Teil85

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Der Regen fällt weiter auf mich und ich kann mich nicht bewegen. Auch in mir ist es ruhig geworden. Ganz anders, als in den letzten Monaten. Eine schmerzende Traurigkeit legt sich über mich und drückt meinen Körper mit tonnenschweren Gewichten zu Boden. Das ist das Ende. Vielleicht nicht meines, aber ganz sicherlich sein Ende und ich meine nicht Jaden. Doch dann wird der Regen leiser und ich falle in ein tiefes Schwarz. Ein traumloser Schlaf übermannt mich und schenkt mir Ruhe.

Die letzten Monate ziehen an mir vorbei und ich bin erstaunt, wie viel passiert ist. Gab es je einen Moment der absoluten Ruhe? Ich war doch immer zerrissen, gestresst, überrascht und angespannt. Ein Ereignis hat das andere gejagt, ein Ton kam nach dem nächsten und verband sich zu einer gehetzten Melodie, die mein Leben repräsentiert. Doch ist nun das Lied vorbei? Ich denke nicht, so viele Dinge sind noch ungelöst. Ich bin so unglaublich müde und sehne mich nach dem entspannendem Nichts, aber noch ist es nicht an der Zeit. Ich habe noch Sachen zu erledigen, will noch Dinge erleben und mich selbst finden. Ich muss mich jetzt konzentrieren und meine Kräfte sammeln! Ich bin so weit gekommen und der Bindebogen auf dem Notenblatt meines Lebens ist noch nicht einmal an seinem höchsten Punkt angekommen.

Ich hole noch einmal tief Luft und dann...

Mit einem Ruck erwache ich. Geblendet hebe ich meine Hand vor mein Gesicht und schütze mich vor dem Licht. Das Erste, das mir vor Augen erscheint, ist der Blick aus dem Krankenhauszimmer. Wasser fließt an dem Fenster entlang und es ist dunkel. Der Regen ist stark und das Prasseln ist regelmäßig und laut. Dann spüre ich eine Hand in der meinen. Sie klammert sich an mich und ein Ring drückt sich in meine Haut. Ich blicke herunter, auf meine fest umschlossene Hand. Über meinen Augen liegt ein grauer Schleier und nur das goldene Blitzen des Ringes scheint nicht in die Kühle meiner Welt und dieses Krankenhauszimmers zu passen.

„Ena?", flüstert eine raue Männerstimme. Ich kenne sie gut. Als ich meinen Kopf hebe, kann ich Jaden neben mir sehen. Er ist Blass, geradezu geisterhaft. Seine Lippen sind Blutleer und mir schießt der Gedanke durch den Kopf, dass er wohl noch nicht hätte aufstehen und sein Bett verlassen dürfen. Aber das sollte mir egal sein, oder?

„Ena!", Jaden seufzt erleichtert auf und lässt seinen Kopf sinken. „Ich bin so froh...", für mehr ist er nicht im Stande. Doch das reicht schon. Ich kann die Aufrichtigkeit sehen, er hat wirklich um mich gebangt. Irgendwie gibt mir diese Erkenntnis Zufriedenheit. Trotz den harschen Worten, kurz bevor er neben mir das Bewusstsein verloren hat, bin ich noch immer in seinem Herzen.

„Warum bist du nicht in deinem Bett? Wurdest du nicht auch verletzt?", flüstere ich und erschrecke über die Rauheit meiner Stimme. Ich klinge, als hätte ich Jahrzehnte lang geraucht oder einen Draht verschluckt. Beides sehr ungesund.

„Mir geht es gut.", sagt er nur und lässt seinen Kopf langsam auf meine Schulter sinken. „Wie geht es dir? Du warst länger weg, als die Ärzte vermutet hatten...".

„Wirklich?", ich bin verwirrt und habe weder ein Gefühl für Zeit noch Raum. „Wie lange? Und wie schlimm sind meine Verletzungen?". Erst jetzt merke ich, wie die Schmerzen langsam in meinen Körper zurückkehren. Am Schlimmsten ist es brustabwärts. Mein Bauch fühlt sich an, als hätte jemand meine Organe mit einem Kochlöffel umgerührt.

„Du hast 3 Tage geschlafen, aber es gab ein paar Komplikationen..." Ich sehe in seinem Blick, dass er mich gleich danach fragen wird. Er wird mich fragen, warum ich es ihm nicht gesagt habe und vielleicht wird er sauer auf mich sein. Aber das ist jetzt eh nicht mehr von Bedeutung, denn die kurze Existenz dieses Etwas ist nun Vergangenheit.

„Ena... wusstes du es?", Jadens ernster Blick ruht auf mir und ich kann seinen Augen nicht standhalten. Ich drehe meinen Kopf zur Seite und spüre die Tränen in mir emporsteigen. Ich will jetzt nicht weinen.

„Es ist weg, oder?", flüstere ich.

„Ja...", antwortet er.

Stille.

„Dann müssen wir nicht mehr darüber reden.", mit diesen Worten beende ich unser Gespräch und wir verharren in Stille nebeneinander. Seine Hand in meiner und mit eine unausgesprochenen Traurigkeit im Raum.

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