-sixty-five-

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Da Evelyn keinen Anschein macht zu laufen, gehe ich einfach vor und steuere den Waldweg entlang nach unten. Zuerst bin ich mir unsicher, ob sie mir folgt, doch dann kann ich hinter mir Schritte wahrnehmen und atme erleichtert aus.

Ich habe zwar keine Augen im Hinterkopf, trotzdem merke ich wie Evelyn einen deutlichen Sicherheitsabstand zwischen uns lässt. Die stille zwischen uns beiden ist spürbar, dennoch nicht unangenehm. Ich genieße es ihr nahe sein zu können, obwohl ich sie weder sehen, riechen oder mit ihr sprechen kann. Inzwischen wird es immer dunkler und die Äste vor mir werden immer schwerer zu erkennen.

„Und wie geht es dir so?"

Ich fühle mich wie ein Versager, weil ich nicht direkt ausspreche, was mir auf dem Herzen liegt. Allerdings sind wir in wenigen Minuten bei Taylors Auto und wenn wir dann wieder oben sind können wir nicht allein reden können.

„Gut und dir?", gibt sie trocken zurück und ihre Stimme scheint mir ziemlich nahe zu sein. Womöglich lässt sie doch keinen riesen Abstand zwischen uns, damit ich ihr die Äste vom Gesicht halten kann.

„Auch. Was hast du die Woche so getrieben? Wir haben uns ja länger nicht mehr gesehen." Verlegen kratze ich mir am Hinterkopf und beiße die Zähne aufeinander. So ein Gespräch zu führen ist schwerer als ich dachte und dass ich permanent an ihre Lippen denken muss macht es mir nicht leichter.

„Eigentlich nicht viel. Ich habe einiges für das College gemacht und habe was mit Mabel unternommen."

Das sie nicht nachfragt was ich so gemacht habe beweist, dass sie nicht mit mir sprechen möchte und diese Erkenntnis bereitet mir einen heftigen stich ins Herz. Die nächsten zwei Minuten verlaufen wieder schweigend bis wir an dem kleinen Parkplatz ankommen. Eigentlich bin ich mir nicht sicher, ob man hier parken darf. Es ist nur ein kleiner, freier Platz, auf dem Taylors Auto steht und hier sind keinerlei Schilder. Egal, es wird schon keiner hier hoch fahren und uns einen Strafzettel schreiben.

Genau vor der Motorhaube bleibe ich stehen und drehe mich endlich wieder Evelyn zu. Sie steht nur wenige Meter entfernt und sieht sich um. Sie will ganz sicher nur meinen Blick meiden.

„Du hast die Schlüssel", sage ich knapp und sehe dann zu, wie sie sich in die Pully Tasche greift und das Auto aufschließt. Sie hat inzwischen ihre Kapuze über den Kopf gezogen und wedelt andauernd mit ihrer Hand vor ihrem Gesicht hin und her. 

„Ich glaube wir haben im Auto noch ein Mückenspray." Ich muss mich anstrengen nicht zu grinsen, weil es echt süß aussieht, wie sie sich in der großen Kapuze versteckt und versucht durch ihre hektischen Handbewegungen die Viecher vom Leib zu halten.

„Das wäre prima", gibt sie zurück und kreischt im nächsten Moment auf. Sie fasst sich an die Nase und rubbelt wie ein verrückte daran herum. Durch ihren schrei bin ich zusammengezuckt und gehe nun schnell auf sie zu.

„Etwas hat mich an der Nase gestochen!" Sie nimmt ihren Finger weg und tatsächlich hat sie an der Nasenspitze einen kleinen roten Punkt. Ohne zu überlegen fange ich an zu lachen und begutachte ihr Gesicht.

„Dein Ernst? Du lachst mich gerade wirklich aus?" Sie funkelt mich böse an und rennt dann zum Auto und steigt auf die Rückbank.

Es dauert einige Sekunden bis ich mich beruhigt habe, dann gehe ich zur gleichen Tür wie sie und ziehe sie auf.

„Was ist deine Mission?", frage ich sie und im nächsten Augenblick zieht sie die Tür wieder zu. Ich hingegen laufe einmal um das Auto herum und steige auf die andere Seite ein.

„Dann mach wenigstens die Tür zu, sonst kommen diese Monster hier auch noch rein."

Ihr Finger liegt weiterhin an ihrer Nase und sie zieht ihre Beine auf den Sitz und dann an ihren Oberkörper.

„Willst du jetzt die ganze Zeit hier drinnen hocken?"

„Solange du kein Mückenspray findest, ja." Sie meint es tot ernst. Mein Blick liegt viel zu lange auf ihr, bis ich mich nach vorne beuge und überall nach dem Mückenspray suche. Ich weiß noch ganz genau, dass Taylor eins von Zuhause geholt hat bevor wir losgefahren sind.

„Diese Viecher werden dich schon nicht auffressen", stöhne ich und gebe die Suche nach wenigen Minuten schon auf. Hier ist keins, aber vielleicht im Kofferraum. Erst jetzt wird mir unsere jetzige Situation richtig bewusst. Evelyn und ich hocken zusammen und alleine auf der Rückbank von Taylors Wagen und die Stimmung zwischen uns beiden scheint nicht unangenehm zu sein.

Jedenfalls haben wir es gerade geschafft uns einige Minuten zu unterhalten, ohne dass es krampfhaft wurde. Der Puls meines Herzens steigt in sekundenschnelle an und mein Mund trocknet sich allmählich aus. Genau jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt über unseren Kuss zu sprechen. Sie sitzt dicht neben mir und traut sich nicht nach draußen. Ich bezweifle einen besseren Zeitpunkt zu finden.

„Hast du mich die ganze Woche gemieden?", platze ich mit einem ruhigen und nervösen Tonfall heraus. Ich muss das Gespräch erst einmal irgendwie in die richtige Richtung lenken, bis ich dann zum Punkt komme. Wobei ich immer noch nicht weiß, was ich ihr eigentlich sagen möchte.

„Kann sein", sagt sie ganz trocken.

Ich traue mich nicht meinen Blick zu ihr zu wenden, also starre ich einfach in meinen Schoß. Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie sie ihren Kopf zum Fenster gedreht hat und nun raus schaut. Wahrscheinlich bereut sie es jetzt schon einfach hier eingestiegen zu sein, da sie nun in einer Falle steckt.

„Es tut mir leid", bringe ich hervor und schaue zu ihr rüber. Es dauert einen Moment bis sie sich zu mir umdreht und meine Augen fest ins Visier nimmt.

„Entschuldigst du dich gerade dafür, dass du betrunken vor meiner Haustür aufgetaucht bist, oder weil du mich geküsst hast, obwohl du eine feste Freundin hast?"

Diese Frau hat Feuer unterm Arsch.

Ich öffne schuldbewusst meinen Mund, doch bringe kein einziges Wort hervor. Es ist, als wären meine ganzen Gedanken gelöscht worden und ich verliere den Halt zu meinen Leben. Alles scheint keinen Sinn zu ergeben. Es macht keinen Sinn, dass ich solange schon eine fake Beziehung führe und es macht keinen Sinn, dass ich sie geküsst habe und vor allem macht es keinen Sinn, dass ich mich so schnell in dieses verrückte Mädchen hier neben mir verliebt habe!

Zum ersten Mal gestehe ich mir selbst ein, dass ich mehr für sie empfinde als freundschaftlich. Mein Bein fängt erneut an zu wippen und meine Gefühle in mir drohen aus mir raus zu fliegen. Ich halte es nicht mehr aus, ihr so nahe zu sein und dann doch so weit entfernt.

Ohne zu überlegen rutsche ich dicht zu ihr rüber, greife behutsam nach ihrem Arm und ziehe sie mit einem Ruck auf meinen Schoß. Völlig perplex sieht sie mich an und versucht sich von mir loszumachen, was schließlich so weit führt, dass sie rittlings auf mir drauf sitzt.

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-Weil ich es dir nicht sagen konnte-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt