Diesmal ist es anders

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Uli musste gehört haben, wie ich in unsere Einfahrt gefahren war, denn sie öffnete mir die Tür, als ich sie gerade aufschließen wollte. Wortlos sahen wir uns an. Dann ging ich an ihr vorbei und hängte meine Jacke an den Haken. Sie schloss die Tür hinter mir und beobachtete mich, wie ich die Schuhe auszog. Ich hatte keinen Nerv für sie. Mein erster Weg führte in die Küche, wo ich mir ein Schnapsglas mit Wodka befüllte und es direkt exte. Ein zweites Glas folgte und kurz darauf ein kräftiger Schluck aus der Flasche. Der Schnaps brannte wie Feuer in meiner Kehle, was mich für einen Moment davon abhielt, daran zu denken, was dieser Abend zwischen Smudo und mir alles verändert hatte. Doch der Effekt hielt nicht lange an, weshalb ich die Flasche erneut an meine Lippen setzte.
„Spinnst du? Hör auf mit dem Scheiß!", rief Uli und riss mir die Flasche aus der Hand. Offenbar war sie mir in die Küche gefolgt.
„Lass mich", murrte ich und griff nach der Flasche. Uli wich meinen Fingern aus. „Jetzt gib schon her."
„Nein!"
„Uli, gib mir die Flasche."
„Was ist denn los mit dir? Kommst hier rein, sagst kein Wort zu mir. Ich weiß nicht mal, wo du warst!"
Sie hielt die Flasche so, dass ich nicht an sie rankam.
„Ich war bei Smu. Zufrieden?", beantwortete ich ihre Frage. „Jetzt gib mir die Flasche."
Doch Uli machte keinerlei Anstalten, meiner Aufforderung nachzukommen. Im Gegenteil, sie wich vor mir zurück, als ich noch mal nach dem Wodka griff. Ich hatte im Moment wirklich keine Geduld für solche Spielchen.
„Uli, zum letzten Mal. Her. Mit. Der. Flasche!", fuhr ich sie an. Dabei lief ich auf sie zu und drängte sie somit immer weiter nach hinten, bis ich sie gegen die Spüle presste. Beinahe verängstigt erwiderte sie meinen eindringlichen Blick.
„Bitte, dann besauf' dich halt. Dann erzählst du mir halt nicht, was los ist", meinte sie. Ich hörte ihr die Verständnislosigkeit direkt an. Energisch drückte sie mir die Flasche in die Hand, schob mich von sich und rauschte an mir vorbei.

Eigentlich war das so gar nicht meine Art. Aber was war denn in letzter Zeit überhaupt noch meine Art? Mich mit Uli über jeden Kleinscheiß zu zanken? Mir pausenlos den Kopf über Smudo zu zerbrechen? Mich selbst zu bedauern, weil ich mit den beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben Probleme hatte?

Die Flasche Wodka in meiner Hand machte mit einem Mal einen vorwurfsvollen Eindruck auf mich. Anklagend lag sie in meiner Hand.
„Scheiße, ey."
In mir brodelte es, als ich den Alkohol zurückstellte. Am liebsten hätte ich irgendwas in meiner Umgebung kurz und kleingeschlagen, um mich abzureagieren, aber in der Wohnung gab es nichts für solche Aktionen. Ich nutzte das laute Zuschlagen der Zimmertüren als kleines Ventil. Doch das brachte Uli auf die Palme.
„Hast du sie noch alle!?", brüllte sie aus einem anderen Zimmer. Im nächsten Moment stand sie mit eindringlichem Blick kopfschüttelnd vor mir. „Michi! Stopp! Was zur Hölle ist los mit dir?"

Ich will einfach nur jemanden, der mich in den Arm nimmt. Und mir sagt, dass alles wieder gut wird und dass er das nicht so gemeint hat. Er war doch selbst genervt von der Tussi, ich hab doch genau gesehen, wie er mit den Augen gerollt hat. Ich brauche ihn, verdammt noch mal.

Vor meinem inneren Auge war Smudo derjenige, der mich in den Arm nahm, mir sagte, dass alles wieder gut würde und er es nicht so gemeint hätte. In der Realität jedoch spürte ich, wie Uli behutsam ihre Arme um mich legte.
„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht so anschreien, Schatz", murmelte sie, während ihre Hände beruhigend über meinen Rücken wanderten.
„Ist es wegen Smudo?"
Die Reaktion meines Körpers war eindeutig. Mir stiegen aus heiterem Himmel Tränen in die Augen, die ich gar nicht gewollt hatte. Instinktiv klammerte ich mich an Uli, nahm den Halt entgegen, den sie mir anbot und konnte nicht verhindern, dass ich kurz schniefte, auch wenn ich die Tränen zurückhalten konnte.
„Ich hab' mir so eine Mühe gegeben. Alles hab' ich gemacht, was in der kurzen Zeit möglich war. Damit es ihm gefällt, damit er einen unvergesslichen Abend hat. Damit er glücklich ist."
Ich atmete kurz durch.
„Und dann kam sie. Und hat alles... kaputt gemacht. So... kalt war er noch nie zu mir. Noch nie", erzählte ich mit bebender Stimme.

Uli hatte mich schon weitaus schlimmer als jetzt erlebt. Ich war dankbar, dass sie mich auffing, obwohl es sich falsch anfühlte, ausgerechnet mit ihr über Smudo zu reden. Sie sagte nichts, stellte keine Fragen, streichelte einfach weiter meinen Rücken.
„Was ist, wenn er mir nicht verzeihen kann?"

Es ist immer noch ursprünglich Ulis Schuld. Kann ich ihr das verzeihen? Kann ich ihr noch vertrauen? Was ist, wenn ich es nicht kann?

„Er ist dein bester Freund, Schatz. Ihr habt schon heftigeres überstanden", versuchte Uli mich zu beruhigen.
Ich schüttelte den Kopf und legte ihn dann resigniert auf ihrer Schulter ab. Er fühlte sich unendlich schwer an.
„Nein. Diesmal ist es anders."

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt