-forty-four-

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„Na gut. Lass uns rein gehen." Mabel grinst mich an, zieht an der Tür und betritt als erstes von uns das Lokal. Langsam folge ich ihr hinein und zucke kurz zusammen, als die Tür laut zuknallt. Die Tische und Stühle bestehen aus dunklem Holz, genau wie die Theke wo man das Essen bestellen muss. An den Wänden hängen vereinzelte ausgestopfte Tiere, die ein wenig unheimlich aussehen. Ich habe es nicht so dunkel und gruselig in Erinnerung. In der Mitte des Raumes steht ein großer Pfosten und als wir uns der Theke nähern, kann ich meinen Blick von dem hintersten Tisch nach dem Pfosten nicht abwenden.

Das Gelächter meines Dads erklingt durch das ganze Diner und mir fällt beinahe die Kinnlade hinunter. Meine Vermutung hat sich bestätigt, denn mein Dad sitzt gegenüber einer Blondine! Einer Frau! Mein Dad hat wahrhaftig eine Verabredung mit einer anderen Frau und hat mir davon nichts erzählt. Eigentlich sollte ich enttäuscht darüber sein, dass mir mein eigener Dad nichts von seiner neuen Bekanntschaft berichtet hat. Stattdessen freue ich mich für ihn und hoffe es läuft alles so wie er es sich vorgestellt hat. Er verdient es glücklich zu sein und mal jemand anderes zu daten als seine Arbeit. Verabredungen kommen als Cop zu kurz und manchmal hatte ich das Gefühl er wäre mit seiner Abriet verheiratet. Als Mom noch bei uns war habe ich sie öfters darüber streiten hören wie wenig Zeit er für sie habe und ich hatte immer das Gefühl, dass dies ein Grund war, wieso sie sich getrennt haben. Wenn das so war kann ich das verstehen. Wenn mein Freund kaum Zeit für mich hätte würde ich auch durchdrehen. Ich meine, ja man muss arbeiten gehen und mein Dad arbeitet so viel um uns ein schönes Leben finanzieren zu können- doch man braucht genug Zeit zu zweit. Man benötigt Liebe und Respekt und nicht aneinander vorbei zu leben.

Lieben ist nicht sich gegenseitig anzusehen, es ist gemeinsam in die gleiche Richtung zu sehen. Diesen Spruch habe ich damals auf Pinterest entdeckt und es hat die Ehe meiner Eltern beschrieben. Meine Mom ist eine Romantikerin, liebt Blumen und liebte es mit Dad gemeinsam essen zu gehen. Mein Dad hingegen ist einfach gestrickt, Hauptsache er hat einen Fernseher, eine Couch und ein Bier zur Hand. Mehr braucht dieser Mann nicht um zu überleben. Am Anfang konnten sie ein Mittelgewicht aufbauen und gingen nur einmal im Monat romantisch aus. Doch nach meiner Geburt konzentrierte sich mein Dad immer mehr auf seine Arbeit, wurde Stadtsheriff und war von früh bis spät unterwegs. Er hatte sich von Anfang an in den Kopf gesetzt mir eine schöne Kindheit zu ermöglichen und mir eines Tages das College bezahlen zu können, damit ich studieren gehen kann. Meine Mom kam damit nicht zurecht, obwohl sie den Grund verstand und es auch so wollte. Jedoch bekam sie von der Ehe nichts mehr mit, jeder Tag fühlte sich gleich an und sie vermisste die Aufmerksamkeit ihres Mannes. Am Ende entschieden sie sich fremde Wege zu gehen und ich war auch der Meinung, dass es das richtige war. Somit konnte mein Dad sich auf seine Arbeit und auf mich konzentrieren und meine Mom lernte einen neuen Mann kennen, der sie auf Händen trägt und sie mit jeder Faser seines Körpers liebt.

„Ist alles okay?" Mabel stellt sich mir gegenüber, nimmt meine Hände in ihre und sieht mich aufmerksam an. Sie ist sicherlich total aus dem Häuschen, weil sie sich genau so schlecht wie ich vorstellen kann, wie mein Dad ein date hat. Das ist für uns alle eine Primäre. Doch meine Freundin möchte sich erst vergewissern, wie ich die ganze Sache empfinde, bevor sie vor Aufregung und Verblüfftheit noch platzt.

„Ja. Es ist alles okay." Mein Blick liegt die ganze Zeit an dem hintersten Tisch und jede Sekunde beobachte ich die Freude, die in Dads Gesicht geschrieben ist. Er scheint wirklich Spaß zu haben. „Wenn es dir doch zu blöd ist können wir auch woanders hingehen, Evelyn." Bevor ich mich ihrem Angebot zuwenden kann, erklingt hinter uns die Stimme der Kellnerin, die hinter der Theke steht, und lässt mich zusammenfahren. Ich habe eben definitiv zu lange an das Ende der Ehe meiner Eltern zurückgedacht.

„Hey, ihr zwei! Möchtet ihr noch was bestellen oder wollt ihr nur dumpf in der Gegend rumstehen?" Ohne, dass Mabel sich der unhöflichen Frau umdreht, wartet sie noch auf mein okay. Ich liebe Mabel wirklich, sie war immer für mich da und ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich ihr nicht erzählt habe, was mir an jenem Abend in London geschehen war. Wenn sie es wüsste, würde sie begreifen, warum ich nicht über Liam oder generell anderen Jungs reden möchte. Wenn ich die Worte doch nur über die Lippen bekommen würde... dann hätte ich es ihr schon längst erzählt. Sie würde mir helfen, mit mir reden und sich um mich kümmern, anstatt mich zu verurteilen.

Abgelenkt nicke ich Mabel bestätigend zu, dass ich hier bleiben möchte. Sie lächelt mich daraufhin aufmunternd an und geht mit mir Hand in Hand an die Theke. „Evelyn?" Versteinert reiße ich die Augen auf, rühre mich nicht vom Fleck und fühle mich plötzlich ertappt. Hinter mir nehme ich große, laute Schritte wahr und ganz langsam drehe ich mich um. Vor mir steht mein Dad, mustert mich gespannt und er sieht genauso ertappt und aufgeflogen aus wie ich. Warum denn? Ich habe ihm schließlich nicht hinterher gestalkt und bin nur mit einer Freundin in einem Diner essen gegangen. Niemals hätte ich ahnen können, dass er auch hier ist und gerade ein Rendezvous hat. „Was machst du denn hier?" Er klingt nervös und aufgeregt zu gleich. Immer wieder schaut er nach hinten zu seiner Begleitung, die uns neugierig von weiten mustert. Ich würde auch gerne die Frau näher betrachten und sehen mit was sich mein Dad so abgibt. Jetzt ist jedoch ein falscher Zeitpunkt und ich sehe kurz zu Mabel, die mir zunickt, meine Hand los lässt und für uns schon einmal das Essen bestellen geht, damit ich in Ruhe mit meinem Dad sprechen kann. „Ehm..." Mehr kann ich nicht sagen, denn ich fühle mich so klein. „Ich dachte ihr wolltet wandern gehen?" Wiedermal schaut er nach hinten, wippt nervös mit einem Bein hin und her und kratzt sich verlegen am Hinterkopf.

„Waren wir auch. Jetzthaben wir Hunger und wollten hier etwas essen. Ich hatte keine Ahnung, dass duauch hier sein würdest", murmle ich hastig und senke meinen Blick. „Möchtest dumir deinen Kollegen vorstellen, oder ist es noch zu früh dafür?" Ich betone dasWort „Kollegen" extra stark und in seinen Augen funkelt etwas auf. Auf seinen Lippen bildet sich ein schönes Lächeln und er dreht sich wieder um. „Es ist noch zu früh, aber ganz bald kannst du sie kennenlernen." Mein Dad scheint wirklich glücklich zu sein und ich greife nach seiner Hand. „Ich freue mich, dass du dich wieder mit anderen Frauen triffst. Du hättest es mir nicht verheimlichen müssen. Ich hätte mich gefreut, wenn du es mir gesagt hättest." Ich muss ihm Mut machen, denn manchmal hatte ich das Gefühl er möchte keine Freundin haben um mich nicht zu verletzen. Natürlich würde es komisch sein wieder eine Frau im Haus zu haben, aber ich bin die letzte Person auf Erden, die ihren Dad nicht glücklich sehen möchte.

„Danke. Reden wir Zuhause weiter darüber? Sie wartet auf mich und jetzt kann ich ihr davon berichten was für eine tolle Tochter ich habe." Nun liegt auch auf meinen Lippen ein Grinsen und ich umarme ihn kurz. Er erwidert es, zieht dann seinen Geldbeutel aus der Hosentasche und reicht mir zwanzig Mäuse. „Hier. Lad Mabel zum Essen ein und habt Spaß." Dabei sieht er zu ihr rüber und winkt ihr kurz zu.

„Danke, Dad. Wir sehen uns später Zuhause." Er nickt mir noch einmal zu und schlendert dann durch das Diner zurück zu seiner neuen Bekanntschaft. Ich bewege mich nicht vom Fleck und habe so die Möglichkeit die Frau zu mustern. Ihre langen, blonden Haare fallen ihr glatt hinunter und ihre Grübchen lächeln mich bis hier hin an, als sie meinen Dad wieder begrüßt. Sie trägt eine lässige Bluse und eine silberne Kette. Irgendwie kriege ich das Gefühl nicht los, dass sie mir bekannt vorkommt, oder jemanden ähnlich sieht, denn ich kenne.

„Was hat er gesagt?" Mabel erscheint neben mir und hat in den Händen eine große Papiertüte in der Hand. Sie hat das Essen zum Mitnehmen bestellt, anstatt zum hier Essen. „Erzähle ich dir gleich. Lass uns von hier verschwinden und die beiden Turteltäubchen allein lassen."

-Weil ich es dir nicht sagen konnte-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt