Kapitel 69

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"Können die Ärzte schon irgendetwas genaueres sagen?", frage ich als ich in den Wartebereich des Krankenhauses trete. Unsere Eltern sitzen hier, genau wie Felix und Mario. Sie sehen alle sehr blass aus und unsere Mutter weint. Der Anblick bricht mir das Herz.

"Noch nicht. Ein Arzt ist gerade noch einmal in dem Zimmer", klärt mich unser Vater auf und schaut mich aufmunternd an. Sein Arm liegt um unserer Mutter und er versucht sie irgendwie zu trösten. Wortlos sinke ich auf einen Stuhl neben Felix hinab und zögernd legt er seinen Kopf auf meine Schulter.

"Ich hab so Angst", haucht er kaum hörbar, aber doch laut genug damit ich ihn verstehe. Felix ist nach wie vor unser Familienmensch. Nachdem unsere Eltern ihre Ehe offensichtlich wieder retten konnten ging es ihm deutlich besser. Aber jetzt. Wenn Fabi was passieren sollte.

"Brauchst du nicht. Es wird alles wieder gut", hauche ich zurück und fahre mit meinen Fingern kurz über sein Haar. Ich denke nicht das ich mich wirklich überzeugt anhöre aber ich kann es nicht ändern. Die Verzweiflung ist auch in mir zu spüren.

Ein Mann im Arztkittel betritt den Wartebereich und sofort springt Mario auf. Felix hebt hastig wieder seinen Kopf und auch unsere Eltern schauen abwartend zu dem Arzt auf. Dann wird das wohl der von Fabi sein. Er lässt das Tablet in seinen Händen sinken und schaut mit einem ernsten Gesicht in unsere. Bei diesem Blick überzieht eine Gänsehaut meinen Körper und ich beginne mich furchtbar unwohl zu fühlen.

"Herr Götze ist erst einmal stabil. Es gibt jedoch erhebliche Schwankungen was seinen Hirndruck betrifft. Sollte er die nächste Zeit weiter ansteigen werden wir den Patienten in ein künstliches Koma versetzen müssen. Wir müssen diese Nacht abwarten. Dann ist er über den Berg, zum jetzigen Zeitpunkt kann immer noch etwas passieren", informiert er uns und ich schlucke schwer.

Felix sinkt tiefer in den Stuhl und Mario lässt sich wieder hinein fallen. Der Arzt redet noch etwas mit unseren Eltern, doch ich habe längst abgeschaltet. Fabi und ich sind das letzte Mal als wir uns gesehen haben im Streit auseinander gegangen. Wir haben danach nicht noch einmal miteinander gesprochen. Wenn ihm jetzt etwas passiert.

Maddie, wieso bist du bloß immer so ein verdammter Sturkopf? Er ist mein großer Bruder, er will mich doch einfach beschützen. Fabi war es immer wichtig, dass ich studiere und in einem guten Job arbeite. Er hat mich da immer unterstützt und mir wahnsinnig geholfen. Er hat mir geholfen ein neues Leben in Hamburg aufzubauen, nachdem ich mir mein Leben in München kaputt gemacht hatte. Er wollte doch bloß das Beste für mich.

Aber ich konnte es ja nicht sehen. Wieso habe ich es nie gesehen? Wieso habe ich es so oft als eine Last empfunden?

"Maddie? Mach dir keine Vorwürfe. Wir wissen, dass ihr das letzte Mal Streit hattet. Aber Fabian liebt dich", taucht plötzlich das Gesicht meines Vaters vor mir auf. Er hat sich vor meinen Stuhl gehockt, seine Hand liegt auf meinem Knie und er schaut mich aufmunternd an. Woher weiß er was ich gerade denke?

"Ich habe doch gar nichts gesagt", murmel ich verwundert.

"Das brauchst du auch nicht. Dein Gesichtsausdruck sagt alles. Hör zu, dein Bruder kann manchmal ein kleiner Sturkopf sein. So wie ihr alle. Aber er wollte bloß das Beste für dich und dein Leben. Natürlich unterstützt er dich und freut sich für dich, aber er war in dem ersten Moment einfach überrascht. Er ist aber nicht sauer, glaub mir", redet er weiter und langsam nicke ich.

Auch wenn ich seinen Worten nicht all zu viel Glauben schenken kann.

"Wie wäre es wenn ihr euch etwas zu essen holt in der Cafeteria?", schlägt unser Vater vor und schaut sowohl mich als auch die beiden Jungs fragend an. Mario nickt bestätigend und steht auf. Er ist blass und sieht nicht so aus als würde er etwas sagen wollen. Auch ich stehe auf, vielleicht bekomme ich so wenigstens etwas meine Gedanken frei.

Wir schauen beide abwartend zu Felix, der sich ebenfalls langsam erhebt. Zu dritt machen wir uns auf den Weg in die Cafeteria, bestellen uns alle eine Kleinigkeit und setzen uns an einen Tisch. Wir sitzen dort schweigend, eine ganze Zeit. Niemand sagt etwas. Ich reiße mir manchmal kleine Krümel von dem Muffin ab und esse sie. Wirklich Hunger habe ich jedoch nicht, mir ist eher schlecht.

"Meint ihr er schafft es?", durchschneidet Mario irgendwann die Stille und ich blicke auf zu ihm. Sein Blick ist auf das Fenster gerichtet, seine Augen verfolgen gerade ein vorbei fahrendes Auto.

"Ich hoffe es", murmel ich. Was anderes fällt mir nicht ein. Mario ist eigentlich immer derjenige, der uns aufmuntert und uns davon überzeugt, dass alles wieder gut wird. Aber wenn selbst er bereits zweifelt, dann schwindet auch mein Optimismus.

"Er muss. Er kann uns doch nicht alleine lassen", haucht Felix neben mir mit zitternder Stimme und ich schaue zu ihm herüber. Hastig streicht sich mein Bruder eine Träne von der Wange und blickt dann verzweifelt zurück in meine Augen. Ich lege sanft meine Hand um seinen Unterarm und schenke ihm ein schiefes Lächeln.

"Das wird er nicht. Fabi ist ein Kämpfer", bringe ich über meine Lippen. Ich kann nicht dabei zusehen wie Felix zerbricht. Und wenn Mario nichts unternimmt um ihn aufzumuntern werde ich das wohl tun müssen. Felix hat es nicht verdient zu leiden. Unter keinen Umständen.

"Wie lief euer Gerichtstermin?", erkundigt sich Mario mit monotoner Stimme. Der Gerichtstermin. Ich habe ihn beinahe schon wieder komplett vergessen. Es ist absurd daran zu denken wie sehr Leon und ich uns heute Vormittag noch gefreut haben.

"Wir haben gewonnen", beantworte ich die Frage und kurz nickt Mario.

"Das klingt gut", murmelt er ziemlich emotionslos. Ich weiß trotzdem, dass er sich freut. Dann verfallen wir wieder in Schweigen. Ich rupfe etwas an meinem Muffin herum, esse aber nicht wirklich etwas davon. Mario starrt weiterhin aus dem Fenster und Felix sitzt bloß so da, ab und zu fällt eine Träne von seiner Wange auf den Tisch. Ich halte es kaum aus bei meinen Brüdern zu sitzen.

Die Stimmung drückt sehr auf das Gemüt.

Als mein Handy klingelt bin ich beinahe schon erleichtert mich aus dieser Situation retten zu können. Ich nehme das Telefonat an, ohne hinzuschauen wer es überhaupt ist und stehe von dem Tisch auf. Ich verlasse das Krankenhaus, stelle mich draußen vor die Tür und höre Leons Stimme.

"Wie geht's dir? Gibt es schon etwas Neues?"

"Nicht gut. Wenn er die Nacht übersteht ist er über den Berg aber momentan sieht es noch nicht so aus. Sein Hirndruck schwankt, wenn dieser weiter steigt wird er ins künstliche Koma versetzt", berichte ich und bemühe mich mit aller Kraft um eine feste Stimme.

"Ach du Schande", haucht Leon mehr zu sich selbst als zu mir "Wie geht es deiner Familie?"

"Mom hat vorhin geweint und Dad bleibt stark für sie. Ich bin mit Felix und Mario momentan in der Cafeteria aber naja ich weiß nicht ob wir wirklich anwesend sind. Mario starrt die ganze Zeit bloß aus dem Fenster, es scheint als würde er kaum daran glauben, dass Fabi wieder aufwacht. Und Felix ist völlig am Ende. Er weint die ganze Zeit still vor sich hin. Ich würde ihn so gerne trösten aber ich kann einfach nicht", beantworte ich seine Frage und raufe mir verzweifelt die Haare.

"Mads, es ist schwer, für jeden von euch. Verständlich. Du musst nicht die Starke spielen, es ist okay jetzt Angst zu haben", redet Leon mit sanfter Stimme auf mich ein. Wie sehr ich mir wünsche, dass er jetzt hier wäre. Aber das geht nicht und das ist mir bewusst.

"Nein ist es nicht. Felix zerbricht da drinnen, du weißt, dass er seine Familie über alles liebt. Wenn Mario nicht der Starke ist dann muss ich diese Rolle übernehmen", entgegne ich entschlossen. Es ist einfach die Wahrheit. Wenn ich auch noch all die Emotionen komplett zulasse und beginne zu weinen, dann ist niemand mehr da der stark ist.

"Das musst du nicht! Denk an dich selbst Maddie. Du hast jahrelange Therapien hinter dir. Deine Brüder nicht, deine Brüder haben noch nie sonderlich große Probleme in ihrem Leben gehabt. Ich weiß, dass es schwer ist. Ich weiß, dass du das Gefühl hast jetzt für alle da sein zu müssen. Aber es bringt niemandem etwas wenn du selbst daran zerbrichst", beharrt Leon und hört sich sehr besorgt an.

Irgendetwas in mir gibt ihm Recht. Aber ein anderer Teil, ein stärkerer, weiß das mein Verhalten richtig ist. Ich muss stark sein, für Felix und für alle anderen.

Das zweite Kapitel der Lesenacht :)

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Roommates // Leon Goretzka FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt