Evelyn
Die letzten Tage zogen sich endlos in die Länge.
Im Unterricht konnte ich mich nicht richtig auf den Stoff konzentrieren, weil ich immer die Befürchtung hatte, Liam auf den Fluren begegnen zu können. Erst habe ich darüber nachgedacht einige Tage zuhause zu bleiben und auf krank zu machen. Allerdings konnte ich mich nicht dazu überwinden meine Bildung aufs Spiel zu setzen.
Deswegen habe ich mich durch den Unterricht gekämpft und in den Fluren zog ich öfters meine Kapuze weit ins Gesicht, damit Liam mich im Notfall nicht erkennen kann.
Inzwischen ist es wieder Wochenende und ich kann mich von dem ewigen Stress erholen. Liams selbstgeschriebenen Zettel krame ich immer wieder aus meiner Handyhülle, denn dort habe ich ihn versteckt. Ich kann gar nicht zählen wie oft ich die Hülle schon von meinem Handy abgemacht habe, nur um mir seine Schrift einige Minuten anzuschauen. Dann packte ich es wieder ein und überlegte was ich damit anstellen soll. Eigentlich kann ich ihn einfach in mein Tagebuch kleben oder in den Müll werfen.
Beide Möglichkeiten würden mir helfen nicht andauernd daran denken zu müssen.
Gerade bin ich dabei meineSportschuhe auszuziehen und sie im Schrank zu verstauen. Sonst schlafe ichsamstags länger, doch heute war ich bereits um sieben Uhr hellwach und
war eine lange runde joggen. Immer wieder blickte ich mich auf den Straßen herum und hielt nach Liams Auto Ausschau, dann rannte ich schneller als würde mich jemand verfolgen und fluchte über mich selbst, dass ich mal wieder an ihn gedacht habe. Der Kuss ist inzwischen länger als eine Woche her und trotzdem verfolgt mich dieser Moment jede Nacht in meinen Träumen. Immer tauchen seine Lippen vor meinem Geiste auf und seine Hand wanderte entlang meines Rückens. Sogar im Traum bekam ich eine Gänsehaut und ich hielt die Luft an. Manchmal wurde ich wach und konnte an etwas anderes denken, manchmal träumte ich die ganze Nacht von unserem Moment. Es ist echt zum Heulen.
Meine Hosentasche beginnt zu vibrieren und ich ziehe mein Handy mühsam raus. Auf dem Display erscheint Mabels Name und ich gehe sofort ran.
„Hey. Bleibt dann alles mit heute Abend? Ich habe noch eine alte Taschenlampe von Dad in der Garage gefunden!", berichtet sie mir.
Mabel und ich wollen heute wieder wandern gehen und dort oben beim Wasserfall übernachten. Im Internet steht nämlich, dass man heute Sternschnuppen am Himmel sehen kann und wir möchten das nicht verpassen. Taylor war so nett und hat angeboten uns zu begleiten und kümmert sich um das Zelt und die anderen Dinge, die wir brauchen. Er wird schon früher als wir dort sein um alles vorzubereiten.
„Ja. Holst du mich dann ab?" Mit dem Handy an meiner Wange laufe ich ins Bad, weil ich unbedingt duschen gehen möchte.
„Ja. Ich bin um fünf bei dir!" Damit legt sie schon wieder auf und ich öffne Spotify um Musik zu hören.
Erst war ich mir nicht sicher, ob es so gut ist, wenn wir was zu dritt machen. Also Taylor, Mabel und ich. Entweder werden sie mich ein wenig vernachlässigen oder Mabel ihren Freund. Dann fand ich mich mit dem Gedanken ab, da ich ungern noch eine weitere Person mitnehmen würde. Am aller wenigsten Liam. Gut, dass dieser Vorschlag nie zur Sprache kam.
Ich denke Mabel hat kapiert, dass ich nicht über ihn sprechen möchte. Am Anfang der Woche hat sie mich manchmal darauf angesprochen, da ich ihr auch von dem Zettel erzählt habe. Allerdings habe ich in keinen ganzen Sätzen geantwortet und sie hat schnell verstanden, dass ich von dem Gesprächsthema meine Ruhe brauche.
„Also ich bin dann heute mit Mabel im Park Forest", sage ich zu meinem Dad, der mit einer aufgeschlagenen Zeitung auf der Couch sitzt und nebenbei den Fernseher mitlaufen lässt. Inzwischen ist es nach fünf Uhr und ich bin bereit zum Aufbrechen. Ich habe einen Rucksack mit Verpflegung, dicken Sachen und einen Schlafsack dabei. Um die restlichen Sachen hat Taylor sich gekümmert, der sicherlich schon dort oben ist und das Zelt aufbaut. „Seid aber vorsichtig. Wenn etwas ist, dann ruf mich an." Er steht auf und kommt auf mich zu. „Dort oben ist es nicht ungefährlich und dann auch noch nachts", spricht er weiter.
Er war auch gestern schon nicht begeistert gewesen, als ich ihm von dem Vorhaben berichtet habe. Ich vergewisserte ihm jedoch, dass alles gut laufen wird und wir ja nicht allein sind. Ein starker Junge ist dabei und wenn uns ein Bär angreifen würde, könnte Taylor sich darum kümmern.
„Ich weiß, Dad. Wie schon gesagt, mach dir keine sorgen und außerdem sind Mabel und ich nicht allein." Ich schlüpfe in meine festen Stiefel und binde die Schlaufen fest zu.
„Ich würde mich besser fühlen, wenn du deinen Freund da noch mitnehmen würdest. Ihm vertraue ich." Augenblicklich lasse ich die Schnürsenkel fallen und wende mich meinem Dad zu. Mein Körper versteift sich und die Erinnerungen an jene Nacht brechen wieder auf mich hinein. Ich weiß, dass er Liam meint.
Sonst kennt er keinen meiner Freunde und ich bereue es schon, dass er Liam überhaupt kennengelernt hat. Da denke ich einmal nicht an ihn und dann erinnert mich meine eigene Familie an ihn. Okay, ich kann es ihm nicht übel nehmen, denn er macht sich ja nur sorgen um mich und möchte nicht, dass mir etwas zustößt.
„Er kommt womöglich das nächste Mal mit. Du weißt doch, Training", lüge ich und widme mich wieder meinen Schuhen zu. Dad hingegen lehnt sich gegen die Wand und ich habe das Gefühl, er durchleuchtet meine lügen. Glaubwürdig bin ich sowieso nicht.
„Schade. Aber du musst ihn irgendwann noch zum Essen einladen. Wenn du willst kann ich auch das Kochen übernehmen."
Ich stoße ein Lachen hervor und schaue ihn unglaubwürdig an.
„Dosenravioli? Lecker!" Sofort stemmt er seine Arme vor die Brust, doch fängt dann selbst an zu lachen.
„Okay, du übernimmst dann das Kochen." Damit hat sich das Thema gegessen.
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-Weil ich es dir nicht sagen konnte-
RomanceDen Glauben an die Liebe verloren zieht Evelyn Parker zurück nach Portland um auf's College zu gehen. Sie möchte einfach ihre Vergangenheit vergessen und nach vorne blicken. Dabei kommt ihr allerdings jemand in den Weg und zerstört ihre Vorsätze. Li...