"OMG! Loreenaaaaaa!!", ruft Rika und rennt auf mich zu. Kurze Zeit später befinde ich mich in der liebenswürdigsten Umarmung seit einer Ewigkeit. Ich fühle mich tatsächlich wohl.
"Es ist soooo lange her! Bin ich froh, dass ich herkommen durfte, ich hatte ja sowas von keinen Bock mehr auf die Arbeit am Hafen!", überrollt mich ihr Schwall an Worten.
"Willst du was essen?", frage ich sie in den zwei Sekunden Pause, die mir zwischen ihrem Wasserfall bleiben. Ich hatte am Haupteingang auf sie gewartet. Jetzt setzen wir uns auf das Sofa der Terrasse und während sie mir ausführlich die Geschehnisse der letzten paar Monate seit wir uns gesehen hatten beschreibt, rühre ich entspannt in meiner Kaffeetasse. Ich bin wirklich Süchtig geworden, aber hier schmeckt der Kaffee einfach so viel besser, als in Deutschland.
Auf dem Beistelltisch vor uns befindet sich Gebäck und mit einem Messer streiche ich Butter auf den trockenen Zitronenkuchen. Ich hatte ganz vergessen, wie schön es ist, einen vertrauten Menschen um sich zu haben. Auch wenn Rika und ich uns nicht besonders gut kennen, so fühle ich mich doch wohl in ihrer Gegenwart. Einfach ihren Worten zu lauschen, den neusten Tratsch über Leute aus der Organisation zu hören, dies alles fühlt sich so belanglos und leicht an. So normal. Es ist genau das, was mir bisher gefehlt hatte. Wenn jeder Tag so wäre, vielleicht könnte ich dann tatsächlich glücklich sein.
"...und Kian, er redet immer noch davon, wie toll du doch bist, haha, er war so eifersüchtig auf mich, weil ich dich besuchen darf und er, Oh! Loreena,", sagt Rika, "du hast dich geschnitten, uh und wie das Blutet haha.".
Tatsächlich, mit dem stumpfen Speisemesser habe ich es tatsächlich geschafft, irgendwie meine Haut aufzuritzen. Blut quillt aus meinem rechten Zeigefinger. Es ist so hell rot, ganz anders als die dicke, dunkle Flüssigkeit, die aus seiner Wunde schoss, als ich den Abzug drückte...
Plötzlich ist mir unglaublich übel. Ich springe auf und renne ins Haus, aber bis zum Badezimmer schaffe ich es nicht mehr. Gerado so erreiche ich das Spülbecken in der gepflegten und noch nie verwendeten Küche, bevor ich mich übergebe. Vor meinem inneren Auge sehe ich die Szene im Wald. Wie er zu Boden sinkt. Erst auf seine Knie, dann kippt er gänzlich um. Ich kann nicht aufhören, ich würge alles aus meinem Inneren heraus, aber diese grauenhafte Erinnerung werde ich nicht los. Tränen steigen mir in die Augen, während ich nach Luft schnappe. Meine Sicht ist verschwommen und auf meiner Welt liegt ein roter Filter.
Rika ist mir gefolgt, hält behutsam mein Haar nach hinten, aber ich nehme sie kaum wahr. Ich muss mich beruhigen, sonst findet sie es heraus! Alles gut, Loreena! Atmen!
Es dauert noch einige Minuten, bis ich wieder bei Verstand bin. Rika schaut mich schockiert an. "Geht es dir gut? Bist du krank?", frägt sie mich, während sie mir ein Handtuch reicht. Ich weiß es selbst nicht, heute Morgen war noch alles in Ordnung. Trotzdem bin ich über diese extreme Reaktion auf die paar Tropfen Blut verwundert.
"Vielleicht solltest du mal zum Arzt gehen, einfach aus Sicherheit". Sie holt ein Taschentuch aus ihrer Hostentasche und drückt es auf die Wunde an meinem Finger. Es färbt sich rot.
Stimmt, seit meiner Entführung war ich kein einziges Mal bei einem Arzt, andererseits hatte ich auch keinen Bedarf dafür. Körperlich ging es mir immer gut. Aber kann ich überhaupt zu einem Arzt gehen? Dafür bräuchte ich meine Dokumente, die ich nicht habe und außerdem wurde ich bestimmt als vermisst gemeldet. Vielleicht ist es gar keine so schlechte Idee von Jaden einen Arztbesuch zu verlangen. Auch wenn sich unmittelbar nichts ändern würde, irgendwann würde es jemanden auffallen. Sei es in der Krankenkasse oder meinen Eltern, wenn sie die Rechnungen anschauen. Dann wüssten sie wenigstens, dass ich noch lebe und es noch Hoffnung gäbe...
"Du hast recht Rika, ich frage Jaden, sobald ich ihn sehe.".
Ich schenke ihr ein kleines lächeln. Ich bin froh, dass sie hier bei mir ist.

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Legato
Aventura„In meinem Leben gibt es niemanden mehr, für den es sich zu sterben lohnt" Als sie Zeugin eines Unfalls wird, gerät die 18 jährige Loreena unfreiwillig in die ihr völlig fremde Welt der Mafia. Plötzlich sieht sie sich Entscheidungen gegenüber, die w...