-seventy-

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„Ich habe mich mit den falschen Leuten angefreundet und bin mit ihnen auf eine Party gegangen. Dort durfte ich schon rein, ohne einundzwanzig zu sein. Ich war jung und naiv und wollte einfach Freunde haben", fährt sie fort und lässt ihren Blick von mir abschweifen. Ich streichle zart mit meinem Daumen über ihre Hand, sodass sie darauf schaut, als sie weiter redet.

„Es hat sich schnell herausgestellt, dass ich nicht zu meinen damaligen Freunden gehöre, denn sie haben mich allein gelassen. Stattdessen hat sich ein Mann zu mir gesellt und mich nicht mehr in Ruhe gelassen." Ihre Stimme bricht fast.

Mein Puls steigt in die Höhe, in meinem Hals bildet sich ein Kloß und meine rechte Hand forme ich zu einer Faust. Egal, was sie mir gleich erzählen wird, ich weiß jetzt schon, dass es mir nicht gefallen wird.

„Er hat mich bedrängt und angefasst, bis ich ihn getreten habe und weg gerannt bin. Dann bin ich die ganze Nacht allein durch die Straßen gelaufen, da ich mich nicht auskannte. Ich habe niemanden davon erzählt, nicht einmal meinen Eltern. Mabel hat es heute erfahren und deswegen erzähle ich es auch nun dir. Es tut nicht mehr so weh, darüber zu sprechen und es hilft mir damit abzuschließen."

Sie sieht mir in die Augen und allmählich kehren ihre Emotionen zurück.

„Jedenfalls habe ich mich dann dem Sport gewidmet und mich so abgelenkt. Es hat gut geholfen, aber seitdem ich wieder hier bin habe ich es vernachlässigt."

Ich nehme ihr Gesicht in meine Hände und streichle ihr sanft über die Wangen. Ihr Mund ist leicht geöffnet, sie funkelt mich mit ihren dichten Wimpern an und ich sehe ihr fest in die Augen.

„Dieser Typ war ein Arsch.Ich verspreche dir, dass sowas nicht mehr passieren wird. Du wirst nie wiederdiese Angst spüren müssen und wenn es dir hilft, werde ich dir ein paar Selbstverteidigungsschritte beibringen, Evelyn Parker."

Auf ihren Lippen bildet sich ein schmales Lächeln und eine Träne rollt ihre Wange entlang. Mit meinem Daumen fange ich diese auf und wische sie weg.

Innerlich bin ich wütend und würde dieses Arschloch am liebsten zusammenschlagen. Wie kann man so grausam sein und sowas einem jungen Mädchen antun? Das Alter spielt zwar keine Rolle, trotzdem macht mich das wütend. Generell erlauben sich die Menschen zu viel. In unserer Gesellschaft wird so viel Unerlaubtes getan und so viele Psychopathen erlauben sich über andere Leben zu entscheiden. Anstatt das die Polizei solche kranken Menschen wegsperrt, lassen sie die laufen und bringen lieber welche hinter Gitter, die Steuerhinterziehung begonnen haben. Das ist so albern und sollte schleunigst geändert werden.

Ich kenne viele Mädchen die sich abends oder geschweige denn nachts nicht allein aufhalten möchten. Sie wagen es nicht einmal die Post reinzuholen, oder den Müll rauszubringen. Sie befürchten das Schlimmste und wer kann es ihnen verübeln? Es ist die Wahrheit und das Evelyn diese Erfahrung machen musste macht mich traurig. Sie hat sowas nicht verdient. Niemand verdient sowas.

„Woran denkst du?", flüstert sie.

„Daran, dass du etwas viel Besseres verdient hast."

Wir schauen uns tief in die Augen und langsam legt sie mir ihre Hände um den Hals. Mein Körper beginnt wieder an zu kribbeln und ich nähere mich ihrem Gesicht. Dieses Mädchen zieht mich auf ihre Weise magisch an und ich kann mich nicht dagegen wehren. Schon morgen werde ich mit Catrice sprechen und ihr sagen, dass wir so nicht weiter machen können. Es erstaunt mich auch, dass Evelyn nichts zu dem Thema gesagt hat. Vermutlich genießt sie den Moment genau wie ich. Und ich werde ihr irgendwann die Wahrheit darüber sagen, weshalb aus Catrice und mir ein Paar geworden ist. Jetzt wäre eigentlich der perfekte Moment gewesen, da sie mir auch etwas Wichtiges anvertraut hat. Aber ich möchte die Stimmung nicht zerstören und das Thema aufwühlen. Vielleicht wird sie mich verurteilen und zu den anderen ins Zelt flüchten. Jedenfalls wird sie mich kritisch ansehen und an meiner Intelligenz zweifeln. Außerdem wird sie denken ich sei ein fuckboy.

Sie zieht meinen Kopf näher an sich heran und ihr Atem streift meine Haut. Sie macht mich verrückt.

„Küsst du mich endlich?", raunt sie elegant und grinsend lege ich meine Lippen auf ihre und wir verschmelzen zusammen. Ich habe alles was ich zum Überleben brauche bei mir. 

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Evelyn

Die Sonnenstrahlen scheinen dermaßen auf mein Gesicht, dass ich langsam wach werde. Mein Nacken ist hart und ich recke meinen Hals. Es dauert eine weile bis ich meine Augen aufbekomme und verstehe, wo ich mich befinde.

Ich liege auf dem Schoß von Liam, eingekuschelt in einer Decke. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, die Decke geholt zu haben. Liam muss sie von dem anderen Stuhl genommen und uns so zugedeckt haben. Nachdem wir uns hier auf dem Stuhl geküsst haben sind wir so im Sitzen eingeschlafen und nun tut mein ganzer Körper weh. Ich möchte mir gar nicht vorstellen wie Liam sich fühlen muss mit meinem ganzen Gewicht auf ihm drauf.

Ich drücke mich langsam hoch und schaue in sein Gesicht. Seine Augen sind noch geschlossen und er schläft tief. Er merkt nicht, wie ich aufstehe und ihn danach zudecke. Ich strecke mich in alle möglichen Richtungen und schaue mich um.

Ich bin die erste die wach ist. Wie können die solange schlafen? Die Sonnenstrahlen sind echt extrem und die Geräusche des Waldes lassen einem keine Ruhe.

Ich entschließe mich auf Toilette zu gehen, schnappe mir eine Packung Taschentücher in meiner Tasche und laufe irgendwo mitten durch die Bäume. Als ich weit genug entfernt bin ziehe ich meine Hose aus und lasse mich nieder.

Ich habe Liam also echt erzählt, was in London geschehen ist. Es hat sich richtig angefühlt ihn einzuweihen. Es fiel mir sogar leichter darüber mit ihm zu reden als mit Mabel. Ich denke das liegt daran, dass ich es schon jemanden erzählt habe und weil Liam und ich eine andere Verbindung zueinander haben. Er weiß es jetzt, er kennt meine Angst und ich kann damit abschließen. Ich muss nicht mehr darüber nachdenken es ihm irgendwann erzählen zu müssen, sondern habe es hinter mir. Über Probleme zu reden macht einiges leichter und man braucht die ganze schwere Last nicht mehr allein zu tragen.

Aber wo stehen Liam und ich jetzt? Sind wir Freunde mit gewissen Vorzügen? Sind wir mehr als Freunde? Ich habe keine Ahnung, aber wir müssen es klären. Ich denke ich wäre bereit eine Beziehung mit ihm einzugehen, obwohl ich mich nicht so schnell binden wollte. Außerdem ist er noch in einer Beziehung, aber er wird es locker mit ihr beenden. Ich glaube nicht, dass er mich nur als Freundin sieht.

Gut gelaunt laufe ichzurück zu unserem Platz und es hat sich nichts verändert. Alle schlafen nochund ich nehme neben Liam Platz. Viele Minuten schaue ich ihm einfach beim Schlafen zu, beobachte wie sich sein Mund beim Einatmen leicht öffnet und wieder schließt. Plötzlich ertönt ein Ton unter mir und ich schaue auf den Boden. Liams Handy hat vibriert und liegt im Gras. Es ist ihm vermutlich runtergefallen. Ohne zu überlegen hebe ich das Handy auf, damit es nicht vom feuchten Gras kaputt geht. Ohne es zu wollen bleibt mein Blick etwas zu lang am Display hängen und mein Körper spannt sich an.

Na klar kann ich heute Abend zu dir kommen, Schatz. Freue mich auf deine Lippen.

Ich werfe das Handy zurück auf den Boden als würde es heiß sein und ich könnte mich daran verbrennen. Catrice hat ihm diese Nachricht geschrieben, also müsste er ihr davor geschrieben haben, ob sie sich sehen können. Heute Vormittag mit mir und abends mit ihr. 

-Weil ich es dir nicht sagen konnte-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt