Teil80

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Obwohl die Alpträume mich einige Zeit lang in Ruhe gelassen hatten, waren sie nun wieder gekommen. Je näher die Hochzeit kam, desto intensiver wurden sie. Jede Nacht schreckte ich aus einem ähnlichen unruhigem Traum und brauchte lange, um mich wieder zu beruhigen. Die Tage waren bis zum Bersten mit Hochzeitsvorbereitungen gefüllt und Rika, die wohl gemerkt hatte, dass mit mir etwas nicht stimmte, gab ihr Bestes, um mich abzulenken. "Das ist normal, du bist einfach nervös vor so einem bedeutendem Schritt. Hochzeiten machen doch immer alle verrückt. Zu mindestens ist das im Fernsehen immer so!". Doch sie wusste nicht, dass es nicht die Hochzeit war, die mir den Schlaf raubte. Um ehrlich zu sein, vergesse ich manchmal, dass ich tatsächlich diesen Schritt gehen werde. Rika bohrte mehr als gewöhnlich nach und versuchte herauszufinden, warum ich so unruhig war, doch sie musste sich schließlich damit abfinden, dass ich es ihr nicht sagen würde.

Eine Woche vor dem großen Fest besuchte mich Dr. Martinelli, der Hausarzt. Er war sehr wortkarg und ich war mir nicht sicher, ob er seinen Beruf aus stiller Leidenschaft oder nur aus Geldgier gewählt hatte. Jedenfalls passte er perfekt in das Bild, dass man sich von dem Hausarzt einer Gang machte. Er war nicht sehr hochgewachsen, das Alter hatte ihm bereits einige Haare gekostet und in seinem Gesicht fanden sich spuren von harten und zähen Arbeitsjahren.

Ohne zu Reden untersuchte er meinen Körper. Schaute auf die fast verschollenen Narben von Jaden, die nur durch das Bräuner werden meiner Haut wieder sichtbar geworden waren. Bei ihm fühlte ich mich nicht unwohl, vielmehr übertrug sich seine Gleichgültigkeit. Wir sprachen in kurzen Sätzen über meine Schlaflosigkeit und andere Dinge. Er sagte mir den Grund für mein Unwohlsein und ich konnte es kaum fassen. Vielleicht hatte ich es unterbewst geahnt. Dann ging er wieder und hinterließ nur eine Dose mit leichtem Schlafmittel auf meinem Nachttisch. Ob er die Dinge, die ich ihm gesagt hatte und die er an meinem Körper fand, für sich halten würde, konnte ich nur hoffen.

Und schon war eine weitere Woche vorüber und der Tag, den Manche als den wichtigsten Tag in ihrem Leben bezeichnen, kündigte sich mit klarem Himmel und einem bezauberndem Sonnenaufgang an.

Ich weiß gar nicht, wie der Morgen so schnell verlaufen konnte, aber nun sitze ich vor einem Spiegel, während Leute in meinen Haaren rumstochern und mich hübsch machen. Ein halb aufgegessenes Sfogliatelle liegt vor mir und obwohl ich weiß, wie lecker das Gebäck ist, habe ich keinen Appetit. Wie in einem Traum betrachte ich das Spiegelbild des weißen Kleides, dass an dem Kleiderschrank hinter mir hängt. Es ist wunderschön. Sehr schlicht gehalten und Schulterfrei. Es soll wohl die Unschuld der Braut betonen... Wie ironisch.

„Loreena!", meinen Namen rufend, platzt Rika in das Zimmer.

„Ja?". Ich bin kurz überrascht, als ich sie in dem hellgrünen Seidenkleid sehe. Ich wusste gar nicht, wie hübsch und feminin Rika wirken konnte, aber vielleicht versuchte sie diese Seite mit Absicht zu verbergen. Anders kommt man in dieser Welt wohl nicht durch.

„Bist du schon fertig? Langsam sollten wir zur Kirche aufbrechen... Oh Gott! Ich bin sooo aufgeregt!!! Schau, meine Hände zittern richtig!".

Beruhigend lächle ich sie an. Doch das komische Gefühl in meinem Bauch lässt mich überraschend feststellen, dass auch ich vor Aufregung fast zerreiße.

„Hier, ich hab deinen Schleier mitgebracht. Du musst noch einen Riss reinmachen.". Rika überreicht mir den Schleier und jetzt komme ich mir vollends wie bei einer Verkleidungsparty vor.

„Warum soll ich ihn zerreißen? Ich kann ihn auch ganz weglassen, dann kann man ihn nochmal verkaufen oder so.", fragend schaue ich Rika an.

„Na weil das Glück bringt! Du heiratest in Italien, also halten wir uns auch an die italienischen Traditionen! Glück kannst du doch bestimmt brauchen.". Mit einem wissendem Lächeln nimmt sie das eine Ende des Schleiers uns spannt es. Unkommentiert, weil sie recht hat und mich sonst eh nicht in Ruhe lassen würde, nehme ich den leichten Stoff zwischen die Hände und reiße ihn vorsichtig ein.

„Reicht das? Ist das Glück jetzt auf meiner Seite?".

Rika nickt zufrieden, dann wendet sie sich an die Stylistin und als diese das Zeichen gibt, das sie fertig ist, stehe ich auf. Einmal tief durchatmend blicke ich auf das Kleid. Es ist so weit, sobald ich es an habe gibt es kein Zurück. Es hat nie ein Zurück gegeben.

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