So sehr

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Der Lärm der Stadt und der Strände wurde von Sekunde zu Sekunde weniger. Es war toll, die Küste von so weit weg sehen zu können. Nach ein paar Minuten machte Smudo den Motor wieder aus und alles, was wir noch hörten, war das leichte Schlagen des Wassers gegen den Rumpf des Bootes.
„Woher kannst du das alles hier?", fragte ich, weil mir die Frage wirklich auf der Zunge brannte.
Smudo grinste.
„Na ja, können ist was anderes. Aber ich habe viel darüber gelesen, bevor wir in den Urlaub geflogen sind. Und so schwer ist das hier ja nicht. Ich habe auch keinen Führerschein für den Spaß. Das, was Antonio mir vorhin gesagt hat, ist theoretisch alles, was ich weiß. Praktisch ist es aber noch ein bisschen mehr. Knoten und sowas hab' ich mir angeschaut", erzählte er.
Staunend blickte ich ihn an.
„Du steckst voller Überraschungen", sagte ich.
„Kannst du mal sehen. Da kennen wir uns seit über 30 Jahren und das wusstest du trotzdem nicht."
„Ich wusste auch bis vor kurzem nicht, dass du auf mich stehst", merkte ich an und küsste ihn grinsend.
„Wir können ein bisschen herumfahren, wenn du willst. Es gibt kein konkretes Ziel", sagte Smudo dann und lächelte mich an.
Ich überlegte. Hier draußen waren wir tatsächlich völlig ungestört.
„Lust auf 'ne Abkühlung?"
„...klar, wieso nicht? Weißt du jetzt endlich auch, wieso du eine Badehose mitnehmen solltest?"
Ich lachte kurz auf und streichelte Smudo kurz über seinen Oberschenkel.
„Ja, du Heimlichtuer."

Das Wasser war frisch, nur die obersten zwanzig Zentimeter hatte die Sonne wirklich aufgewärmt. So weit draußen kamen auch ab und an kalte Wasserströmungen an, aber eigentlich störte mich das gar nicht so sehr. Man hätte wahrscheinlich nicht vermutet, dass wir zwei 51-jährige Männer waren, wenn man uns von weitem gesehen hätte. Wir waren eigentlich durchgehend damit beschäftigt, dem jeweils anderen eine ordentliche Ladung Wasser ins Gesicht zu spritzen und zwischendurch prustend zu lachen. Das Salzwasser brannte in meinen Augen, aber das war mir egal. Das hier waren Smudo und ich, wie wir uns nicht verstellten, einfach nur das taten, was wir wollten und dabei jede Menge Spaß und – mindestens von meiner Seite aus – Liebe empfanden.

Irgendwann beschloss Smudo, wieder aufs Boot zu gehen und er kletterte die Leiter hoch, die seitlich am Boot befestigt war. Mir war hingegen noch nicht danach und so schwamm ich ein paar Minuten lang um das Boot herum. Schwimmen war schon kein schlechter Sport, mich störte nur meistens die nasse Badehose danach. Aber die würde ich hier, nur mit Smudo, ja auch einfach separat trocknen lassen können.
Die Sonne stand bereits recht flach über dem Wasser, als ich ebenfalls die Leiter wieder hochkletterte. Ich fand Smudo im hinteren Teil des Bootes. Er hatte den Tisch und die Bank weggeklappt und den Boden mit flauschigen Handtüchern ausgelegt. Mit der Sonnenbrille auf der Nase lag er da und war offensichtlich eingenickt.
Es war einfach zu verlockend, ich konnte gar nicht anders, als mich – nass und tropfend – direkt auf Smudo zu legen. Seine Haut war aufgewärmt von den warmen Sonnenstrahlen und bildete damit den kompletten Kontrast zu meiner Haut. Mit einem erschrockenen Schrei wachte er auf und wand sich unter mir.
„Du Arsch!", schimpfte er aufgebracht, doch ich ließ mich davon gar nicht beeindrucken. Unbeirrt verschloss ich meine Lippen mit seinen und setzte alles daran, dass er mich nicht von sich herunter bekam. Smudo wehrte sich weiterhin, doch schnell wurde sein Widerstand weniger und er ließ sich stattdessen seufzend von meinen Lippen und meiner Zunge verführen. Es war ein liebevoller Kuss im warmen Schein des Sonnenuntergangs. Ich spürte, dass Smudo nach einer Weile in den Kuss hineinlächelte und gleichzeitig seine Arme um meinen Rücken schlang.
Es war so perfekt mit ihm. Das hier war genau das, was ich nie zu träumen gewagt hatte – mit Smudo einen Moment von purem Glück zu teilen, der nur entstanden war, weil wir uns liebten. Ich wusste tief in mir, dass die Verbundenheit zwischen uns so stark war, dass uns nichts und niemand aufhalten konnte, dass wir alles schaffen konnten. Ich wollte mein Leben mit ihm teilen und für ihn da sein, wenn er eine Stütze brauchte. Und ich hoffte, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte, denn ich wollte nie wieder ohne ihn sein.
Ich unterbrach den Kuss für einen kurzen Augenblick und öffnete die Augen. Smudos Augen, noch schöner als das Blau des uns umgebenden Ozeans, zogen mich in ihren Bann.
„Ich liebe dich, Smu", sagte ich leise und drückte Smudo einen vorsichtigen Kuss auf die Lippen.
Mein Herz schlug schnell, denn so richtig darüber nachgedacht, was ich gerade gesagt hatte, hatte ich nicht. Ich hatte es einfach gefühlt, so wie ich das schon seit einer Weile fühlte.
Smudos Fältchen um seine Augen wurden tiefer, sein Blick noch weicher.
„Ich liebe dich auch, Michi."
Seine Hände zogen meinen Kopf zu sich. Kurz bevor sich unsere Lippen trafen, stoppte er die Bewegung.
„Und wie ich dich liebe. Ich liebe dich so sehr. So sehr, Michi."
Es war kaum mehr als ein Flüstern. Mit vor Glück schimmernden Augen überbrückte ich die letzten Zentimeter zwischen Smudos und meinen Lippen. Dabei schloss ich meine Augen und verlor mich zusehends in diesem Kuss, der wie die nonverbalen Version der Worte schien, die wir uns gerade gesagt hatten.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt