Teil49

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Es ist wieder Abend, als wir endlich in einer kleinen Stadt nahe der italienischen Autobahn halt machen. Über die Grenze waren wir problemlos gekommen, fast schon zu einfach. Jetzt steht der Wagen vor einem ganz gewöhnlich aussehenden Hause. Es hat zwei Stockwerke, ist weiß und könnte unscheinbarer nicht sein. Gerade als der letzte meiner Reisekumpanen aus dem Van springt, öffnet sich die Tür. Ein Mann Mitte 40, genauso unscheinbar wie sein Haus, kommt mit einem angedeuteten Lächeln auf uns zu. "Endlich seid ihr da", begrüßt er uns mit typisch südtirolischem Akzent. Er stellt sich uns als Vito, den Hausbesitzer vor. Er ist unsere Kontaktperson und wir dürfen uns einige Tage in seinem Haus erholen, bis wir weitere Instruktionen erhalten.

Völlig erschöpft stehe ich schließlich unter einer brennend heißen Dusche. Der Schweiß und Dreck der Vergangenen Stunden verschwindet im Abfluss und als ich aus der Dusche steige, fühle ich mich sogar ein ganz klein bisschen besser. Man hat mir frische Kleider gegeben und obwohl mir angeboten wurde, unten in der Küche etwas zu Essen entschließe ich mich dazu, in meinem Zimmer zu bleiben. Langsam lasse ich meinen schweren Körper auf das weiße Lacken des schmalen Bettes rutschen. Die Decke hier ist anders. Sie ist weiß. Ich strecke meine Hand in die Höhe und lasse sie mit der Innenseite nach oben über mir schweben. Welche Farbe hatte meine Zimmerdecke Zuhause noch gleich? Zuhause... Irgendwie scheint das nicht mehr die richtige Bezeichnung für das Haus, in dem ich meine Kindheit und Jugend verbrachte zu sein. Eine braune Holzdecke. Mit Nägeln ist alles an, dass ich denken kann. Die Decke, auf die ich die letzten Monate gestarrt hatte und von meiner Freiheit fantasierte. Und dann lag ich draußen auf dem Boden und starrte in den Himmel.

Mit einem Mal lasse ich meine Hand fallen. Es gibt keine Sterne, nach denen ich greifen könnte. Nur ein eintöniges unendliches ewiges Weiß. Ich verdecke meine Augen und jetzt sehe ich Dunkelheit. Kein komplettes Schwarz, aber fast. Genauso wie das innere meines Ichs. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, mich allein in ein Zimmer zu sperren. Allein, nur mit den Dunklen Gedanken, die noch nicht ihr volles Maß an Zerstörung erreicht haben. Tief in meinem inneren weiß ich, dass dies nur die Ruhe vor dem Sturm ist. Doch ich muss um jeden Preis versuchen den Ausbruch dieses Gewitters so weit wie möglich zu verzögern. Ich bin noch nicht bereit.

Abrupt setze ich mich auf. Andere Gedanken! Ein Blick aus dem Fenster zeigt eine von Düsterheit überzogene Kleinstadt. Der Himmel ist bewölkt und es scheint kein einziger Stern am Himmel zu leuchten. Von unten höre ich Gelächter. Ich glaube sie trinken zusammen. Der Hausbesitzer, seine Tochter und einige Freunde (ich vermute ebenfalls Mitglieder der Familie) hatten zu Wein und selbstgebackenem Brot eingeladen. Eigentlich sollte ich diese Gelegenheit der vorgespielten Normalität nutzen und mich ablenken lassen. Lieber würde ich einen Spaziergang durch die Nacht machen, aber uns wurde zu unserem eigenen Schutz verboten, dass Haus zu verlassen. Also durchquere ich den schmalen Raum und öffne die Tür. Meine Gedanken und Sorgen lasse ich in dem schmalen Zimmer zurück.

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