Evelyn
Mabel und ich haben noch viel geredet und es dauerte bis wir endlich weiterlaufen.
„Taylor wartet bestimmt schon einige Stunden", merke ich an, als wir uns wieder bewegen und nun ohne Pausen hoch gehen.
„Egal. Ich hoffe, er hat schon angefangen zu Grillen. So langsam bekomme ich auch Hunger." Ich schmunzle und laufe Mabel den Weg hinterher. Es wird immer dunkler und wenn wir uns nicht beeilen werden wir erst oben ankommen, wenn es schon stockdunkel ist. Wie spät es ist weiß ich nicht, da mein Handy irgendwo in meinem Rucksack rumfliegt.
„Ah, jetzt bekommt die Dame auch noch Hunger." Mein Gesicht fühlt sich müde an und ich kann die getrockneten Tränen auf meiner Haut spüren. Ich könnte hier augenblicklich einschlafen und sehne mich nach meinem Bett. Wenn ich daran denke, dass wir heute auf dem harten Boden schlafen werden, könnte ich noch einmal los heulen.
„Wie lang dauert der Weg noch? Letztes Mal sind wir nicht so lange gelaufen, oder?"
Immer wieder schaue ich nach oben und beobachte den Himmel. Wenn es heute Nacht bewölkt sein wird sind wir völlig umsonst hier hoch gelaufen.
„Das letzte Mal sind wir auch ohne Pausen gelaufen", gibt Mabel in einem zickigen Tonfall zurück. Ich runzle die Stirn und bleibe still. Wieso habe ich das Gefühl, dass sie nervös ist? Sonst redet sie ununterbrochen und im Moment schweigt sie wie ein Grab. Hier ist doch irgendwas faul.
Nach weiteren zwanzig Minuten nehme ich den Geruch von Essen wahr. Mir scheint, als könnte ich einen Grill mit Würstchen riechen und ich würge meinen Hunger hinunter.
„Riechst du das auch?" Die letzten zwanzig Minuten hat keiner von uns etwas gesagt. Es war nicht wirklich unangenehm, da man im Hintergrund trotzdem Geräusche der Tiere und der Bäume hören konnte. Trotzdem beunruhigte es mich, dass meine beste Freundin nicht mit mir spricht, obwohl ich ihr vorhin mein Herz ausgeschüttet habe.
„Das muss der Grill sein. Wir sind gleich da."
Nach wenigen Minuten erkenne ich von weitem den Wasserfall und eine Rauchwolke liegt in der Luft. Voller Vorfreude auf das Essen lege ich einen Zahn zu und laufe schneller hinter Mabel her. Sie tut es mir gleich und im Nu kommen wir oben an und atmen erleichtert aus.
„Da seid ihr ja!"
Ich lasse meinen Blick über den Platz gleiten. Ein kleiner Grill steht vor dem zerbrechlichen Zaun neben dem Wasserfall, der mir heute ziemlich leise vorkommt. Auf der Wiese, auf der Mabel und ich letztes Mal unser Sandwich gegessen haben, steht ein großes Zelt und davor stehen vier Campingstühle. Einen Moment. Vier?
„Wir haben Hunger!" Mabel hüpft zu ihrem Freund rüber und umarmt ihn. Taylor steht hinter dem Grill mit einer Zange in der Hand und nimmt sie freudig in den Arm.
Wieder schweift mein Blick zu den Campingstühlen und ich runzle die Stirn. Hier ist doch irgendetwas faul, allein schon wie Mabel mich die letzte halbe Stunde ignoriert hat.
„Leute? Wieso stehen dortdrüben vier Stühle? Wir sind doch nur zu dritt." Beide meiden meinen Blick und begutachten lieber das Fleisch auf dem Grill, anstatt mir zu antworten. Was ist denn hier los? Bin ich im falschen Film, oder störe ich mit meinem Dasein ihre Zweisamkeit? Ich habe keine Ahnung, aber ich finde es richtig scheiße, dass Mabel mich ignoriert.
Meine Wangen fühlen sich immer noch heiß und unwohl an und ich dachte Mabel würde wenigstens ein wenig Mitgefühl zeigen und nicht abblocken.
„Könnt ihr mir auch antworten? Oder seid ihr taub geworden?", zische ich beinahe wütend und gehe auf die beiden zu. Wenn es so weiter geht laufe ich freiwillig den ganzen Weg zurück nach unten und verlasse die beiden für mein gemütliches Bett. Das würde mich niemals ignorieren.
„Evelyn, ich muss dir etwas Gestehen." Mabel tritt einen Schritt auf mich zu und sieht mich mit ihren dichten Wimpern fast schon bemitleidend an.
„Was denn?"
Plötzlich raschelt etwas hinter mir im Zelt und ich drehe mich in einem Schwung herum. Das Zelt bewegt sich und in der nächsten Sekunde wird der Reißverschluss aufgezogen und jemand steigt hinaus. Meine Beine werden augenblicklich weich, mein Blick heftet sich an der Person fest und meine Fingernägel rammen sich in mein Fleisch.
Das kann doch nicht Mabels ernst sein! Wie kann sie sowas machen? Jetzt verstehe ich auch, wieso sie nicht mit mir geredet hat und warum sie so komisch war, nachdem ich ihr von meinem Trauma erzählt habe.
„Die Luftmatratze ist jetzt voll."
Gleich nachdem Liam den Satz zu ende gesprochen hat fangen seine Augen meinen Blick auf und in meinem Hals bildet sich ein riesen Kloß.
Liam steht vor dem Zelt, trägt eine lässige Jogginghose und einen schwarzen Hoodie. Was zur Hölle treibt er hier? Es war nie die Rede davon, dass er mitkommt. Und Mabel weiß auch ganz klar wieso. Liam und mich trennen nur wenige Meter und die Anspannung zwischen uns ist zum Greifen nahe. Sein Blick wandert meinen Körper entlang und meine Augen heften sich an seine Lippen. Es ist länger als eine Woche her als wir uns geküsst haben und seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen und ich habe nicht einmal annähernd daran gedacht, dass er hier auftauchen würde.
Die Schmetterlinge in meinem Bauch drohen zu explodieren und in meinem Kopf spielt sich unser Kuss in Dauerschleife ab. Wie seine großen Hände an meinem Rücken entlang fuhren, sein Atem kitzelte meine Haut und seine Lippen erfüllte jede Körperstelle, die nur möglich war.
Ich hatte nicht gemerkt wie lange ich die Luft angehalten haben, denn jetzt ziehe ich scharf die Luft ein und wende mich meiner besten Freundin zu. Obwohl ich nun mit dem Rücken zu Liam stehe kann ich seinen Blick dauerhaft auf mir spüren. Als würden sie durch mich hindurch strahlen und mich von innen erwärmen. Es ist einfach zu krass was seine Anwesenheit in mir auslösen kann.
„Und du hast mir das verheimlicht?", bringe ich trocken hervor und meine Stimme droht jeden Moment zu brechen. Sie sieht mich einfach nur entschuldigend an und zuckt mit den Schultern. Ich atme tief ein und drehe mich wieder Liam zu, der mich, wie erwartet, immer noch anstarrt als wäre ich ein teures Gemälde.
Plötzlich fühle ich mich ganz klein und ich komme nicht mit dem Druck klar, denn alle schauen mich an. Ob Taylor bescheid weiß? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass ich hier nicht weiter rumstehen kann. Kopfschüttelnd stöhne ich einen genervten Ton aus und gehe links am Wasserfall einen kleinen Weg entlang, bis ich hinter den Bäumen verschwunden bin.
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-Weil ich es dir nicht sagen konnte-
RomanceDen Glauben an die Liebe verloren zieht Evelyn Parker zurück nach Portland um auf's College zu gehen. Sie möchte einfach ihre Vergangenheit vergessen und nach vorne blicken. Dabei kommt ihr allerdings jemand in den Weg und zerstört ihre Vorsätze. Li...