Creep

60 6 2
                                    

„Okay, das ist nicht witzig. Das ist überhaupt nicht witzig."
Irritiert betrachtete ich Smudo, der gerade vom Briefkasten wiedergekommen war. Er legte den Großteil der Briefe und Werbeflyer beiseite und behielt einen einzelnen Brief in der Hand.
„Was ist los?"
„Hier. Schau selbst."
Sein Ton war ernst. Dann reichte er mir den Briefumschlag.
„Was zum...? Von wem ist der?", fragte ich verwirrt.
Smudo zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung. Aber der- oder diejenige hat nicht die Post genutzt. Da ist weder eine Briefmarke noch eine Adresse drauf..."
„Aufmachen?"
„Ja."

Mein Herz schlug schnell, das Ganze war mir nicht ganz geheuer. Ich merkte, dass meine Finger leicht zitterten, als ich den Umschlag aufriss, auf dem zwei Galgenmännchen mit Smudos und meinem Gesicht waren, die jemand aus Fotos unprofessionell ausgeschnitten und aufgeklebt hatte. Ansonsten war der Umschlag unbeschriftet, einen Absender gab es natürlich auch nicht.
Ein akkurat gefalteter Zettel mit weniger akkuratem Inhalt kam zum Vorschein. Wie in einem alten Film waren einzelne Buchstaben aus verschiedenen Zeitschriften ausgeschnitten und aufklebt worden. Es ließ sich schlecht lesen, weil die Person, die den Brief verfasst hatte, recht unordentlich gearbeitet hatte, aber ich schaffte es, Smudo die Botschaft vorzulesen:
„Ich habe euch in der Hand.
Ich weiß alles über euch.
Wo ihr wohnt und wo ihr hingeht.
Ich bin immer da.
Ich kenne die Wahrheit.
Ihr Schwuchteln habt gelogen.
Ihr werdet tun was ich euch sage.
Sonst seid ihr erledigt.
Das Foto ist nicht das einzige das ich habe.
Ich melde mich bald wieder."

„What the fuck?!", fasste Smudo das zusammen, was sich gerade in meinem Kopf abspielte. „Und welches Foto?", fügte er meine nächste gedankliche Frage auch schon hinzu.
Ich warf einen zweiten Blick in den Umschlag und entdeckte tatsächlich noch ein Foto darin.
„Hey, das ist voll das schöne Bild", kam es mir leise, ungewollt über die Lippen, denn dieser Kommentar war angesichts der Situation eigentlich eher unangebracht.
Aber es stimmte, mir gefiel das Foto. Smudo und ich waren darauf zu sehen und wir küssten uns gerade. Das Foto musste von letzter Woche sein, als wir einen Spaziergang gemacht hatten und zwischendurch auf einer Bank Platz genommen hatten, um uns die vorbeilaufenden Leute anzuschauen. Ich erinnerte mich an den Kuss, er war nur ganz kurz gewesen, aber offensichtlich war dieser kurze Moment festgehalten worden.
Trotz des schönen Fotos schauerte es mich bei seinem Anblick. Irgendjemand hatte uns beobachtet, uns vielleicht verfolgt und sogar noch heimlich fotografiert.

„Aber was ist denn das für ein kranker Typ bitte?", fragte ich entsetzt.
Es war, so weit ich mich erinnern konnte, noch nie vorgekommen, dass einer von uns Vieren einen Drohbrief aus seinem persönlichen Briefkasten gezogen hatte.
„Das würde ich auch gern wissen, wer das ist", murmelte Smudo.
Er fuhr sich mit der Hand über seinen Bart am Kinn und wirkte dadurch sehr nachdenklich.
„Überleg mal mit, Michi... Wer könnte sowas verfassen? Wer will uns drohen, wer will uns irgendwie was Böses?"
„Na ja... Das könnte irgendein x-beliebiger durchgeknallter Fan sein, der spitz gekriegt hat, dass das gar nicht stimmt, was wir auf der Pressekonferenz erzählt haben. Und der jetzt denkt, er kann uns damit erpressen, weil wir nicht wollen, dass das an die Öffentlichkeit kommt. Was Bullshit ist, aber..."
„Aber denkst du wirklich, dass das ein Fan machen würde? Was ist denn das dann bitte für ein Fan, wenn er uns erpressen will..."
Ich zuckte mit den Schultern.
„Ja, was weiß ich, was es für Leute gibt. Ich frag' mich sowieso, wie unsere Fans das aufnehmen. Aber darum geht's jetzt nicht."
Smudo sah mich angespannt an.
„Nehmen wir das ernst oder denkst du, da hat sich jemand einen unlustigen Scherz erlaubt?"
Ich schaute in seine blauen Augen und erkannte Sorge darin. Außerdem befand sich eine Falte zwischen seinen Augen, die da sonst nicht war.
„Ich weiß es nicht", antwortete ich wahrheitsgemäß. „Lass uns abwarten, was mit ‚bald' gemeint ist und dann schauen wir weiter. Dann können wir immer noch Bär Bescheid geben und uns überlegen, was wir dann machen. Ja?"
„Okay."

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt