Teil59

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Mich hatte man in einen Raum im dritten Stock auf der Rückseite der Villa geführt, und nachdem ich den Schweiß der Reise von mir gewaschen und ein unglaublich leckeres Abendessen auf dem kleinen Balkon meines Zimmers genossen hatte liege ich nun auf dem weichen Bett. Meinen Blick aus dem Fenster gerichtet beobachte ich den vollen Mond beim erklimmen des Himmels und mein Kopf ist ausnahmsweise geleert, nur die Schönheit der Natur, die durch die großen Fenster meines Zimmers scheint erfüllt meinen Geist. Obwohl ich mich den ganzen Tag kaum bewegt hatte, sind meine Lieder schwer und die Erschöpfung ergreift nun vollends Besitz von mir.

Ich weiß nicht, wann genau ich den Kampf gegen den Schlaft verloren hatte, aber als ich wieder meine Augen öffne, ist es tiefste Nacht. Ich befreie mich von der zu warmen Bettdecke und setze mich auf. Der Mond ist nun nicht mehr durch die Fenster zu sehen, dafür aber ein unbeschreiblich schöner und leuchtender Sternenhimmel. Ruhig höre ich dem sanften Atmen zu und versuche die unzähligen kleinen hellen Punkte am Himmel zu zählen. Moment mal, war ich nicht auf der Bettdecke eingeschlafen? Mit einem Ruck drehe ich mich um. Neben mir, leise atmend liegt eine dunkle Gestalt. Ich erstarre. Diese Proportionen kenne ich bereits, ebenso wie den ruhenden Anblick dieser Person bei minderer Beleuchtung. Es ist Jaden. Seelenruhig schlafend neben mir!

Hat er den keine Angst, dass ich ihn im Schlaf mit einem Kissen ersticke? Ich könnte auch meine eigenen Hände um seinen Hals legen, dann würde ich ihn unter mir zappeln spüren, während sein Leben langsam aus ihm herausgepresst wird. Unterschätzt er mich etwa genauso, wie all die anderen? Das wäre besser, besser für mich und besser für meine zukünftigen Pläne. Und eben wegen diesen Plänen muss ich jetzt den unbändigen Drang ihm leid zu zufügen und die brodelnde Wut in meinem inneren weiter unterdrücken. Ich weiß nicht, wie lange ich beides noch vor mir herschieben kann, aber ich darf auf keinen Fall unüberlegt handeln! Ich werde mich rächen, aber ich werde es so tun, dass ich danach wieder ein relativ normales Leben führen kann.

Ihn jetzt umzubringen wäre nicht nur zu gnädig, ich würde mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit noch im gleichen Zimmer sterben, umgelegt von seiner so genannten "Familie", jetzt ja auch meine "Familie". Meine richtige Familie denkt, ich sei tot und das ist wahrscheinlich auch besser so, zum Wohle ihrer selbst. Jetzt habe ich nur noch mich. Außerdem ist mir die Rache nicht wichtig genug, um für sie mit meinem eigenen Leben zu zahlen. Noch nicht. Auch will ich mich nie wieder für andere in Gefahr begeben, die letzten Monate währen schließlich nicht so gekommen, hätte ich diesen verdammten Koffer einfach gelassen, wo er war. Immerhin hatte ich etwas aus dem Ganzen gelernt. Ich komme jetzt an erster Stelle. In meinem Leben gibt es niemanden mehr, für den es sich zu sterben lohnt.

Also richte ich mich so leise wie nur möglich auf und schleiche zu dem Sofa an der anderen Wand des Raumes. Hier werde ich die restliche Nacht verbringen. Ein Blick zur Tür bringt mich kurz in Versuchung, doch es hat keinen Sinn. Das ganze Gelände ist viel zu groß und zu gut bewacht, um einen erfolgreichen Fluchtversuch zu ermöglichen. Selbst wenn ich bis zum dem großen Tor kommen würde, dahinter gibt es nur trockene Natur. Ich lege mich auf die Kissen der Couch und versuche wieder in die Welt der träume abzutauchen. Jaden ist hier mit mir in einem Raum. Ich kann es nicht fassen. Der Schlaf will mich nicht mehr in seinen Bann ziehen und so liege ich einfach nur da und starre die Decke an. Mal wieder.

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