Teil40

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Einige Monate später

Die letzten Wochen, vielleicht sogar Monate bestand mein Alltag daraus, nach dem Frühstück runter in den Keller zu gehen und das Essen für die gefangenen Mädchen zuzubereiten. Ich habe ihnen ihr Frühstück gebracht und danach die Küche aufgeräumt. Das Mittagessen zubereitet. Wieder aufgeräumt. Das Abendessen hingebracht. Aufgeräumt...

Die Mädchen waren immer still. Im Verlauf der Wochen wechselten ihre Gesichter und irgendwann habe auch ich aufgehört sie als Menschen zu sehen. Überleben stand für mich an erster Stelle. Jaden habe ich seit jenem Tag, an dem er mir das Überraschungsei gab, nicht zu Gesicht bekommen. Den Anweisungen folgend, bin ich nach meiner Arbeit sofort in mein Zimmer zurück gegangen und habe die Decke angestarrt. Ich war einsam. Ich war traurig. Aber ich war am Leben. Das bin ich immer noch. Und alles dank einer einzigen Erkenntnis.

Es hat lange gedauert, bis ich aufgehört habe zu versuchen, mit den Mädchen in den Zellen zu reden. Manchmal haben sie mir sogar geantwortet. Doch wenn ich ihren Namen erfahren hatte und ich sie dann am nächsten Morgen nicht mehr in ihren Zellen vorfand, viel es mir noch schwerer gehorsam meiner Aufgabe nachzugehen. Doch um zu überleben musste ich das. Lisa. Sie war gerade einmal 14 Jahre alt. Gewesen. Wo mag sie jetzt wohl sein? Die Hure eines reichen Gangsterbosses? Oder vielleicht tot...? Egal. Sie war genauso wie die anderen Wesen in den Zellen, einfach nur Wahre. Ihr war nicht mehr zu helfen. Ich konnte niemanden helfen... Doch das stimmte nicht ganz. Ich habe mir selbst geholfen, indem ich anfing diese Mädchen als gesichtslose Wesen zu betrachten. Zu diese Erkenntnis kam ich inmitten einer meiner Zahllosen Nervenzusammenbrüchen.

Und jetzt liege ich wieder auf dem Bett und starre die Decke an. Es ist bereits dunkel draußen und der Geschmack der Lasagne liegt noch auf meiner Zunge. Mein Kopf ist leer. Noch eine Eigenschaft, die ich mir antrainiert habe. Einfach an nichts zu denken. Keine Trauer, kein Heimweh, keine Angst, Wut und vor allem keine Schuldgefühle. Einfach nur leere. Als würde in meinem Kopf ein weißer Wattebausch schweben. Ich denke an nichts. Höre nur auf die Bedürfnisse meines Körpers. Jene, die ich auch erfüllen kann. Menschliche Nähe oder Zärtlichkeiten sind unerreichbar. Aber im Grunde sehnt es mich vor allem nach Freiheit. Hätte ich sie doch nur mehr geschätzt, als ich sie noch hatte. Warum bin ich freiwillig zuhause geblieben, anstatt die Welt zu erkunden? Das war so dumm von mir. Von meinem alten ich. Jetzt bin ich ein gefühlskalter Mensch, der vor sich hin existiert. Selbstsüchtig und ohne Ziel.

Einmal tief durchatmen. Danach richte ich mich auf und gehe in das Badezimmer. Zähne putzen. Mein Spiegelbild ist blass, aber ohne sichtbare Verletzungen. Mit meinen Händen ziehe ich meine gesamte Kleidung aus und stehe nackt vor der Reflexion. Keine einzige sichtbare Narbe. Kaum zu glauben. Anscheinend waren die ganzen Wunden, die ich am Anfang meiner Zeit hier bekommen hatte, nur oberflächlich. Auf meiner Seele aber haben sie tiefe Rillen hinterlassen. Sie haben mich gestärkt. Sie waren der Brennstoff meiner Wut. Meines inneren Feuers. Diese Flammen flüstern mir zu und bestärken mich in meinem Vorhaben. Meines festen Entschlusses. Ich werde mich an jedem einzelnen, der mir hier Leid zugefügt hat rächen. Ich werde ihnen tausendfach heimzahlen, was sie mir angetan haben. Doch ich werde nicht unüberlegt handeln. Ich habe diese Wut gebändigt und tief in meinem Herzen versteckt, nur um sie dann, wenn es niemand erwartet hervor zu holen. Ich werde meine Rache kriegen und ich werde um mich wüten! Doch noch ist es nicht an der Zeit. Noch dürfen sie nicht erfahren, wie sehr ich alle in diesem Gebäude hasse. Noch müssen sie denken, dass ich ein Teil von ihnen sei. Ein Glied ihrer Kette. Ich allein werde diese Kette zerbrechen und SIE damit erwürgen! Das Feuer brodelt in meinem Herzen.

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