Teil76

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In der Nacht, bevor Rika ankommen soll, werde ich von einem leisen Klopfen an meiner Tür aus dem Halbschlaf gerissen. 

"Ja?", sage ich leise.

Ein heller Streifen erleuchtet meinen dunklen Raum, als sich die Tür öffnet, ein Schatten eintritt, und dann wieder in der Dunkelheit verschwindet. Geblendet von der kurzen Helligkeit erkenne ich nicht sofort, wer vor mir steht.

"Ena", flüstert eine mir vertraute Stimme. Es ist Jaden, wer auch  sonst? "Du solltest wirklich anfangen deine Tür abzuschließen!", mahnt er mich mit schon etwas lauterer Stimme.

"Wie soll ich das den machen ohne Schlüssel?", frage ich etwas genervt zurück. Ich war so kurz vor dem Einschlafen gewesen und hatte ausnahmsweise mal nicht an all diese beschissenen Bestandteile meines aktuellen Lebens gedacht. 

"Natürlich mit dem Schlüssel, der oben auf dem Türrahmen liegt. Ist das nicht bei jedem so? Egal, jedenfalls schön, dass du noch wach bist, endlich habe ich mal etwas Zeit". Jaden setzt sich neben mich und ich höre in der Dunkelheit, wie mein Bett quietscht.

Einen Moment lang ist es still. Dann lässt er sich nach hinten fallen und landet halb neben mir. Das wenige Licht, vom fast runden Mond erhellt Jadens ebenes Gesicht. Irgendwie habe ich ihn lange nicht mehr bewusst angesehen. Zwar ist es Dunkel, trotzdem kann ich die kleinen Veränderungen sehen. Die neu gewonnene Verantwortung und der mit ihr einhergehende Druck hatte seine Spuren hinterlassen. Leichte Falten auf der Stirn und sehr tiefe dunkle Augenringe. Trotzdem schadete es nicht seiner Anziehungskraft. Er ist immer noch attraktiv. Wenn man seine Persönlichkeit ausblenden konnte.

"Wie geht es dir?", flüstere ich und beobachte genau die Bewegungen seiner Mimik. Er schaut an mir vorbei zu dem Fenster. 

"Stört dich das Mondlicht nicht? Es ist viel zu hell...".

"Irgendwie habe ich Angst vor der Dunkelheit, deswegen mag ich das Mondlicht...".

"Haha, wer hat den in deinem Alter noch Angst vor der Dunkelheit?", zieht er mich auf.

"Als ich ein Kind war, hatte ich nie Angst vor der Dunkelheit. Aber du bist meiner Frage ausgewichen, hast du viel Stress?".

Jaden seufzt, "Dir entkommt man ja nie.", dann legt er einen Arm um meine Taille und zieht mich näher an ihn heran. "Lass uns einfach ein bisschen entspannen. Ich will jetzt nicht über die Arbeit reden!". Das scheint das Ende unseres kurzen Gesprächs zu sein. Absurd, er ist mein Verlobter, wir haben mehrere Tage nicht mehr richtig miteinander geredet und das ist alles? Wenn ich wirklich richtig mit jemanden zusammen währe, dann würde ich wollen, das die Person mir von ihrem Tag erzählt. Von ihrer Arbeit, ihrem Stress und den Dingen, die sie Bedrücken. Und ich würde wollen, dass dieser fiktive Jemand sich auch für meine Sorgen und Bedenken interessiert. Aber weil es Jaden ist, der mich in seinen Armen hält, ist es egal. Ich bin einfach froh, nicht alleine zu sein und trotzdem von ihm in Ruhe gelassen zu werden.

Am nächsten Morgen erwache ich alleine. Wie zu erwarten.

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