Teil57

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Am Mittag klingelt die Haustür und ein Mann, Mitte 40 mit bereits angegrautem Haar und einer schlechten Haltung ist gekommen um mich abzuholen. Da ich kein Gepäck habe, geht alles sehr schnell und nach einer Umarmung mit Rika und einer eher kalten Verabschiedung von Grell, nicke ich allen noch ein letztes Mal zu. Ich werde sie wahrscheinlich nie wieder sehen. Dann steige ich in den Lkw, der nicht in diese kleine Stadt zu passen scheint. Ein großes Werbelogo preist "Dio's Soda" an, ein Produkt, von dem ich noch nie gehört habe.

Mein Fahrer, der sich zuvor als Pasquale vorgestellt hat, spricht nur gebrochen Deutsch und ich habe gerade so verstanden, dass er ohnehin in die gleiche Richtung wie ich muss, und er mich deshalb mitnehmen soll. Anscheinend wissen sie immer noch nicht, dass ich italienisch spreche (falls man das so nennen kann. Offiziell habe ich zwar B2, aber das scheint auch nur auf dem Papier der Realität zu entsprechen.)

Still sitze ich auf dem Beifahrersitz und starre aus dem Fenster. Die kleine Stadt haben wir bald hinter uns gelassen und nun rasen wir auf der Autobahn Richtung Süden. Leise klingt aus dem Radio italienische Rockmusik und ich rutsche auf meinem Sitz hin und her. Die gestrige Nacht spüre ich nur zu gut und ich weiß nicht, wie ich eine mehrstündige Autofahrt überleben soll. Wohin fahren wir eigentlich? Soll ich Pasquale fragen? Doch er starrt geradeaus auf die Strecke und grummelt nur ab und zu, wenn uns jemand wahnwitzig überholt. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich ihn etwas fragen sollte... Also richte ich meinen Blick wieder aus dem Seitenfenster und beobachte, die vorbeifliegende Landschaft. Ich versinke in Tagträumen und lasse die Stunden vorüberziehen.

Ein schrilles Handyklingeln reißt mich aus meinen Träumereien, in denen ich irgendwo abgelegen in einer Hütte in den Bergen meine Tage verbringe. "Pronto?", nimmt Pasquale das Gespräch an und schaltet sein Handy auf Laut, den Blick weiterhin nach vorne gerichtet. Immer noch aus dem Fenster starrend spitze ich jetzt jedoch meine Ohren, um jedes Wort mitzubekommen. Sie telefonieren auf Italienisch und auch sehr schnell. Die Person am anderen Ende ist nur schwer zu verstehen, aber jetzt kommen mir die Hörverstehen aus meiner Schulzeit, in denen die Telefonate meist in den schwierigsten Dialekten und an den unmöglichsten und lautesten Orten geführt wurden zu nutzen.

"Wann kommst du mit der Wahre an?", frägt der am anderen Ende. Wahre... das erinnert mich an die Jungen Mädchen aus dem Haus im Wald. Moment, wer ist in diesem Fall die Ware? Doch nicht etwa ich? "Bald, keine Sorge, aber ich musste noch einen Zwischenstopp einlegen, ich darf jetzt auch noch Taxi spielen", erwidert Pasquale. Erleichternd entspanne ich meine Muskeln wieder. Also bin ich schonmal nicht die Wahre. "Mh, deshalb bin ich kein Fan vom System von Caruso", erwidert die Stimme aus dem Lautsprecher. "Ja... der neue Boss hat so einiges umgestellt...", grummelt Pasquale. "Wie auch immer, ich bin spätestens heute Nacht da.", beendet er das Gespräch. Dann schaut er zu mir. Ich kann sein Gesicht in der Spieglung des Seitenfensters sehen. Vielleicht vermutet er, dass ich mehr von dem Telefonat verstanden habe, als ich vorgeben, trotzdem belässt er es mit einem genervten Seufzer.

Den Rest der mehrstündigen Fahrt spricht er kein Wort mehr und ich lausche dem Radio, während ich die vorbeirauschende, immer italienischer werdende Umgebung betrachte.

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