Oder lebst du schon?

62 5 2
                                    

Die Wohnung war traumhaft. Ich sah sie bereits fertig eingerichtet vor mir. Das war genau das, was Smudo und ich suchten. Es stimmte einfach alles. Ich wusste, dass Smudo begeistert sein würde, wenn er mit hier wäre.
Als der Rundgang beendet war, hatte ich endlich Gelegenheit, mit Uli weiterzusprechen.
„Smudo hat einen anderen Termin, er konnte heute nicht mitkommen", nahm ich unser abgebrochenes Gespräch von vorhin wieder auf.
„Ach so. Also wollt ihr zusammenziehen?"
Ich nickte und merkte, dass ich das Lächeln bei dem Gedanken daran gar nicht verhindern konnte.
„Na das geht ja fix bei euch."
Der Satz hatte einen leicht bitteren Unterton und ich gab mir Mühe, ihn zu überhören.
„Ach weißt du, wozu noch länger warten und Zeit verplempern? Wir... sind nun mal nicht mehr 20. Ich will die Zeit, die uns noch bleibt, mit Smudo genießen", meinte ich.
Jetzt rollte Uli schmunzelnd mit den Augen.
„Ihr seid knapp über 50. Du redest, als wärt ihr fast 80", sagte sie.
„Du weißt, was ich meine", antwortete ich, nachdem ich mir ein Seufzen nicht verkneifen konnte.
„Ja... Habt ihr euch schon viele Wohnungen angeschaut?"
„Zu viele vielleicht. Die hier ist toll. Man könnte..."
Wir schwärmten beide über die Wohnung, Uli fand sie ebenso perfekt wie ich. Auf die Frage hin, ob sie für eine Person nicht zu groß wäre, antwortete Uli nur, dass es eine gute Möglichkeit für Home-Office wäre, da sie ein richtiges Arbeitszimmer einrichten könnte und außerdem noch die Möglichkeit für ein Gästezimmer gegeben wäre. Ich konnte mir gut vorstellen, wie sie die Wohnung in ihrem Kopf eingerichtet hatte. Uli fragte mich nach meinen Vorstellungen und ich hatte das Gefühl, sie konnte meine Gedankengänge dabei ebensogut nachvollziehen.

Nachdem der Vermieter mit den anderen beiden Interessenten gesprochen hatte, wendete er sich Uli und mir zu:
„Nun, was sagen Sie?"
„Eine sehr schöne Wohnung", sagte sie.
„Wirklich schön, ja", stimmte ich ihr zu.
Er nickte zufrieden.
„Also haben Sie Interesse an der Wohnung?"
Es irritierte mich, dass er uns das gleichzeitig fragte. Noch überraschter war ich, als das Wort „Nein", gleichzeitig aus Ulis und meinem Mund kam. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass sie die Wohnung unbedingt haben wollte. Anscheinend hatte sie das selbe von mir gedacht, denn ich sah, wie sie die Stirn runzelte.
Jetzt schaute auch der Vermieter komisch.
„Aber was", stammelte er verwirrt, „wie darf ich das denn verstehen?"
„Sie müssen das nicht verstehen", antwortete Uli, deren Stirn nun wieder glatt war. „Ich kann hier nicht einziehen, das... geht einfach nicht."
Ich bemühte mich, ihren nun ruhigen und freundlichen Ton aufzugreifen:
„Geht mir genauso. Mein Freund wird Ihnen das selbe sagen."
Der Vermieter kratzte sich am Hals.
„Wie jetzt, Ihr Freund? Laut meiner Liste sind Sie doch Herr und Frau Beck. Oder etwa nicht?"
Uli und ich schauten uns an – und lachten.
„Ja, schon. Also, wir sind sogar noch verheiratet. Aber das ist nur Zufall, dass wir hier gleichzeitig aufkreuzen. Wir suchen unabhängig voneinander eine Wohnung", erklärte ich dem armen Mann schmunzelnd, der nun deutlich Farbe im Gesicht bekam.
„Oh Gott, das tut mir leid. Ich habe mich schon gewundert, wieso Sie beide separat bei mir angerufen haben und einen Termin wollten. Ich dachte, Sie hätten sich nicht richtig abgesprochen. Das... Ich bitte vielmals um Entschuldigung."
Er war nun feuerrot angelaufen.
„Macht doch nichts", beruhigte ich ihn.

Dieses Missverständnis hatte für einige Erheiterung sowohl bei Uli als auch bei mir gesorgt. Ich wollte mich mit ihr nicht um eine Wohnung streiten, deshalb hatte ich die Frage des Vermieters verneint. Sie sah das genauso und so verzichteten wir eben beide auf diese Wohnung. Das musste ich heute Abend nur Smudo noch erklären. Es würde schon noch eine andere kommen, die ihm und mir gefallen würde. Außerdem hatte ich immer noch die Wohnung von vor drei Tagen im Kopf, über die ich mit Smudo nochmal reden wollte. Sie hatte mir ausgesprochen gut gefallen. Smudo hatte aber gezögert und ich wusste ehrlich gesagt nicht, warum.

„Sein Gesicht!", lachte Uli, als wir das Wohnhaus verlassen hatten und unter dem Vordach des Eingangs kurz stehenblieben.
Ich stimmte in ihr Lachen ein. Der Vermieter hatte sich wirklich nicht wohl gefühlt in seiner Haut, das hatte man ihm angesehen.
Es schneite und ich setzte meine Mütze auf. Uli tat es mir gleich und setzte sich dann in Bewegung. Sie war mit unserem Auto angereist, ich mit Smudos. Es war komisch, den Wagen wiederzusehen. Wir würden uns später noch um die konkrete Aufteilung von allen gemeinsamen Besitztümern kümmern und ich schluckte meinen Kommentar herunter, der mir dazu auf der Zunge lag.

Kein Rosenkrieg. Das haben wir uns versprochen. Also lass es sein.

Wir hatten uns eigentlich gar nichts versprochen. Ich hatte mir das selbst versprochen und ich hatte das Gefühl, dass Uli ebenfalls darauf achtete, sich mit mir nicht über die Überreste unserer Ehe zu bekriegen.
„Was macht ihr Weihnachten?", fragte Uli interessiert.
„Essen. Essen. Essen. Wahrscheinlich", zählte ich lachend mit den Fingern auf. „Und du?"
„Ich fliege nach Stuttgart, zu meinen Eltern. Driving home for Christmas, weißt du ja..."
„Klar. Grüß sie von mir."

Ihr – unser – Auto stand weiter vorn in der Straße als Smudos und so verabschiedete ich mich von ihr, als wir letzteres erreichten.
„War schön, dich zu sehen", murmelte sie an mein Ohr, als wir uns kurz umarmten.
„Mmh", machte ich und ließ sie wieder los. „Viel Glück bei der Wohnungssuche."
„Euch auch."
Ich umrundete den Wagen und öffnete die Fahrertür. Kopfschüttelnd stand ich da. Es war komisch, meiner Noch-Ehefrau so zufällig über den Weg zu laufen. Mir wurde dabei jedes Mal aufs Neue bewusst, dass sie nun eigentlich keine Rolle mehr in meinem Leben spielte. Das war okay, aber eben auch komisch, weil es so viele Jahre anders gewesen war.
„Schöne Weihnachten!", rief ich ihr noch hinterher, dann stieg ich ins Auto und zog die Tür zu.

Und jetzt Smudo beibringen, dass wir die perfekte Wohnung nicht nehmen können, weil Uli da war und sie nicht haben möchte. Das wird ein Spaß. Aber das kann ich einfach nicht machen. Wir finden schon eine andere Wohnung.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt