Teil63

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Ich durchquere die große Küche mit Essbereich, in die man kommt, wenn man durch die Terassentür ins Innere des Hauses tritt. Die Einrichtung ist sehr liebevoll und ländlich. Niemals wäre man auf die Idee gekommen, dass deren Besitzer tagtäglich über Leben und Tod entscheiden. An der Wand hängen Fotos in Schwarz-Weiß von Männern in Anzügen, vermutlich aus dem frühen 20. Jahrhundert.

Es sind Gruppenfotos, Landschaftsaufnahmen, auf einem Foto kann man die Grundsteinlegung der Villa sehen, und zwischendurch auch Einzelportraits. Auf manchen dieser Einzelfotos wurden vor langer Zeit Unterschriften gekritzelt, vielleicht von Berühmten Personen, aber keine, die ich kenne. Nachdenklich bleibe ich vor dem Portrait eines älteren Mannes stehen.

„Das ist Enrico Caruso", lässt mich eine Stimme hinter mir zusammenschrecken. „Obwohl er den gleichen Nachnamen hat wie unsere Familie, ist er nicht mit ihr verwand. Schade eigentlich, vielleicht hätte er dann nicht so große Probleme mit der 'Black Hand Gang' gehabt, haha.".

Ich drehe mich um und sehe einem jungen Mann, etwas älter als ich, vor mir stehen. Er ist nicht besonders hübsch, aber sieht sympathisch aus.

„Wer war dieser Errico?", frage ich. „haha fast, Enrico, dabei war Errico sogar sein Ursprünglicher Name.", der Junge lächelt „Er war ein berühmter Opernsänger, magst du Opern?"

„Mh, nicht wirklich, aber ich war ehrlich gesagt noch nie in einer..."

„Wie kannst du dann sagen, dass du sie nicht magst? Du kannst ja auch nicht sagen, dass dir das Frühstück nicht geschmeckt hat, wenn du es gar nicht probiert hast! Hat dir das Frühstück geschmeckt?"

„Äh, ja...", antworte ich, etwas verwirrt.

„Sehr gut, das freut mich". Erst jetzt sehe ich, dass er weiße Kleidung, wie man sie in einer Großküche tragen würde, anhat.

„Ach, bist du der Koch hier?", stelle ich die, inzwischen etwas überflüssige Frage.

„Jup", antwortet er nur. Daraufhin folgt eine etwas unangenehme Stille. Verzweifelt nach einem Gesprächsthema suchend, um dem peinlichen Schweigen ein Ende zu bringen, frage ich, ob er hier in diesem Raum kocht.

„Nein, die ist eigentlich nur zur Show da, falls die Hausbesitzer mal selbst 'happy Family' spielen wollen... du sprichst übrigens sehr gut italienisch.", fügt er noch hinzu.

OH SHIT! Ich habe gar nicht gemerkt, dass wir auf italienisch gesprochen haben. Und so schnell verliert man einen Trumpf. Scheiße.

„Danke...", antworte ich. Soll ich ihn bitten, dass für sich zu behalten? Aber ich kenne ihn gar nicht und vielleicht ist es nur noch Verdächtiger, wenn ich ihn jetzt bitte ein Geheimnis zu bewahren. Damit geht er bestimmt gleich zu seinem Boss. Da fällt mir ein, ob Valentino wohl auch gerade in diesem Haus ist?

Hoffentlich nicht. Beim Gedanken an diesen komisch charismatischen Mann läuft es mir eiskalt den Rücken runter. Ich glaube, er kann einen Menschen sofort durchschauen und das wäre für mich gar nicht gut. Jaden ist da schon leichter zu manipulieren... Glaube ich zu mindestens.

"Wie gefällt es dir hier?", reißt mich mein schon fast vergessener Gesprächspartner aus den Gedanken. Habe ich ihn eigentlich schon nach seinem Namen gefragt?

"Geht so, das Haus und der Garten sind sehr schön...", antworte ich trocken. "Wie heißt du eigentlich?".

"Oh, wie unhöflich von mir haha", er wirft einen schnellen Blick auf die Armbanduhr an seinem rechten Handgelenk, dann antwortet er. "Ich heiße Juliano. Schön dich kennenzulernen, leider ist meine Pause nach dem Frühstück jetzt vorbei, das Mittagessen macht sich nicht von allein haha". Er nickt mir zu und geht schon Richtung Tür, doch dreht sich noch einmal um.

"Falls dir das noch niemand gesagt hat: Fühl dich hier wie Zuhause, immerhin ist es das ja auch.", die Worte schweben noch im Raum, da ist er bereits verschwunden. Alleine mit gemischten Gefühlen, einerseits berührt über die offenherzigen Worte, andererseits Frustriert, da dies schließlich nicht freiwillig mein neues Zuhause geworden ist, stehe ich in der Mitte des Raumes und frage mich, was ich jetzt tun soll.

Damit ich nicht den ganzen Tag verwirrt in der Küche rumhänge, mache ich mich auf den Weg zu „meinem" Zimmer. Vielleicht finde ich ja was zum Lesen oder erkunde die noch nicht erforschten Schränke... Da fällt mir ein, ob Jaden sich meinen Wunsch nach einem Handy wohl ernsthaft überlegt? Mehr als ihn darum zu beten, kann ich ohnehin nicht tun... 

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