Nur für dich

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Das Foto war vom Tag der Hochzeit von Smudos Schwester. Der Fotograf hatte genau den Moment festgehalten, in dem Smudo und ich uns angrinsten, weil ich meine Witze nicht hatte lassen können. Uli und Miriam blendete ich auf diesem Foto aus. Ich sah nur Smudo und mich, wie glücklich wir uns anschauten. Smudo war derjenige, der mich immer verstand, der immer zu mir gehalten hatte. Er hatte mich nie verändern wollen und auch, wenn wir nicht immer einer Meinung waren, schätzten wir die Meinung des jeweils anderen sehr.

Ich dachte zurück an den Abend, den ich mit Smudo auf seiner Couch verbracht hatte. An die ungewohnte und doch überraschend schöne Nähe zwischen uns. Ich fragte mich, was passiert wäre, wenn Smudo meinen Finger nicht von seinen Lippen genommen hätte.
Mein Herz begann, stärker zu klopfen, als ich an das Gefühl seines Fingers auf meinen Lippen dachte. In den letzten Wochen hatte ich mich bemüht, Gedanken solcher Art zu unterbinden, doch nun konnte ich mich nicht gegen sie wehren. Gedankenverloren strich ich über das Bild und bemerkte nicht einmal, dass sich ein Lächeln auf meinen Lippen gebildet hatte.

Das Vibrieren meines Handys beförderte mich zurück in die Realität.
„Smu?", sagte ich, als ich auf den grünen Hörer drückte.
„Michi. Wie steht's? Alles okay?"
„Klaro. Bin fast fertig mit allem. Sag mal, hast du irgendwo Kerzen?", nutzte ich gleich die Gelegenheit.
„Äh... Ja, Moment... Im Schlafzimmer müssten noch welche sein. Frag nicht, wieso ausgerechnet da. Ich hatte keinen Platz mehr. Im untersten Schubfach vom großen Schrank. Sonst noch was? Ich bin aber auch in zehn Minuten da."
„Super, na sonst ist alles da."
„Bis gleich. Und Michi?"
„Ja?"
„Danke."
Erneut stahl sich ein Lächeln auf meine Lippen. Smudo klang erleichtert und dankbar.
„Für dich immer", meinte ich wahrheitsgemäß, bevor ich auflegte.

Hoffentlich gefällt es ihm...

In Smudos Schlafzimmer wurde ich tatsächlich fündig, was die Kerzen anging. Mein Blick fiel auf sein Bett und ich fragte mich unvermeidlich, ob er darin heute noch Sex haben würde. Es schüttelte mich beim Gedanken daran, dass Smudo mit Miriam... Ich schob die Reaktion meines Körpers jedoch auf die niedrige Temperatur in diesem Raum und schloss dann schnell die Tür hinter mir.

Zufrieden betrachtete ich mein Werk, als ich das letzte Rosenblatt auf dem Tisch platziert hatte. Ein paar Rosen hatte ich nicht zerpflückt, sondern sie in einer Vase auf den Tisch gestellt. Alles war bereit für die Ankunft von Smudo - und Miriam natürlich. In diesem Moment drehte sich ein Schlüssel im Schloss und Smudo betrat, den Geräuschen nach zu urteilen recht abgehetzt, seine eigene Wohnung.
„Michi?", rief er und ich machte mich direkt auf den Weg in seinen Flur.
Mit plötzlich klopfendem Herzen sah ich ihn an.
„Hey...", begrüßte ich Smudo und blieb unschlüssig im Türrahmen stehen.
„Schön, dich zu sehen", sagte ich und wunderte mich im selben Moment über meine Worte.

Seit wann sage ich denn sowas?

„Gleichfalls. Ich spring kurz unter die Dusche, zieh mir was schickes an und dann...", sagte er im Vorbeigehen.
Ich schmunzelte über seine Eile.
„Wow, das ist wunderschön", hörte ich Smudos Stimme aus dem Wohnzimmer, in dem er wie angewurzelt stehen geblieben war. Erleichterung machte sich in mir breit. Anscheinend hatte ich seinen Geschmack getroffen.
„Nur für dich", sagte ich leise und betrat hinter ihm den Raum. Ich betrachtete Smudos Rückseite und fand, dass er auch so schon unglaublich gut aussah, ohne sich umzuziehen.
„Du hast sogar meinen Lieblingswein geholt. Und wie gut das hier riecht, hast du Pilze gemacht?"
Smudos Stimme hörte sich sanft und warm an. Ich prägte mir diesen Klang ein, hörte man ihn doch nur selten so sprechen.
„Na klar. Ich weiß doch, was dir gefällt, Smu", murmelte ich. Aus irgendeinem Grund machte ich einige Schritte auf ihn zu, sodass ich plötzlich sehr dicht hinter ihm stand. Fast berührten wir uns, aber eben nur fast.
„Danke, Michi", wisperte er und drehte sich zu mir um. Mit pochendem Herzen erwiderte ich seinen Blick. Seine Augen funkelten im Kerzenlicht. Mir wurde klar, dass sie dieses Mal wegen mir so funkelten und nicht wegen seiner Tussi.
„Gern geschehen", flüsterte ich zurück.

„Miri wird Augen machen... Halt. Miri!", rief er plötzlich und sein Blick veränderte sich. Hektisch ging er um den Tisch herum und lief anschließend in die Küche.
„Sag mal, hast du eigentlich den Verstand verloren?", polterte er aus letzterem Raum.
Verdutzt folgte ich ihm in die Küche, wo er gerade die Hände über dem Kopf zusammenschlug.
„Wieso denn? Ich dachte, es gefällt dir!", verteidigte ich mich und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ja, Michi. Mir gefällt das. Aber darum geht es nicht! Es muss Miriam gefallen! Und sie hasst Pilze und Rotwein und... und diese Musik, die du hier im Hintergrund laufen hast!"
Schnell eilte Smudo zu seiner Anlage und schaltete sie aus.
„Aber ich dachte...", setzte ich an, doch Smudo ließ mich nicht zu Wort kommen.
„Einen Scheiß hast du gedacht! Verdammt nochmal, ich dachte, ich kann mich auf dich verlassen! Das hast du doch mit Absicht gemacht, weil du nicht willst, dass wir wieder zusammen kommen. Herr Gott nochmal, Michi! Wann geht das endlich in deine Birne rein, dass ich Miriam liebe?", schrie er mich nahezu an. Hinzu kam, dass er mich an den Oberarmen festhielt und mich intensiv schüttelte.
Seine Worte verletzten mich. Ich hatte mir Mühe gegeben und alles versucht, Smudo das schönste Candlelight-Dinner zu bescheren, das ich in der kurzen Zeit auf die Beine hatte stellen können. Und das war jetzt sein Dank? Mich anzubrüllen und kleinzureden?
„Das stimmt doch überhaupt nicht! Ich wollte..."
„Ja, ja. Ich weiß, was du wolltest. Dass Miri auf dem Absatz wieder kehrt macht, wenn sie hier reinkommt und sieht, was hier los ist. Wie konnte ich nur so dumm sein und glauben, dass du das hinbekommen würdest?"
Enttäuschung auf Smudos und Verzweiflung auf meiner Seite standen uns ins Gesicht geschrieben.
„Smu, ich hab gar nicht an Miriam gedacht! Ich hab nur...", probierte ich es noch mal, aber er unterbrach mich erneut.
„Richtig, du hast nicht an Miriam gedacht. Du hast nur an..."
Smudo hielt inne. Ich nutzte diese Pause und führte seinen Satz fort:
„Ich hab nur an dich gedacht, Smu." Meine Worte waren leise und selbst ich hörte die Traurigkeit aus ihnen heraus.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt