Alles oder nichts

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„Hast du Lust, mit mir noch was zu zocken?", fragte Smudo, nachdem er sein Glas geleert hatte.
„Klar, wieso nicht?", erwiderte ich.
Ich war zwar nicht der größte Freund von Konsolen-Games, aber ich wusste, dass Smudo das sehr mochte. Ab und zu fand ich das auch ganz okay.
„Cool. Dann lass uns mal abräumen und dann überlegen wir, was wir spielen, ja?", schlug Smudo vor und erhob sich von seinem Stuhl.
Ich mochte das, wie er so oft von uns sprach. Er schien das gar nicht zu bemerken, zumindest wirkte es nicht so, als würde er das absichtlich sagen.
Wir räumten also gemeinsam den Tisch ab und stellten das Geschirr in der Küche ab. Smudo wollte das übrig gebliebene Essen gern noch in den Kühlschrank verfrachten und war darum auf der Suche nach geeigneten Dosen. Da ich mich dann doch nicht so extrem gut in seiner Küche auskannte, lehnte ich mich mit dem Rücken an die Küchenzeile und beobachtete ihn dabei.
„Was steht denn eigentlich zur Auswahl?", fragte ich ihn.
„Was meinst du?", kam die Gegenfrage, während Smudo skeptisch in den Schrank neben mir schaute und die Tür dann mit leeren Händen wieder schloss.
„Zum Zocken", konkretisierte ich, was ich meinte.
„Ach so. Ja, ich hab' verschiedene Sachen da, die man zu zweit gut spielen kann. Schauen wir dann gleich mal, ja?", sagte Smudo. „Ah, da oben steht sie doch", murmelte er dann mehr zu sich selbst.
Er stand direkt vor mir und machte einen langen Arm nach oben zum Hängeregal hinter mir. Ich wäre ja auch zur Seite gegangen, aber diese Option schien bei Smudo nicht zur Debatte zu stehen. Ich fand mich in der Situation wieder, dass Smudo mich mit seinem Körper an seine Küchenzeile presste, da er nicht an die Dose nicht ranzukommen schien und sich seine Lippen keine zehn Zentimeter von meinen entfernt befanden. Langsam hob ich meine Arme und wollte meine Hände an seine Taille legen, um ihn dann bei mir halten zu können. Doch gerade, als ich ihn berührte, sagte er:
„Hab' ich dich endlich!"
Triumphierend hielt er mir die Aufbewahrungsbox vor die Nase, war zu diesem Zweck aber im selben Moment bereits einen Schritt von mir gewichen. Ich machte mit meinen Händen an den nun merkwürdig angewinkelten Armen zwei Daumen nach oben und versuchte, mich nicht über die verpasste Chance zu ärgern, Smudo endlich zu küssen. Ich sehnte mich danach, seine Lippen wieder auf meinen zu spüren.
Smudo transportierte sogleich die Überbleibsel der Käsespätzle mit einer Kelle in die Box. Von den Eierkuchen war nichts übrig geblieben und auch der Wein war leer.
„So, wäre das auch erledigt. Kommst du?", meinte Smudo und hielt mir die Küchentür auf.
„Gern."

Smudo nannte mir eine ganze Reihe von Spielen, die zur Auswahl standen, doch mir sagten die vielen Titel rein gar nichts. So ließ ich mir von Smudo einen groben Überblick geben, worum es denn in den Spielen ging und überließ ihm am Ende doch die Entscheidung, was wir spielen würden. Die Wahl fiel auf ein buntes Jump'n'run-Game.
Wir saßen auf dem Boden vor dem Fernseher, mit dem Rücken an die Couch gelehnt.
„Wieso ist denn das gar nicht mehr in der Bibliothek? Ich dachte, ich hab' das hier noch drauf... Aber hier... nein, ich muss es erst installieren. Tut mir leid. Wir können auch was anderes..."
„Ach, das dauert doch sicherlich nicht ewig, das Installieren, oder? Passt schon", meinte ich.
„Na gut, wenn du meinst..."
Smudo legte die CD ein und startete die Installation. 15 Minuten wurden als voraussichtliche Dauer angezeigt. Smudo seufzte.
„Dauert doch ein Stück..."
„Und was machen wir da jetzt?", fragte ich.
„Warten."
„Okay."

Da ich nicht eine viertel Stunde einfach so rumsitzen wollte, rutschte ich näher an Smudo heran und legte meinen Kopf auf seine Schulter.
„Was machst du?", fragte er leise.
„Ich warte. Und du?"
Ich hörte ein amüsiertes Schnauben.
„Ich auch."
Ich griff mit meiner linken nach Smudos rechter Hand und fuhr dann mit meiner anderen Hand sanft über seinen Handrücken. Dass Smudo nichts dagegen unternahm, beflügelte mich innerlich und ließ mein Herz schneller schlagen.
„Mit dir ist warten gar nicht so schlimm", meinte ich nach kurzer Zeit und hob den Kopf kurz an, um Smudos Gesicht sehen zu können.
„Stimmt", meinte er lächelnd mit Blick auf unsere Hände. „Michi?", fragte er dann und ich hob den Kopf wieder an.
„Smu?"
„Weißt du, dass das der schönste Abend ist, den ich seit langem hatte?"
„Jetzt weiß ich es", antwortete ich mit einem leichten Grinsen im Gesicht.
„Heute ist sogar noch ein bisschen schöner als vorgestern..."
„Finde ich auch."
Es war Zeit, mutig zu sein.
„Und wieso?", fragte Smudo.
Ich nahm seine Hand und legte sie an meine Wange. Mir schlug das Herz bis zum Hals, als er wie automatisch mit seinem Daumen leicht darüber fuhr und meine Augen mit seinem Blick fixierte. Ich konnte den Blick nicht mehr von ihm lösen, für nichts auf der Welt. Meine eigenen Hände legte ich an seine Wangen, ohne Druck auszuüben.
„Weil ich heute weiß, dass du das selbe fühlst... wie ich."
„Tue ich das, ja?", sagte Smudo mit rauer Stimme.
Ich fuhr mit meinem Daumen an seinem Kinn entlang und dann vorsichtig über seine Unterlippe. Sein Atem ging unruhig, was ich merkte, da er seinen Mund leicht geöffnet hatte.
„Das hoffe ich", wisperte ich.
Und damit näherte ich mich seinen Lippen, bis ich endlich – endlich! – meine Lippen mit seinen vereinen konnte.

Das Leben - Angenehm und irre kompliziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt