Teil10

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Wartend sitze ich auf dem Bett und starre aus dem Fenster. Langsam kenne ich jeden Baum auswendig. Ich habe die graue Bluse und meine eigene schwarze Anzugshose an. Ich sehe wirklich schick aus. Normalerweise trage ich nur Leggings oder sehr weite Jeans, Hauptsache bequem, aber da ich ja meine Zeugenaussage vor Gericht geben musste, hatte ich mich ein bisschen chic gemacht. War der Gerichtstermin eigentlich heut oder gestern? Welcher Tag ist heute? Mist, ich schreibe doch am Montag Deutsch! Aber so wie die Dinge geradestehen, werde ich wohl Montag nicht Zuhause sein. Scheiße, was wird bloß aus meinem Abitur? Muss ich das dann nachholen? Wenn ich es überhaupt jemals hier rausschaffe... Ich habe gerade wirklich schlimmere Sorgen als meinen Schulabschluss! Mein Leben zum Beispiel!

Gefühlt Stunden später wird die Tür wieder geöffnet. Inzwischen hatte ich mir sämtliche Eventualitäten durch den Kopf gehen lassen, was meine Zukunft betraf. Von der Möglichkeit, mein Abitur mit den anderen Kranken im Sommer nachzuschreiben, bis hin zu meinem Tod in dem kleinen, dunklen Kellerraum. Den Nervenzusammenbruch hatte ich auch überstanden und zum Glück konnte man keine Spur meiner Tränen mehr sehen.

"Komm mit" weist Jaden mich an und ich gehe auf ihn zu. Er hat jetzt ein weißes Hemd an, das in seiner schwarzen Jeans steckt. Er sieht wirklich gut aus, aber ich darf nicht vergessen, wie gefährlich er ist. Er macht so große Schritte, dass ich ihm fast hinterherrennen muss, und als wir die Treppe hinabsteigen, nimmt er immer zwei Stufen auf einmal. Idiot! denke ich nur und gehe in meinem eigenen Tempo. "Geht's noch langsamer? Wir sind eh schon zu spät" sagt er in leicht gereiztem Ton. Seine Laune scheint sich sehr verschlechtert zu haben, seit er aus dem Kellerraum gehen musste. "Ist ja nicht meine Schuld, dass du mich so spät abholst" patze ich zurück.

Abrupt bleibt er stehen und ich pralle unerwarteter weise gegen seinen Rücken. "Vergiss deine Manieren nicht! Du bist zwar gerade ein Gast, aber das kann sich sehr schnell ändern...". Mich packt ein Schauer. Aber er hat Recht, ich sollte mich wirklich wieder zusammenreißen. Er geht weiter und stumm folge ich ihm. Dann, im Erdgeschoss des großen Bauernhauses, biegen wir in einen kleinen Gang ab und bleiben vor einer hölzernen Doppeltür stehen. Jaden richtet seinen Hemdkragen. Ist er etwa nervös? Nein, aber ganz wohl scheint er sich auch nicht zu fühlen... Irgendwie werde ich deswegen auch angespannt. Ich habe nicht gesehen, wie Jaden seine Hand hob, deshalb lässt mich sein klopfen zusammenfahren. Ein Ausdruck der Belustigung huscht über sein Gesicht, doch dann bittet uns eine Stimme aus dem Raum einzutreten. Die Türen öffnen sich. 

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