Meine Fingernägel rammen sich in meine Haut und als ich sehe, wie Liam sich leicht anfängt zu bewegen, schrecke ich vom Stuhl auf und mache einen Schritt nach hinten. Ich dachte wirklich er wäre anders und würde mich nicht verarschen. Dabei ist er genauso schlimm wie der Typ von London und spielt mit meinen Gefühlen. Kopfschüttelnd schaue ich mich hilfesuchend um, kann mich aber nirgends verkriechen. Wenn er jetzt wach wird kann ich mich nicht verstecken und muss mit ihm reden. Mein ganzer Körper ist verspannt und ich stolpere mit hektischen Schritten zurück in den Wald. Wie ein Feigling flüchte ich von dem Platz und gehe dahin zurück, wo ich vorhin auf dem Klo war.
Mein Herz schlägt unregelmäßig und zieht vor lauter schmerzen. Ich klemme mir meine eine Hand gegen die Brust in der Hoffnung den Schmerz so lindern zu können. Die Blätter unter meinen Füßen erschweren es mir so weit wie möglich zu gehen, damit mich Liam unter keinen Umständen finden kann. Irgendwann bleibe ich stehen und finde an einem großen Baum halt. Die Rinde presst sich gegen meine Haut und ich lasse mich an ihm runter gleiten.
Mein Blick bohrt sich in den Boden vor mir. Ich fühle mich elend, leblos und ausgenutzt. Aus meinen Augen kommen keine Tränen, doch innerlich bin ich am Weinen.
Wie konnte ich so dumm sein und mich auf eine vergebene Person einlassen? Ich habe ihm meine Ängste anvertraut und er hat mit mir gespielt, als sei ich eine Puppe.
Ich fühle mich wie betäubt. Der Schmerz verbreitet sich in meinem Herzen, runter zu meinem Bauch. Es entsteht ein ekliges Gefühl voller Wut, Enttäuschung und Trauer. Ich bin auch irgendwie selbst schuld. Anstatt, dass ich ihn auf Catrice angesprochen habe, habe ich ihn an mich rangelassen und es sogar vollkommen genossen. Er hat sie mit mir betrogen und das sagt einiges über mich aus. Bin ich zu einer Schlampe geworden?
Nein. Ich habe sie ihmnicht ausgespannt, oder mich an ihn rangemacht. Der erste Kuss ging eindeutigvon ihm aus und ich habe lediglich auf seine Signale gewartet. Wenn wir beidezusammen waren hatte ich nie das Gefühl, als gäbe es noch eine dritte Person.Erst als ich allein war, habe ich an die Konsequenzen gedacht und mir den Kopfdarüber zerbrochen. Ich hätte ihn viel eher auf sie ansprechen müssen.Stattdessen haben wir hinter ihrem Rücken rumgemacht und ich habe mich in ihn verliebt. Er hat bekommen was er wollte und dann ist es kein Wunder, dass er jetzt zu ihr zurück geht.
Catrice ist wunderschön und hat einen schönen Körper. Ich war nur die Zeitvertreibung und nun will er zu ihr zurück. Jeder Typ ist doch gleich, oder? Es gibt keine anständigen mehr und ich dachte allen Ernstes, dass Liam unschuldig und anständig ist.
Das alles war nur Einbildung.
„Evelyn?" Ich zucke kaum merklich zusammen, lasse meinen Blick dennoch auf den Boden gerichtet. Mein Körper ist wie gelähmt. In mir herrschen alle möglichen Emotionen, doch von außen könnte man denken ich sei tot.
Diese Art schmerz ist schlimmer. Wenn man weint und seiner Wut freien Lauf lässt, fühlt es sich befreiend an. Man kann damit besser umgehen, doch wenn man von innen leidet, kann man nichts gegen das widerliche Gefühl tun. Es steckt in dir und hat keine Möglichkeit zu entkommen.
„Evelyn, wo bist du?" Mabels Stimme scheint näher zu kommen, doch ich rühre mich weiterhin nicht. Ich kann nicht. Nach wenigen Minuten kann ich Schritte um mich wahrnehmen und dann steht auch schon meine Freundin mit den gleichen Klamotten von gestern vor mir und bückt sich zu mir hinunter.
„Oh, Gott. Was machst du denn hier? Ich habe dich gerufen, hast du mich nicht gehört?"
Ich schaffe es gerade so den Kopf zu schütteln und sie greift nach meinen Händen, lässt sie dann sofort wieder los, bevor sie sie wieder nimmt.
„Deine Hände sind kalt."
„Können wir gehen? Also jetzt?" Meine Stimme hört sich völlig fremd an, als würde eine andere Person in meinem Körper stecken.
„Fühlst du dich nicht gut? Vielleicht wirst du krank." Sie legt mir ihre Handfläche auf die Stirn und lässt sie einige Sekunden dort ruhen.
„Fieber hast du nicht. Vielleicht bekommst du eine Erkältung, weil du die ganze Nacht draußen warst", überlegt sie laut.
„Egal was es ist. Ich möchte gerne nach Hause und nicht noch einmal zum Platz." Ich wende meinen Kopf zu ihr und sehe ihr in die Augen.
„Bitte. Ich will nicht noch einmal da hoch." Lange sieht sie mich einfach nur besorgt an und nickt schließlich. Später werde ich Mabel erzählen, was passiert ist und wieso ich jetzt so bin. Gerade bin ich nicht in der Lage und möchte überhaupt nicht den Mund aufmachen. Sie kann ruhig denken, dass ich krank werde und ich deshalb so drauf bin. Vielleicht bekomme ich wirklich eine Erkältung, denn letzte Nacht war es nicht sonderlich warm. Ich würde gerne lieber Fieber bekommen, als mich so leer zu fühlen wie gerade.
„Ich gehe unsere Sachen holen und sage den Jungs Bescheid. Du bleibst hier, okay? Ich hole dich gleich wieder hier ab."
Sie erhebt sich mühsam undverschwindet hinter den Bäumen. Hin und wieder hat sie sich zu mir umgedreht,bis ich sie schließlich nicht mehr sehen kann. Hoffentlich macht sie sich nichtzu große sorgen um mich. Sie fühlt sich für mich verantwortlich, obwohl estotaler quatsch ist. Wir sind wie zwei Schwestern und verhalten uns so. Deswegen werde ich ihr schnellstmöglich die Wahrheit sagen.
Am allerwenigstens möchte ich Liam heute noch einmal begegnen müssen. Ich bin so froh, dass Mabel meiner Bitte nachgekommen ist und sie unser Zeug holt und wir verschwinden können.
Ich bin auch ziemlich erleichtert, dass sie mich gesucht hat und ich nicht dahin zurück gehen musste um sie zu holen. Das erspart mir eine Menge schmerz. Ich kann gerade einfach nicht in seine verlogenen Augen schauen. Heute Nacht habe ich noch auf seinem Schoß geschlafen, wir haben über vertraute Dinge gesprochen und haben uns geküsst. Keine zehn Stunden später schreibt er Catrice schon, ob sie sich heute Abend sehen können.
In meinem Magen dreht sich alles und es fühlt sich an, als müsse ich mich übergeben. Allein ihren Namen in meinen Gedanken zu sagen ist schon zu viel für mich und verursacht noch mehr Übelkeit.
Wieder starre ich einfach nur auf den kalten und mit Moos bedeckten Boden vor mir, bis ich Schritte wahrnehme. Kurz darauf steht Mabel mit unseren Sachen vor mir und es sieht ziemlich mühsam aus, wie sie mit zwei vollen Rucksäcken rumläuft. Langsam rapple ich mich auf und muss mich mit meinen Händen am Baum abstützen, da meine Beine ein wenig eingeschlafen und taub sind.
Als ich mich wieder sammle, strecke ich meine Hand nach Mabel aus, damit sie mir meinen Rucksack aushändigen kann.
„Sicher, dass du den schleppen kannst? Es ist kein Problem, ich kann die beiden tragen bis wir am Auto sind."
„Nein. Gib schon her."
Sie zögert einen Moment, lässt meinen Rucksack dann doch von ihrem Rücken gleiten und reicht in mir rüber. Mit einem Ruck platziere ich ihn auf meinem und warte, bis Mabel los läuft. Mit der Orientierung habe ich es nicht besonders und ich bin viel zu fertig, um jetzt zu überlegen in welche Richtung wir laufen müssen. Zu meinem Pech würde ich uns direkt zurück zu den Jungs führen.
„Was hast du ihnen gesagt, warum wir gehen?", frage ich leise, nachdem wir los gelaufen sind. Mabel läuft wenige Schritte voraus und führt uns zu einem laufbaren Weg. Ob wir diesen Pfad auch beim Hinlaufen gegangen sind, weiß ich nicht mehr.
„Das du dich nicht gut fühlst und vielleicht krank wirst. Sie wollten erst nach dir sehen, doch ich habe es ihnen ausgeredet."
Ich nicke, obwohl sie es von vorne sowieso nicht sehen kann und sage nichts mehr. Der Weg bis nach unten zieht sich endlos in die Länge und keiner von uns sagt einen Ton. Manchmal dreht Mabel sich nach hinten zu mir herum, um sich zu vergewissern, dass ich nicht irgendwo tot im Graben liege.
Ich weiß nicht was in meinem Kopf vorgeht. Es ist, als seien alle Gedanken und Ereignisse gelöscht worden. Mein Kopf fühlt sich leer und leblos an. Als sei mein Geist nicht anwesend, sondern nur die Taten, die ich mache. Ich laufe und schaue mich um. In meinem Kopf allerdings geschieht nichts. Gefühlslos.
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-Weil ich es dir nicht sagen konnte-
RomanceDen Glauben an die Liebe verloren zieht Evelyn Parker zurück nach Portland um auf's College zu gehen. Sie möchte einfach ihre Vergangenheit vergessen und nach vorne blicken. Dabei kommt ihr allerdings jemand in den Weg und zerstört ihre Vorsätze. Li...