Legato

Teil86

Einige Monate später...

Die ersten Wochen außerhalb des Krankenhausees waren die schwierigsten. Jaden wurde vor mir entlassen, obwohl er viel schlimmer verletzt war als ich. Doch er hatte Sachen zu erledigen, und diese Sachen konnten nicht warten. Ich verbrachte langsam vorüberziehende Stunden und langweilte mich. So viel Zeit zum Nachdenken, das tut keinem gut und ganz besonders mir nicht. Ich habe so vieles, das mich beschäftigt, das ich hätte anders machen können. Aber darum geht es jetzt nicht mehr. Ich habe mein Überleben gesichert.

Seit unserem Gespräch nach meinem Erwachen haben Jaden und ich nicht mehr über diese eine Sache gesprochen. Es ist besser so, aber ich spüre, dass ich einen Teil seines Vertrauens verloren habe. Das ist nicht so schlimm, schließlich vertraue ich ihm auch nicht gänzlich. Aber ich will versuchen das zu verändern. Ich will versuchen, mir ein Leben aufzubauen, dass einigermaßen Befriedigung bringt und mir Freiheit und Ruhe schafft. Aber dafür muss ich Jaden dazu bringen, mir nicht mehr aus dem Weg zu gehen.

Im Krankenhaus wurde ich hauptsächlich von Rika besucht. Einmal kam sie mit Finn, aber das war für alle sehr unangenehm und wir wechselten kaum ein Wort. Er schien mehr an mir zu hängen, als ich erwartet hatte. Für die Hochzeit war er aus Neapel angereist und nach dem schrecklichen Ereignis selbst für einige Tage ins Krankenhaus eingewiesen worden. Dort hatte er auf Rika getroffen und trotz jeglicher abschüttelungsversuche gelang es ihr nicht, ihn von einem Besuch bei mir abzuhalten. Finn sah müde aus, er hatte tiefe Augenringe und zog sein linkes Bein beim gehen nach. Kurz bevor er mein Zimmer wieder verließ, beugte er sich zur Verabschiedung zu mir und flüsterte mir etwas ins Ohr: Wenn du Hilfe brauchst, schreib mir!

Das verwirrte mich. Hilfe? Wobei? Meinte er etwa eine Flucht? Wollte er mit mir durchbrennen? Ich wusste es nicht und nach diesem Treffen sah ich ihn vor meiner Entlassung nicht mehr.

Jetzt sitze ich wieder auf dem Sofa der Terrasse und starre in den weiten Garten. Inzwischen war der Herbst eingetroffen und das ewige Singen der Vögel wurde von Tag zu Tag leiser. „Hier, Guten Appetit.", mit diesen Worten stellt mir die neue Haushälterin mein Abendessen auf den Beistelltisch. Ich bin mir sicher, dass sie es komisch findet, wie ich hier alleine auf der Terrasse sitze und vor mich hin grüble, aber es ist mir egal was sie denkt. Nach der Hochzeit wurde das gesamte Personal ausgetauscht, eine Sicherheitsmaßnahme, die der Villa ein Gefühl von Fremdheit geschenkt hatte.

Und nun? Was soll ich als nächstes tun? Einfach hier herumsitzen und auf etwas warten, dass nicht passieren wird? Ich wollte Sicherheit, jetzt habe ich sie. Auch Jaden lässt mich seither in Ruhe. Wir teilen uns kein Bett, wie es vorhergesehen war, sondern ich schlafe immer noch in meinem Zimmer und sehe ihn fast nie. Er hat viel zu tun, anscheinend war der Anschlag auf unserer Hochzeit nur das erste von vielen Events einer gegnerischen Gang. Es gibt Unruhen, aber wie genau die Lage ist, weiß ich nicht. Mir erzählt niemand etwas. Vielleicht ist das ein guter Startpunkt? Oder sollte ich an der Beziehung von Jaden und mir arbeiten? Ich wollte doch versuchen, ihn zu lieben. Jetzt liegt alles in der Vergangenheit und ich sollte das Beste aus meiner Gegenwart machen! Ich ziehe mein Handy heraus und schreibe Jaden eine Nachricht: Kann ich in dein Zimmer kommen?

Wie er meine Nachricht wohl aufnehmen wird? Ich bin normalerweise der passive Teil unserer Beziehung und reagiere nur auf seine Impulse. Jetzt ist es an der Zeit, etwas zu ändern und das Unausgesprochene zwischen uns aus der Welt zu schaffen. Natürlich verstehe ich, dass auch Jaden seine Zeit braucht, um zu verarbeiten, was geschehen ist, aber im Vergleich zu mir sollte er sich mal zusammenreisen!

„Certo" kommt seine Antwort zurück. Ich lege meine Handy auf die Seite und esse meinen Teller entspann auf. Nervosität durchflutet mich, aber das ist okay. Ich stehe auf und gehe in den ersten Stock. Vor seiner Tür hebe ich meine Hand und zögere kurz, bevor ich leise anklopfe.