-fifty-five-

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„Hallo? Ist hier jemand?" Von weiten kann ich einen undeutlichen Umriss erkennen und mein Herz hat schon längst aufgehört zu schlagen. Meine Hände krallen sich immer mehr an den Türgriff und als plötzlich etwas zu Boden fällt und einen lauten Knall erzeugt, schreie ich kurz auf.

„Fuck", höre ich jemanden sagen und endlich tritt die Person in das Licht vom Haus und ich schnappe unwillkürlich nach Luft. Liam Adams steht gerade wirklich in meiner Einfahrt und wenn ich richtig sehe, hat er eine Falsche Bier fallen lassen, die nun zersplittert auf dem Asphalt liegt.

„Ich räume das morgen weg." Etwas schwankend kommt er auf mich zu, doch traut sich nicht die wenigen Treppenstufen zur Eingangstür hochzugehen. Ist er betrunken? Ich dachte er trinkt nie viel.

„Hast du getrunken? Wie bist du hergekommen?" Wieder einmal sehe ich mich in der Dunkelheit um, doch kann sein Auto nicht erkennen.

„Mein Auto steht irgendwodahinten." Leicht lallend zeigt er an den Straßenrand und verliert beimUmdrehen beinahe den Halt und kann sich noch rechtzeitig am Geländer festhalten.

„Wieso hast du getrunken? Und wieso um Himmels Willen bist du betrunken Auto gefahren?" Auf seinen Lippen breitet sich ein Grinsen aus und er versucht meinem Blick standzubleiben.

„Sag es nicht deinem Dad. Sonst sperrt er mich noch weg." Er fängt an zu lachen und lässt sich dann schwankend auf die letzte Treppenstufe nieder. „Ich hole dir ein Glas Wasser. Beweg dich nicht vom Fleck, verstanden? Und wenn ich wieder komme will ich deine Autoschlüssel." Mit diesen Worten lasse ich ihn allein und während ich zur Küche laufe, scheinen meine Beine immer weicher zu werden. Irgendwie habe ich noch nicht ganz realisiert, was eben geschehen ist. Anstatt das mein Dad nach Hause gekommen ist, habe ich es jetzt mit Liam zu tun, der betrunken ist. Wieso ist er überhaupt hier her gekommen? Hat er sich verfahren, oder wollte er wirklich zu mir? Bevor ich mich gleich übergeben muss, weil ich so nervös bin, schlage ich mir die Gedanken aus dem Kopf und kümmere mich darum, ein volles Glas Wasser für ihn vorzubereiten. Ich hoffe inständig, dass Dad nicht jetzt nach Hause kommt. Wenn er erfährt, dass ein Jugendlicher betrunken gefahren ist kennt er keine Gnade und das möchte ich Liam wirklich ersparen.

Zusammen mit dem Glas Wasser mache ich mich auf den Weg zurück zu Liam, der gehorsam auf den Stufen sitzt und nichts Dummes tut.

„Hier. Trink das komplett aus und wenn es leer ist hole ich dir mehr." Ich nehme neben ihm Platz und reiche ihm das Glas Wasser. Er nimmt es mir, ohne mich dabei zu berühren, aus der Hand und schlingt es innerhalb von Sekunden hinunter. Dabei fließen ein paar Tropfen daneben und befeuchten sein T-Shirt. Erst jetzt fliegt mein Blick über seinen Körper. Er trägt eine lange Sporthose, aber die könnte auch eine Jogginghose sein. Sein weißes T-Shirt klebt, wie alle seine Shirts, direkt an seinem Oberkörper und durch die nassen Flecken kann man seine stramme Haut darunter noch besser erkennen. Zum ersten Mal riecht er nicht nach seinem Parfüm, sondern nach Alkohol. Besser gesagt nach Bier und ich hasse diesen Geruch. Es gibt kein Getränk welches schlimmer riecht und genau deswegen ziehe ich die Nase kraus.

„Wo sind deine Autoschlüssel?" Ich wende mich komplett zu ihm und suche sie mit meinen Augen. Seufzend greift er ungeschickt in seine rechte Hosentasche und reicht sie mir rüber. Ich ergreife sie sofort und umklammere sie fest in meinen Händen.

„Was machst du überhaupt hier?" Er wagt es nicht mich anzusehen und hält seinen Blick lieber geradeaus auf den Hof gerichtet.

„Ich weiß nicht", gesteht er ehrlich und ich starre ihn einfach nur stumm an. Er weiß nicht, wieso er hergekommen ist? Er wagt es hier aufzutauchen ganz ohne Grund und wirft damit all meine Gefühle erneut auf den Kopf? Ich bin nicht zum Spiel gefahren, damit ich ihn nicht sehen muss und jetzt sitzt er hier in meiner Einfahrt und weiß nicht, warum er hier aufgetaucht ist?

„Wie war das Spiel?" Immer wieder schaue ich auf die dunkle Straße, weil ich die Befürchtung habe, dass mein Dad hier jeden Moment auftauchen könnte.

„Wir haben verloren."

„Das erklärt auch, wieso du getrunken hast", entgegne ich sofort, obwohl es mir immer noch ein Rätsel ist, weshalb er sich die Kante gegeben hat. Er ist genau wie ich kein Trinker.

„Nein. Ich war abgelenkt und konnte mich nicht konzentrieren, deswegen hat unser Team verloren. Es ist alles meine Schuld gewesen."

Ich rapple mich auf und strecke meine Hand nach ihm aus. Ungern würde ich zulassen, dass er allein nach Hause fährt, also werde ich das für ihn erledigen. „Das glaube ich nicht. Jetzt komm, ich bringe dich nach Hause, denn du musst dringend schlafen und deinen Kater überleben."

Wie ein verlorener Welpe sieht er zu mir rauf, senkt seinen Blick zu meinen ausgestreckten Händen und wieder zu meinem Gesicht hoch.

„Ich möchte nicht allein sein", gesteht er und meine Miene bricht in sich zusammen. Generell wirbeln meine Gefühle in meinem Körper hin und her und ich muss mir selbst eingestehen, dass ich selbst nicht möchte, dass er wieder geht.

„Ich lasse dich nicht allein. Aber lass mich dich nach Hause bringen und dann schauen wir weiter. Hier kannst du in deinem Zustand nicht bleiben, oder möchtest du, dass mein Dad dich so sieht?"

Nun gibt er sich einen Ruck, erhebt sich und muss sich sofort am Geländer festkrallen, um nicht auf den Asphalt zu knallen.

„Ich schließe schnell das Haus ab und dann können wir los." Ungern lasse ich ihn unten stehen und mache mich auf den Weg zurück ins Haus. Da ich meine Hausschlappen trage, schlüpfe ich eilig in meine Sneakers, schließe die Tür ab und gehe wieder zu ihm.

„Halt dich an meiner Schulter fest", fordere ich ihn auf und kurze Zeit später landet seine Hand an meiner Schulter und sofort fängt meine Haut an zu kribbeln. Was ist nur los mit mir, wenn er in meiner Nähe ist, geschweige denn mich berührt? Schnell verwerfe ich diese miesen Gedanken und kümmere mich darum, dass wir beide so schnell wie möglich aus dem Hof verschwinden und nicht hinfliegen. Sein Gewicht liegt schwer auf meinen Schultern, doch ich nehme es auf mich.

„Wo steht dein Auto?" Langsam kommen wir am Bürgersteig an und ich sehe mich in beide Richtungen um. Ich muss meine Augen anstrengen, bis ich sein Wagen auf der linken Seite erkennen kann. Spätestens morgen früh werde ich meinen Dad darauf hinweisen, dass er jemanden bescheid sagen soll die Laternen auch in unserem Viertel aufzubauen.

Aus der Ferne erscheinen helle Scheinwerfer und deswegen führe ich unseren Weg schneller fort. Wenn das mein Dad ist müssen wir schnell verschwinden. Ungeschickt schließe ich seinen Wagen auf, stecke den Schlüssel zurück in meine Hosentasche und ziehe die Beifahrertür auf. Da Liams Gewicht sehr auf mir liegt ist das schwerer als gedacht. Endlich lässt er mich los und schwingt sich mühsam in das innere des Autos. Dabei stößt er beinahe seinen Kopf und ich muss mir beinahe das Lachen verkneifen. Die Situation ist überhaupt nicht lustig und ich kann mir nicht erklären, wieso ich andauernd ein Lächeln auf den Lippen habe. Jedoch freue ich mich ihn wiederzusehen, obwohl ich spätestens morgen wieder mit Herzschmerzen im Bett liegen werde.

-Weil ich es dir nicht sagen konnte-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt