Man kann über alles reden

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Ich hörte ein Seufzen und erkannte Thomas. Er stellte sich neben mich und schaute geradeaus.
„Smudo ist am Ende. Wir wissen alle nicht, was wir machen sollen. Hör mal, ich weiß, du hast das nicht so gemeint. Denkst du, du...", begann er, doch ich unterbrach ihn.
„Natürlich hab ich das so gemeint! Glaubst du etwa, ich hätte das alles aus Spaß gesagt?", meinte ich schnippisch.
Ich wusste, dass Thomas seine Augen verdrehte, obwohl ich ihn nicht ansah.
„Er braucht dich, Michi. Schluck dein großes, verletztes Ego runter und red nochmal mit ihm", sagte Thomas ruhig, aber bestimmt.

Ich wusste, dass Thomas Recht hatte. Smudo und ich hatten immer schon den besten Draht zueinander gehabt. Meine Kippe war eh fast zu Ende geraucht. Ich nahm noch einen Zug und drückte den Stummel dann am Geländer aus.
„Gut. Wo ist er?", lenkte ich ein.
„Da, wo du ihn zurückgelassen hast. Wo sonst?", antwortete Thomas.
Ich nickte und wir gingen gemeinsam zurück zum Probenraum. Thomas steckte seinen Kopf durch die Tür.
„Andy, kommst du mal eben?", rief er hinein. „So, dann... Wir holen uns einen Kaffee. Kann ne Weile dauern, ja?", bemerkte Thomas und klopfte mir auf die Schulter.

Langsam drückte ich die Klinke herunter und betrat unseren Probenraum. Etwas unschlüssig schloss ich sie von innen und lehnte mich mit dem Rücken daran. Das Schniefen von der Couch machte es mir quasi unmöglich, nicht dahin zu sehen. Irgendjemand musste Smudo Taschentücher gebracht haben, denn er hielt eines in der Hand. Ein weiteres lag zerknüllt vor ihm.
Es war wirklich kein schöner Anblick und ich bekam Gewissensbisse, ob ich nicht doch etwas zu hart gewesen war.

„Was willst du denn jetzt noch?", erklang Smudos Stimme schon fast wimmernd.
„Ich, ähm...", stammelte ich und entschied mich dann für das meiner Meinung nach naheliegendste: „Thomas meinte, ich soll nochmal mit dir reden."
„Dann geh wieder. Ich brauch das nicht nochmal. Einmal reicht", meinte er resigniert und schnäuzte seine Nase.
„Nein man, ich... ich wollte doch nur...", stotterte ich weiter und kam mir ziemlich hilflos vor.

Jetzt reiß dich mal zusammen, Beck! Du wirst es doch wohl hinbekommen, dich zu entschuldigen!

„Tut mir leid, Smu... Für grad eben. Kann... kann ich mich zu dir setzen?", brachte ich dann tatsächlich über meine Lippen.
Smudo nickte, nachdem er mir noch einen prüfenden Blick zugeworfen hatte. Vorsichtig nahm ich neben ihm Platz. Ich musterte ihn. Er sah erschöpft aus. Mein Blick fiel auf die Zeitung, die ich vorhin auf den Tisch geknallt hatte. Sofort stieg erneut Wut in mir auf, doch ich zwang mich, ruhig zu bleiben.

„Erklärst du's mir?", fragte ich und nickte in Richtung der Zeitung, als Smudo mich ansah.
Seine blauen Augen waren gerötet.
„Ich kann mich nicht mehr erinnern, Michi... Wir wollten einen schönen Abend bei ihr verbringen, Miri und ich. Wir haben was getrunken, aber dann hat sie irgendwann Schnäpse ausgepackt und das wirklich nicht zu knapp. Ich weiß nur, dass ich heute früh alleine in meinem Bett aufgewacht bin. Das hab ich überhaupt nicht verstanden, weil wir sonst nie getrennt schlafen."
An dieser Stelle stiegen ihm erneut Tränen in die Augen und er schluchzte. Es tat mir weh, ihn so zu sehen. Ich legte automatisch einen Arm um ihn und streichelte sanft über seinen Rücken. Anscheinend machte es das Ganze aber eher schlimmer als besser, denn Smudo wurde von einem Schluchzer nach dem anderen geschüttelt. Ich nahm den Arm deshalb wieder weg, aber Smudo bat mich fast schon verzweifelt, ihn festzuhalten. Überrascht tat ich ihm den Gefallen und spürte, wie er wenige Augenblicke später seine Arme selbst um mich schlang und seinen Kopf in meiner Halsbeuge vergrub. Das war mir eigentlich etwas zu viel Nähe, aber ich wollte ihn nicht noch mehr verletzen, als er es sowieso schon war. Und so konnte ich vielleicht meine Aktion von vorhin wenigstens etwas wieder gutmachen, indem ich jetzt für Smudo da war. Deshalb strich ich ihm stattdessen beruhigend über den Rücken und wartete einfach ab, bis er bereit war, weiter zu erzählen.

„Ich hab keine Ahnung, wie ich in diesem Club gelandet bin. Ich weiß auch nichts von Miri, dass sie mich dort gefunden hat. Wir waren den ganzen Abend zusammen, soweit ich weiß. Ich bin heute morgen mit Kopfschmerzen in meinem Bett aufgewacht und als ich Miri... als ich ihr geschrieben habe, warum ich nicht bei ihr bin, hat sie geschrieben..."
Smudo schniefte erneut.
„Dass sie nichts mit einer Schwuchtel zu tun haben will und es vorbei wäre! Michi, ich bin doch nicht schwul, verdammte Axt!", erklärte Smudo verzweifelt und hatte sich dafür etwas von mir gelöst, sodass wir uns nun in die Augen schauten.
„Sicher? Es wäre kein Problem für mich, wenn du es wärst", sagte ich leise.
„Spinnst du? Nein, man! Ich liebe Miri! Ich..."

Auch, wenn sich in mir alles zusammenzog, als er sagte, dass er diese Bitch lieben würde, konnte ich es nicht ertragen, ihn so aufgelöst zu sehen und schluckte meinen Ärger runter.
„Ich weiß doch, Smu", flüsterte ich und legte eine Hand an seine Wange.
Sein Bart war angenehm weich. Unwillkürlich strich ich mit dem Daumen die Tränen unter seinem Auge weg.
„Es gibt bestimmt eine Erklärung für das alles. Jemand hat sich einen ganz blöden Scherz mit dir erlaubt. Wir kriegen das wieder hin, okay?", redete ich ihm gut zu.
Smudo nickte leicht und ich erkannte Erleichterung und die Andeutung eines Lächelns in seinem Gesicht.

Ich zog ihn in eine Umarmung, sodass sich mein Mund direkt neben seinem Ohr befand.
„Tut mir leid, dass ich dich so angebrüllt habe, Smu", flüsterte ich und ich spürte, wie Smudo erleichtert ausatmete.
„Mach... mach das nie wieder, Michi. Bitte", flüsterte Smudo zurück.
Ich stutzte.
„Was genau meinst du?", fragte ich.
„Mich ansehen, als würdest du mich hassen", sagte er.
Seine Stimme klang verletzlich. Ich runzelte die Stirn, was Smudo natürlich nicht sehen konnte.

Wahrscheinlich ist er so fertig, dass er gar nicht mitbekommt, was er hier gerade faselt.

„Klar", murmelte ich und klopfte ihm auf den Rücken.
Dann löste ich mich aus seinen Armen und dieser doch etwas fragwürdigen Position.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt