Teil5

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Bäume und noch mehr Bäume. Leider bin ich erst aufgewacht, als wir die großen Straßen und Autobahnen schon hinter uns gelassen hatten. Ich habe keine Ahnung, wo wir sind. Überall sind Bäume und es ist wunderschön grün. Die Straße ist immer kleiner geworden und bis jetzt ist und noch kein anderes Auto begegnet, geschweige denn eine andere Menschenseele. Das ist gar nicht gut! Vielleicht bringen sie mich zu einem abgelegenen Ort und erschießen mich dann? Aber warum sollten sie? Keiner weiß, dass ich in den Koffer geschaut habe. Oder? Selbst wenn, ich habe doch niemanden davon erzählt! Heilige Scheiße.

Plötzlich lenkt der Fahrer das Auto auf einen noch kleineren und nicht mal betonierten weg, denn ich zuvor nicht bemerkt hatte. Der Wagen ruckelt ganz schön, als wir immer tiefer in den Wald fahren. Wie lange habe ich noch zu leben? Sollte ich ihn anflehen, mich laufen zu lassen? Aber das würde ihn vielleicht Wütend machen, immerhin hat er mich angewiesen, nicht zu sprechen. Nervös beginne ich an meiner Nagelhaut zu zupfen. Eine schlechte Angewohnheit. Scheiße!!! Was mach ich jetzt bloß? Erstmal höflich sein und kooperieren? Vielleicht lassen sie mich gehen, wenn sie merken, dass ich ein unschuldiges und unwissendes Mädchen bin? Ich hole tief Luft. Bin ich eine gute Lügnerin? Ob sie bemerken, dass ich lüge, wenn ich ihnen sage, dass ich nicht weiß, was in dem Koffer war?

Vor uns taucht ein Haus auf. Es scheint hauptsächlich aus Holz zu bestehen und ist bestimmt schon älter. Eigentlich sieht es aus wie ein typisches, bayerisches Bauernhaus. Die Fensterläden sind sogar bemalt. Ob es das letzte Mal ist, das ich dieses Haus von außen sehe? Ob es das letzte Mal ist, das ich überhaupt ein Haus sehe? Langsam werde ich Panisch. Unterdrücken! Denk nicht dran! Ich kralle mich in mein Bein und versuche ruhig zu Atmen. Noch weiß ich nicht, was mit mir geschehen wird, also sollte ich keine Panik schieben, sondern lieber einen klaren, kühlen Kopf bewahren!

"Aussteigen!" befehlt mir der Fahrer und ich gehorche ihm. Allerdings geben meine Beine nach und ich kann mich grade so an der Tür festhalten. "Stimmt ja, hatte ganz vergessen, dass wir dich betäuben mussten". Er greift mir unter die Arme und zieht mich mit sich. Ich versuche zu gehen, aber das funktioniert nicht wirklich. An weglaufen ist nicht zu denken. An der Tür angekommen hebt der Fahrer seine Hand und klopft dreimal. Man hört Schritte aus dem inneren und dann wird die Tür mit einem quietschen geöffnet und ich bin überrascht, in ein junges Gesicht zu blicken. Er ist vielleicht Anfang zwanzig und wären wir uns in der Schule begegnet, hätte ich mich sofort in ihn verliebt. Seine dunklen Haare hängen ihn lang in sein Gesicht und die grünen Augen betrachten mich gelangweilt.  

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