ ich nie so lang stehen wie Smudo. Er wurde einfach nur stachelig und ich sah ungepflegt aus. Außerdem wuchs er an den Wangen nicht so dicht wie bei Smudo und mir wurden die vielen grauen Haare nur noch deutlicher bewusst.
Statt einer Antwort schlang Smudo einfach seinen Arm um meinen Oberkörper und schloss die Augen wieder. Schmunzelnd ergab ich mich und genoss die Nähe zwischen uns. Sein Körper war mir mittlerweile so vertraut und ich liebte ihn ebenso sehr wie alles andere an Smudo. Und auch wenn es Einzelheiten gab, die mich an Smudo schon immer gestört hatten und über die ich auch weiterhin die Augen verdrehte – ich liebte sie sozusagen mit, weil sie einfach zu ihm dazugehörten.
Es hatte eine Weile gedauert, bis Smudo das auch verinnerlicht hatte. Er hatte sich verändert, positiv wie ich fand, denn seine Ängste und Sorgen bezogen sich nicht mehr darauf, dass ich ihn ins offene Messer laufen lassen würde oder ihn mit seinen Gefühlen erpressen könnte. Ich liebte ihn und Thomas würde sagen um der Liebe willen, völlig frei von bösen Hintergedanken.

Während ich so meinen Gedanken nachhing und darüber nachdachte, warum Smudo denn anfangs so zweifelnd und ängstlich gewesen war, passierten gleichzeitig noch andere Dinge:
Smudos Handy gab einen Ton von sich, den er mit einem genervten Brummen kommentierte und mich fester an sich zog. Scheinbar schien es ihn dann aber doch zu interessieren, was auf seinem Handy für eine Benachrichtigung erschienen war, denn er lockerte seinen Griff um mich, damit er sein Handy auf dem Nachttisch mit der Hand erreichen konnte. Er zog es vom Ladekabel und blinzelte gegen das grelle Display. Die Hand wurde ein zweites Mal ausgestreckt, diesmal nach seiner Brille. Eitel, wie auch Smudo war, setzte er sie so selten wie möglich auf, obwohl ich fand, dass er je nach Modell sogar ziemlich cool damit aussah.

„Was gibt's?", nuschelte ich gegen Smudos Brust, da er sich nicht mehr regte.
Keine Antwort.
„Smu?"
Ich befreite mich aus seinem Arm und stützte mich auf, um auch etwas von dem Display sehen zu können. Dann wurde mir auch klar, wieso Smudo so erstarrt war. Der Absender des Drohbriefs hatte sich erneut gemeldet – nur diesmal per elektronischer Post. Ich überflog den Text und erkannte, dass Geld gefordert wurde, damit die Person weiterhin schweigen würde, was unsere Beziehung anging. Es war außerdem von einem weiteren Foto die Rede, das Smudo im Anhang öffnete.
„Hä?!", sagten wir beide ungefähr gleichzeitig, dann blickten wir einander verwirrt an und betrachteten dann wieder das Foto auf dem Handy.
„Das ist doch schon ewig her! Das war letzten Sommer, nee... vielleicht sogar Frühling. Das war bei Max in der Bar, was... Hä? Checkst du das?"
Smudo schüttelte den Kopf.
„Überhaupt nicht."

Das Foto, wegen dem wir so verwirrt waren, stammte von unserem zweiten Abend in der Bar, als wir ganz allein – oder offenbar doch nicht so allein – den Abend dort verbracht hatten. In dem festgehaltenen Moment saß ich auf Smudos Schoß und hatte meine Hände an seine Wangen gelegt. Ich erinnerte mich nur äußerst schwach daran, denn nüchtern war ich zu diesem Zeitpunkt bei weitem nicht mehr gewesen. Allerdings musste ich schmunzeln, denn so tief, wie wir uns auf dem Foto in die Augen schauten, war es ein Wunder, dass wir uns damals nicht schon geküsst hatten. Damals, als ich noch nicht hatte wahr haben wollen, dass ich mir mit den Frauengeschichten von Smudo ins eigene Fleisch schnitt, weil meine Gefühle für ihn viel mehr als nur Freundschaft beinhalteten. Damals, als die Abende mit Smudo alles waren, was mir wichtig gewesen war und wodurch ich mich immer weiter von Uli entfernt hatte. Damals, als ich mir eingeredet hatte, dass ich nur neidisch auf Smudo war, weil er im Anschluss tollen Sex hatte – stattdessen war ich neidisch auf die Frauen gewesen, weil sie die Nacht mit Smudo verbringen durften und ich nicht.

Das Foto war dem Winkel noch zu urteilen in einer Ecke der Bar aufgenommen worden. Ich wusste nicht mehr, ob dort jemand gesessen hatte oder nicht. Was mich aber wirklich wunderte, war, dass die Person damals schon ein Foto von uns gemacht hatte. Damals hatten wir es ja selbst nie für möglich gehalten, dass wir uns ineinander verlieben würden.
„Warte mal, das ist an meine private Mail-Adresse gesendet worden... Wer ist denn da bitte rangekommen?", überlegte Smudo laut.
„Schau nach dem Absender!", warf ich aufgeregt ein.
Und in diesem Moment dachte ich auch meinen vorhin unterbrochenen Gedanken zu Ende, wegen wem Smudo so schrecklich drauf gewesen war.

Das Schlechte an Smudos Ex war sie selbst und alles, was sie je getan hatte. Das Gute war, dass Miriam auch unfassbar dumm war.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt