Evelyn
Die Knie an meinen Oberkörper gezogen sitze ich auf Mabels Sessel und starre auf den Boden. Schon seit einer Ewigkeit hocke ich hier und sage keinen Ton. Sofort am Morgen bin ich zu ihr gefahren und habe sie aus ihrem Schlaf geweckt. Ich hatte Angst, dass Liam so früh auftauchen würde und sein Auto abholen möchte, also bin ich direkt zu Mabel aufgebrochen. Meinem Dad habe ich seine Autoschlüssel gegeben und ihm gesagt, dass Liam sie im laufe des Tages abholen wird. Gott sei Dank hat er mich nicht gefragt, wieso sein Auto bei uns steht, denn ich bin direkt aus dem Haus gelaufen.
Ich bin so müde und könnte im Sitzen einschlafen. Doch direkt, wenn ich meine Augen schließe taucht Liams Gesicht vor mir auf und die gestrige Nacht läuft in Dauerschleife ab. Erst gegen vier Uhr konnte ich schlafen, allerdings nur für ein paar Stunden.
„Möchtest du wirklich nichts essen?" Mabel erscheint im Zimmer und setzt sich auf das Bett. In den Händen hält sie einen Teller, auf dem zwei belegte Brötchen liegen. Sie trägt noch ihren Schlafanzug und sieht noch ziemlich müde aus. Ich hatte Glück, dass sie heute doch bei sich zuhause geschlafen hat und nicht mit zu Taylor gegangen ist.
„Nein, danke."
„Du siehst irgendwie ziemlich fertig aus. Ist irgendwas passiert?" Sie scheint besorgt, müde und hungrig zugleich zu sein. Denn sie beißt gähnend in ihr Brötchen und sieht mich ununterbrochen an.
„Ich möchte einfach nichtZuhause sein", stammle ich unverständlich und lege meinen Kopf in den Nacken.Meine Augenringe ragen fast bis zu meinem Mund und mein Magen ist ausgehungert.Ich habe keine Ahnung wie spät es ist, aber ich muss den ganzen Tag irgendwoanders sein als bei mir Zuhause. Ich möchte Liam nicht begegnen, nicht so kurznach unserem Kuss gestern. Mir fällt kein Wort ein was ich dann zu ihm sagenkönnte und ich kann schon gar nicht damit klarkommen, wenn er meint, dass esein Ausrutscher gewesen sei. Das würde mir noch den Rest geben und ich werde nie mehr raus gehen.
„Wie war das Spiel gestern?" Meine Beine zittern unter meinen Händen und ich versuche es so gut es geht zu verstecken. Sie ist schon seit Jahren meine beste Freundin und merkt sofort, wenn ich irgendwas verheimliche, also wird es nicht mehr lange dauern, bis sie mich auf die Wahrheit ansprechen wird. Dennoch versuche ich es so lange zu verzögern wie es geht.
„Es war okay. Anfangs lag unser Team weit vorne, aber gegen Ende hat es nicht mehr gereicht. Die Jungs waren angepisst, allerdings war es das erste Spiel der Saison. Die beruhigen sich schon wieder."
Sie beißt wieder von ihrem Brötchen ab, während ich ihr zunicke. Immer wieder schaue ich aus ihrem Zimmerfenster und bilde mir mehrmals ein, dass Liam mit seinem Auto hier vorbei fahren würde. Was totaler quatsch ist, da sein Zuhause wo ganz anders ist.
„Hast du meinen Dad gesehen? Konnte er sich beherrschen und nicht zeigen, dass er auch ein Football Fan ist?" Zum ersten Mal ringe ich mich zu einem Lächeln, da ich mir gut vorstellen kann, wie mein alter Herr auf der Tribüne sitzt und einen auf bösen Cop machen muss, obwohl er lieber klatschen, Bier trinken und unser Team anfeuern würde.
„Ich habe ihn nur kurz gesehen mit Popcorn in den Händen. Ich denke, er hatte seinen Spaß trotz seiner Arbeit", grinst sie mich an.
„Er hatte keine weibliche Dame mit dabei, oder?"
„Nein. Evelyn, komm schon. Du kennst deinen Dad. Erst nach dem fünften Date würde er ihr von seiner Schwäche zu Sport erzählen." Wieder lache ich und zupfe meinen Dutt zurecht. Ich sehe aus wie eine lebendige Leiche und bin erstaunt, dass ich nicht direkt in meinem Schlafanzug hergefahren bin.
„Genug von diesem Thema. Willst du nicht langsam mal mit der Wahrheit rausrücken?" Mein Körper spannt sich an und ich kann ihrem Blick nicht weiter stand halten.
„Was meinst du?" Jetzt sieht sie mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und setzt sich in einen Schneidersitz um mich genau unter die Lupe nehmen zu können.
„Dir ist schon bewusst, dass du hier gerade mit mir redest? Es wird ja wohl einen gravierenden Grund gehabt haben, dass du so verdammt früh an einem Samstagmorgen bei mir auftauchst und wie eine Leiche hier rum sitzt."
Meine Maske fällt in sich zusammen und ich schaue sie entschuldigend an. Sie hat recht und ich weiß, dass ich ihr die Wahrheit sagen muss. Verlegen schnappe ich mir ein Kissen und presse es gegen mein Gesicht.
„Jetzt spuck es schon aus! Ich will wissen was du getan hast." Sie scheint amüsiert zu sein und brennt vor Neugier. So war sie schon immer und wenn ich sie weiter auf glühenden Kohlen laufen lasse, wird sie mich noch umbringen oder in ihren Schrank sperren.
„Ja ja ja. Ist schon gut. Du sollst mich aber nicht verurteilen, wenn du Bescheid weißt."
Ich nehme das Kissen zur Seite und sehe, wie Mabel mich mit riesigen Augen anschaut, als hätte ich etwas ganz Schlimmes getan.
„Du hast keinen umgebracht, oder?" Lachend hebe ich abwehrend die Hände und schüttle hastig mit dem Kopf.
„Nein, natürlich nicht."
„Ich dachte schon. Dann hätte ich nämlich verstanden, wieso du nicht Zuhause bei deinem Dad, dem Cop, bleiben willst." Lachend klatsche ich mir leicht an die Stirn und winke ab. Ich liebe Mabel und auch jetzt wird mir klar, wie wichtig sie mir ist. Sie lenkt mich ab und versucht mir immer zu helfen. Jetzt kann ich ihr das selbe beweisen, indem ich sie von dem Spektakel von gestern Nacht einweihe.
„Ich war gestern allein Zuhause und dann habe ich Lichter von draußen gesehen, also bin ich vor die Tür gegangen, weil ich dachte es wäre Dad", fange ich langsam an und ordne in meinem Kopf die Reihenfolge, die ich ihr nun erzählen werde.
„Es war aber nicht mein Dad." Ich halte inne.
Mabel sieht mich gespannt an und wartet sehnsüchtig darauf, dass ich endlich zur Sache komme und nicht so ein Geheimnis darum mache.
„Es war Liam", stoße ich leise aus und senke den Blick.
Es vergehen Sekunden, in denen keiner was sagt. Langsam hebe ich den Kopf und schaue zu Mabel hoch, die mich gespannt ansieht. Bis jetzt habe ich noch nichts Spannendes erzählt, dennoch scheint sie jetzt schon erstaunt zu sein.
„Was wollte er bei dir?"
„Keine Ahnung. Er war betrunken und wusste nicht, wieso er zu mir gefahren ist. Ich wollte ihn nicht allein zurück fahren lassen, also habe ich ihn Heim gefahren. Hat Taylor dir nicht erzählt, dass ich ihn nach Liams Adresse gefragt habe?"
Sie schüttelt mit dem Kopf und wartet, dass ich fortfahre.
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-Weil ich es dir nicht sagen konnte-
RomanceDen Glauben an die Liebe verloren zieht Evelyn Parker zurück nach Portland um auf's College zu gehen. Sie möchte einfach ihre Vergangenheit vergessen und nach vorne blicken. Dabei kommt ihr allerdings jemand in den Weg und zerstört ihre Vorsätze. Li...