-forty-two-

4K 122 6
                                    

Nach fast zwei weiteren Stunden kommen wir oben am Wasserfall an. Tatsächlich haben wir beide uns den Weg merken können. An einer Kreuzung hatten wir eine kurze Meinungsverschiedenheit, Mabels Meinung nach sollten wir rechts gehen, doch ich war fest davon überzeugt, dass wir links lang müssen. Gut, dass ich dann nachgegeben habe, denn Mabels Weg war der Richtige. Wenn wir nach meinem Plan gelaufen wären, wären wir vermutlich im Kreis gelaufen.

„Es ist genauso wie ich es in Erinnerung habe!", staune ich und schaue mich faszinierend um. Der Wasserfall fließt durch starkes Gestein der von Moos umgeben sind. Wenn man nicht genau hinschauen würde, könnte man die Steine nicht erkennen. „Ja. Nur die Bäume sind größer geworden." Mabel geht näher heran und hält sich am Holzzaun fest. Der Zaun stand auch dort, als wir als Kinder hier waren und sollte dringend mal erneuert werden. Er sieht so verschimmelt aus als würde er bei einer bloßen Berührung umkippen. Hier oben kommen kaum Besucher her, die meisten wissen gar nichts von diesem schönen Ort. Ich weiß noch, wie Mabel und ich uns früher ausgemalt haben, wie wir mit unserem zukünftigen Freund hier hochkommen würden. Wir fanden es als ein bestes erstes Date.

„Warst du mit Taylor schon hier?" Sie kichert neben mir auf und bestätigt, dass sie gerade an das gleiche gedacht hat. „Nein. Aber das muss ich schleunigst mal machen. Es ist wunderschön." Zusammen schauen wir auf das Wasser, wie es hinunterfließt und sich schließlich unten verteilt und sich dem Rest anschließt. Nach ein paar Minuten wende ich mich vom Wasserfall ab und lasse mich auf der Wiese nieder. Sie fühlt sich ein wenig feucht an, doch das ist mir im Moment egal. Wir sind so lange ohne Pause gelaufen, zu sitzen fühlt sich an, als würde ein Kind endlich seine Weihnachtsgeschenke bekommen, auf die er das gesamte Jahr gewartet hat.

„Was macht dein Freund heute eigentlich?" Sie setzt sich neben mich und streckt ihre Beine genussvoll aus. „Rasenmähen. Eher gesagt schaut er zu wie Liam das erledigt. Danach wollen die noch zu James." Als sie seinen Namen ausspricht durchzieht mich ein Schauer und mein Herz setzt einen Schlag aus. „Ach so."

Wieso hat er so eine Macht über mich? Warum erleidet mein Körper so einen angenehmen schmerz, wenn ich nur seinen Namen höre? Das alles ist so verwirrend und vielleicht sollte ich mich Mabel anvertrauen. Sie hat mehr Erfahrungen was Jungs angeht und womöglich kann sie mir sagen, warum meine Hormone so verrückt spielen.

„Wie war die Party eigentlich noch?" Nachdem Liam mich an dem Abend nach Hause begleitet hat, habe ich Mabel eine kurze Nachricht geschrieben, dass ich Heim gegangen war. „Ganz okay. Wir waren auch nicht mehr lange da und wieso hast du mir nicht erzählt, dass Liam dich begleitet hat?" Sie dreht sich zu mir um, mustert mich und sieht wieder weg. Mein Puls ragt in die Höhe und ich frage mich, woher sie das weiß. Ich hatte das in ihrer Gegenwart nie erwähnt gehabt. „Liam war eine Weile bei uns und hat das erzählt. Danach ist er auch nach Hause gefahren." Ein Funken Freude erreicht meinen Brustkorb. Liam war nicht mehr lange auf der Party gewesen und konnte somit nicht viel Zeit mit Catrice verbringen. Ob er allein gefahren war? Oder ist sie noch mit zu ihm gegangen? Krampfhaft presse ich meine Hände in das Gras und hoffe, Mabel sieht mir nichts an.

„Ich empfand das nicht als wichtig. Ist doch egal ob ich allein gegangen bin oder ob mich jemand anderes begleitet hat", rattere ich hinunter, öffne meinen kleinen Rucksack und hole zwei Sandwiches heraus, die ich heute Morgen für Mabel und mich angefertigt habe. Meine Hand zittert ein wenig als ich ihr eins davon rüberreiche. „Ja, schon. Trotzdem hättest du es mir erzählen können."

Sie beißt hinein und stöhnt genussvoll aus. „Endlich etwas Essbares!", schwärmt sie weiter und ich beiße schließlich auch einmal ab. Hier mit Mabel zu sitzen und dabei die wunderschöne Aussicht zu genießen ist das Beste was wir tun können, bevor das College anfängt.

„Du willst aber nichts von Liam, oder?" Die Frage trifft mich tief ins Mark und ich senke meinen Blick zu meinen Beinen. Wieso fragt sie mich das? Ich habe mich nie auffällig verhalten und außerdem ist es gar nicht so. Nein, ich möchte nichts von ihm, er ist nur außerordentlich nett, sieht gut aus und sein Lächeln ist ein Traum...

„Ich frage das nur, weil du nicht gerne über ihn redest und ihr habt euch so gut verstanden im Wendy's", spricht sie weiter und wartet darauf, dass ich sie endlich ansehe. „Ich möchte nichts von Liam." Wieso fühlt es sich so an als würde ich so eben den verlogensten Satz überhaupt aussprechen? Ich habe Mabel nicht angelogen und eigentlich habe ich genug von diesem Thema. „Und mir sind die Blicke von euch auf der Party nicht entgangen. Als er dich im roten Kleid gesehen hat, hat er dich mit seinen Augen ausgezogen."

Sofort bleibt ein Stückchen von dem Sandwichbrot in meinem Hals stecken und ich schlage mir leicht an die Brust, um wieder normal atmen zu können. Was behauptet sie da? Er hätte mich mit seinen Augen ausgezogen? So ein Quatsch! Er hat eine Freundin, die viel hübscher ist als ich. Er hätte gar keinen Grund so etwas zu denken. Mabel hat da was in den falschen Hals bekommen, so wie ich gerade eben.

„Das ist nicht wahr! Ich hätte es doch gemerkt, wenn es so gewesen wäre. Außerdem ist mir klar bewusst, dass er vergeben ist." Jetzt schaue ich sie an, halte ihren durch bohrenden Blick jedoch nicht lange stand. Sind wir etwa in einem Verhör? Es fehlt nur noch dasgrelle Neonlicht, welches mir ins Gesicht scheinen muss. Nur habe ich nichts verbrochen und ich lasse mir hier nichts einreden.

-Weil ich es dir nicht sagen konnte-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt