Teil81

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Nachdem ich mit viel Anstrengung in das Kleid gequetscht wurde, sitze ich nun in einem sehr alten Auto. Neben mir ist Rika und vorne am Steuer ein Chauffeur, den ich nicht kenne. Es ist ein komisches Gefühl, durch die großen Tore des Anwesens nach Draußen zu fahren. Als würde ich eine Straftat begehen. Ich darf hier nicht weg, ich bin hier eingesperrt. Um für meine Sünden zu büßen. Aber der Wagen hält nicht an und bereits nach wenigen Sekunden fahren wir auf der enge Landstraße in die Freiheit. Rika kurbelt das verdunkelte Fenster herunter und eine sommerliche Prise Morgenluft strömt mir ins Gesicht.

„Hah, einfach der perfekte Tag um Boss einer Organisation zu werden, findest du nicht?", seufzt Rika und ich kann nur nervös lachen. Weiß sie, dass ich Jaden nicht aus Liebe heirate? Vielleicht, sie hat mich noch nie gefragt, wie wir zusammengekommen sind. Oder wie ich Teil der Organisation wurde. In Gedanken versunken zupfe ich an dem Ausschnitt des Kleides herum. Die Spitze juckt ein bisschen und obwohl es eng sitzt, habe ich Angst, dass es herunterrutscht. Ich wollte eigentlich Träger haben, aber irgendwie wurde es dann doch dieses unglaublich teuer aussehende, schulterfreie und figurbetonte Seidenkleid. Vor einigen Wochen hatte man mehrere Brautkleider an einer Stange in mein Zimmer gefahren und den ganzen Vormittag wurde ich an und ausgezogen. Als ich dann in dieses Kleid geschlüpft bin, war es eigentlich sofort klar. Es passt, als wäre es nur für mich genäht worden und ich würde auch behaupten, dass ich in ihm am hübschesten aussehe, aber das kann ich niemals zugeben. Denn es würde bedeuten, dass ich mich tatsächlich auf diese Hochzeit freue und das tue ich nicht!

Ich betrachte den angesammelten Stoff im Fußraum des Autos. Darunter liegen meine neuen Schuhe. Sie sind mit matt blauen Stoff überzogen und mit einer Schnalle aus glitzersteinen verziert. Für die Fahrt habe ich sie ausgezogen, den das Tragen von High-Heels bin ich nicht gewöhnt. Hoffentlich blamiere ich mich später nicht. Muss ich eigentlich tanzen? Oh nein.

„Uh, Loreena, rate mal wer mir grade geschrieben hat... Ach nein, ich sag es dir! Finn ist vorhin erst angekommen. Hoffentlich wird das nicht komisch, ihr habt euch doch wirklich sehr gut verstanden hehe... Und ich glaube, er hat einen Crush auf dich, nachdem du weg warst, ahaha.". Rikas helles lachen erfüllt das Auto und ich habe ein bisschen Angst, dass der Fahrer deutsch kann und versteht was Rika sagt.

„Hey! Was in der Vergangenheit passiert ist, bleibt auch dort!", zische ich. „Bitte versprich mir, dass du das niemals einer Menschenseele erzählst! Sonst bin ich vielleicht tot, im Ernst!".

„Alles klar haha. Entspann dich Loreena!", doch in Rikas Blick kann ich sehen, dass ihr die Intensität meiner Worte aufgefallen ist. Mit einem nervösen lächeln versuche ich die Ernsthaftigkeit der Situation aufzulockern.

„Kannst du dafür sorgen, dass Kian von mir fernbleibt? Vor allem während der Feier. Ich habe keine Lust schon an meiner Hochzeit als Ehefrau des Bosses zu versagen.", frage ich etwas sanfter.

„Klar, keine Sorge, das ist meine Aufgabe als Trauzeugin! Ehemalige Lover fernzuhalten hahaha!"

„Uh, warum hast du nur so gute Laune?", stöhne ich.

„Ach komm schon! Heute ist dein Tag! Oh mein Gott, wir haben noch gar kein Foto zusammen gemacht!", mit diesen Worten hebt Rika ihr Handy hoch und macht ohne Vorwarnung mehrere Selfies. Den Rest der Fahrt verbringen wir mit lockerem Geplänkel und als wir endlich bei der kleinen Kapelle ankommen, ist meine Nervosität fast vollständig aufgelöst.

Vor der Kirche warten ernst aussehende Männer in schwarzen Anzügen. Security? Oder Gäste? Wortlos gehen Rika und ich an ihnen vorbei in das kühle Gebäude. Es sind schon einige Leute da, aber wir gehen direkt in das kleine Wartezimmer nebenan, wo wir wieder auf die Stylisten von heute Morgen treffen.

„Wie lange warten wir noch?", frage ich Rika und schaue auf mein Handy. Zwei neue Nachrichten. Eine von Jaden, in der er mir schreibt, dass ich mir keine Sorgen machen soll und er sich freut, mich am Altar zu sehen. Oh mein Gott. Was mache ich hier eigentlich? Und die zweite Nachricht ist von einer Nummer, die ich nicht eingespeichert habe. Soll ich sie anschauen? Nein, ich warte bis die Hochzeit vorbei ist. Ich kann jetzt keine Ablenkungen gebrauchen, geschweige denn Informationen, die mich an meinen Entscheidungen zweifeln lassen.

Während ich so auf dem abgenutzten Sofa sitze, mein Rücken an dem Falschleder klebend, wünsche ich mir, dieser Tag währe bereits vorbei. Mir ist viel zu heiß und ich habe gleichzeitig Hunger und Übelkeit. Gedankenverloren lege ich eine Hand auf meinen Bauch und atme tief durch. Alles wird gut, ich habe einen Plan und er wird bestimmt ausgehen. Wir kommen hier wieder sicher heraus. Ab jetzt wird alles gut!

„Loreena, ich glaube bald ist es soweit.", sagt Rika und nun trifft mich die Nervosität erneut mit voller Wucht. „Oh Gott, ich glaube ich muss nochmal auf die Toilette, habe ich Zeit? Ahhhh!". Hundert Gedanken und Gefühle prasseln auf mich ein und nehmen mir die Luft, während Leute an mir herumzupfen, Puder auftragen und die blauen Schuhe anziehen. Als letztes wird der Schleier festgesteckt und dann führt mich Rika vor die Tür. Die Tür, hinter der meine Zukunft liegt. Die Tür, deren durchschreiten mich von Loreena Blackwather zu Loreena De Caruso verwandeln wird. Zu einer Kriminellen. Zu einem festen Bestandteil der Organisation. Zu der Frau von Jaden.

„Okay... ich bin bereit.", sage ich zu Rika. Die Tür öffnet sich und am anderen Ende des Raumes sehe ich Jaden stehen. Er lächelt nervös. Und dann gehe ich allein zum Altar.

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