Andreas:
Es dauerte noch eine ganze Weile bis Chris in nur winzig kleinen Schritten fitter wurde. Marian hatte meinen Bruder zwar für den Moment etwas aufgepeppelt, doch aufraffen muss er sich selber, aber so lange er in diesem schlechten Zustand ist wird es sehr schwer werden. Ich hatte ihm nach Marians Ansage was zu Essen ans Bett gebracht, denn an länger aufstehen war bei ihm noch nicht wirklich zu denken. Wenn er es nur versuchte aufzustehen, sackte er wieder rückwärts ins Bett und den Rest verhinderte der Infusionsschlauch vom Zugang, der in seiner Vene steckte. Marian hatte jetzt doch zu stärkeren Geschützten greifen müssen, um seinen katastrophalen Kreislauf wieder auf Trab zu bringen, damit er nicht sofort vorm Bett liegt, wenn er es nur versucht aufzustehen. Seine Trauer in ihm, wirkte da aber körperlich enorm dagegen, so das es nicht nur bei einer Infusion blieb um ihn stabil zu kriegen.Wir wussten beide genau das er nicht freiwillig in ein Krankenhaus gehen wird, zumal er unseren Vater erst kurz vorher dort verloren hatte. Das hat in ihm etwas in seinem Inneren zerstört. Er hat eine Phobie gegen Krankenhäuser entwickelt die ihm noch so manches mal Steine in den Weg legen wird.
Er hing jetzt schon zu lange in seinen Gefühlen fest und seine Stimmung kippte auch in Intervallen immer wieder, so das er uns zwischendurch versuchte rauszuschmeißen, doch mein Bruder kennt mich und weiß, das ich nicht locker lassen werde. Vor allem wenn es ihm grade so dermaßen dreckig geht.
Ich schrieb Sandra das sie die kleine heute Nacht bei uns lassen soll und das sie selber als Unterstützung für Chris wieder zurück kommen soll. Sie sollte mir auch meinen Anzug mitbringen, den ich morgen tragen will, denn ich hatte mir grade vorgenommen heute Nacht hier zu bleiben und ihm in seiner Trauer beizustehen, auch wenn es mir selber genauso schwer fällt. Wir haben uns dann in solchen Momenten wo alles über einem zusammenstürzen könnte gegenseitig und werden versuchen uns auch Halt und Trost zu geben. Grade jetzt wo wir Chris nach fast einer Woche so vorgefunden haben und er immer noch nicht fit war. Er war wirklich körperlich und seelisch schwer angeschlagen und das sollte sich auch in der nächsten Zeit nicht wirklich ändern. Immerhin sind wir eine Familie. Ich denke das es besser ist wenn er heute Nacht nicht alleine ist und das sollte sich auch so bestätigen das weder Sandra, noch ich den längsten Teil der Nacht ein Auge zu tun werden. Ich werde dann morgen mit Sandra und Chris zur Kirche fahren, denn so möchte ich ihn nicht hinters Steuer lassen und das wird sich auch noch als die richtige Entscheidung erweisen.
In der Nacht hörten Sandra und ich ihn immer wieder über längeren Zeitraum weinen. Er hatte es noch nicht geschafft sich sehr lange auf den Beinen zu halten, denn er war immer noch sehr schwach. Deswegen hatten wir Marian in der Nacht noch mal angerufen. Er kam auch, denn er ahnte das es eine harte Nacht für uns alle werden würde. Chris muss am Morgen unbedingt auf die Beine, denn das würde sich Chris nicht verzeihen wenn er die Beerdigung von unserem Vater verpassen würde, grade wo er so viel für uns getan hatte.
Chris war vollkommen durch. So entschied sich Marian ihm was zum schlafen zu geben, so das wir auch zur Ruhe kommen können, denn wir werden morgen alle unsere Kraft brauchen um diesen schweren Tag durch zu stehen.
Doch von Ruhe waren Sandra und ich weit entfernt. Als wir dachten das er endlich nach dem Schlafmittel, was er meinem Bruder gespritzt hatte eingeschlafen war, blieb er trotzdem auch im Schlaf sehr unruhig und uns war klar, warum er nach den vielen Tagen so erledigt war. Etwas arbeitete in ihm, doch er konnte es nicht greifen was es war. Es war sein Unterbewusstsein was Tag und Nacht wieder versuchte ihm etwas zu sagen, was er aber nicht verstand und er sich uns deswegen nicht öffnen wollte. Papas Tod machte das grade nur noch schlimmer.
Wenn das so weiter geht wird er auch psychologische Hilfe brauchen. Das können wir dann selbst in der Familie nicht mehr auffangen können.
Doch Chris wird sich statt an einen Trauerbegleiter zu wenden, so in Arbeit stürzen, das er Tag und Nacht rotiert und sich nicht traut schlafen zu gehen, weil er Angst vor seinen wiederkehrenden Träumen hat, grade weil diese Träume immer unangenehmer für ihn wurden, doch er sagte uns nicht wirklich etwas, wenn wir wieder und wieder zu ihm gingen, weil er klatsch nass wach wurde und völlig erschöpft war, von dem was er träumte. Wie oft hörte Sandra ihn nachts schon schreiend wach werden und gab ihm den Trost und die Liebe die er da brauchte. Er brauchte nur selten Worte, denn seine Tränen sprachen eine deutliche Sprache für sich.
Ich machte mir immer mehr Sorgen um ihn, aber ich wollte es ihn nicht spüren lassen, das es mich auch vor Sorgen mit auffrisst ihn so leiden zu sehen.
Der morgen der Beerdigung
Ich war vollkommen gerädert nach der Nacht und Sandra auch. Wir sahen uns gegenseitig an, das wir echt fertig waren, aber es sollte heute auf dem Friedhof mit Chris noch schlimmer kommen und das war uns beiden bewusst, das wir heute gut auf Chris aufpassen müssen. Doch es half alles nichts. Es war noch recht zeitig um uns fertig zu machen und dann zur Kirche zu kommen. Ariane wird mit Toni und Frank dann die Kinder mitbringen, damit wir auch wirklich alle dabei sein können.
Dadurch das Sandra den Schlafrhythmus von Fabienne inne hat, war sie schon eher als Chris und ich auf den Beinen. Sie hatte schon Kaffee gekocht, der bereits fertig durch die Kaffeemaschine gelaufen war, bis ich es endlich geschafft hatte mich im Gästezimmer aus dem Bett zu quälen. Meine Augen sagten eher, bleib noch liegen, aber der Kaffee lockte dann doch aufzustehen. Ich machte mich im Bad soweit es ging fertig, bis mich dann auch noch der Duft von frischen Brötchen endgültig an den Tisch lockte. Das war auch nötig, denn die letzten Stunden bei Chris hatten unsere ganze Aufmerksamkeit gefordert und auch an unseren Kräften gezehrt. Ich fragte mich immer wieder wie Sandra das so durch hält, während ich in Gedanken darüber nur mit dem Kopf schüttelte. Sandra sah das natürlich und fragte mich, was mir grade durch den Kopf gehen würde. Ich sagte ihr das ich sie für ihre Stärke und ihr Durchhaltevermögen bewundere und ich mich frage wie sie das alles so schafft. Ihre Antwort wunderte mich dann aber nicht mehr wirklich. Sie meinte nur ,,Wenn man Chris um sich hat, wächst man mit jeder neuen Aufgabe, die einem unvermittelt gestellt wird". Ich musste schmunzeln, denn ich wusste genau was sie damit meinte.
Meine Blicke fielen während Sandra und ich am Tisch saßen immer wieder auf die Uhr. Wir wollten Chris so lange es geht schlafen lassen und hatten nun nicht mehr so viel Zeit, weshalb ich beschlossen hatte Chris jetzt zum aufstehen zu bewegen. Sandra wollte sich in der Zeit auch anziehen und mir dann notfalls mit Chris helfen. Doch was dann geschah, konnten wir beide nicht so wirklich nachvollziehen.
Es polterte hinter der verschlossenen Schlafzimmertür was uns neugierig machte. Ich wäre vor Sorge am liebsten sofort zur Tür gerannt, um nachzuschauen was da los war, doch Sandra hielt mich fest und legte mir ans Herz noch einen Moment abzuwarten. Mir fiel das sichtlich schwer, denn mein Herz sagte mir grade etwas anderes als Sandra ihr Gefühl. Auf was sollte ich nun hören? Ich vertraute Sandra natürlich und blieb stehen. Ich hörte Schritte und die Tür ging auf.
Chris kam mir entgegen geschloft. Er wirkte noch sehr verschlafen, aber er war auf den Beinen, womit wir ja eigentlich gar nicht gerechnet hatten. Ich schaute ihm ungläubig und sprachlos hinterher bis er im Bad verschwunden war. Ich blieb dann aber doch im Türrahmen zum Bad etwas weiter stehen, um zu schauen was er tut, denn neugierig war ich nun doch.
Den Anblick kannte ich von meinem Bruder so noch nicht. Erschrocken fiel mein Blick in den Spiegel, der mir sein Spiegelbild offenbarte. Der Bart war zu lang, die Haare waren vollkommen ungepflegt, was eigentlich untypisch für Chris ist, und die Augen waren nach wie vor vom weinen rot und geschwollen. Ich wusste genau was das zu bedeuten hatte, sprach ihn aber nicht darauf an.
Stattdessen blieb ich da stehen und beobachtete ihn mit schwerem Herzen weiter. Ganz in Gedanken versunken, schickte er mich ein paar Minuten später dezent zum Badezimmer raus. Er hatte mich also doch wahr genommen, ließ mich und meine Sorge um ihn aber doch gewähren. Beruhigt ging ich wieder Richtung Küche. Ich hörte die Dusche leise vor sich hinpletschern. Das war schon mal gut. Das bedeutete das er sich zunindestens für die Beerdigung fertig machen würde.
Gut eine halbe Stunde später kam er dann mit nassen Haaren und einem Handtuch um sich rum gewickelt aus dem Bad und ging langsam ins Schlafzimmer. Im Vergleich zu gestern wirkte er wie ausgewechselt. Doch das es nicht so war, sollten wir später noch bemerken. Seinen Bart hatte er dran gelassen, aber zurecht gestutzt. So konnte man ihn nicht sofort als den Magier erkennen, wie der, den er sonst rasiert und geschminkt auf der Bühne zeigt. Er hat zwei Seiten und heute wird noch eine neue dazu kommen, die mir später noch Sorgen machen wird.
Es ist schon immer etwas risikobereiter als alle anderen vom Team und der Familie, doch heute wird sich noch Unvernunft dazu gesellen.
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First Love
FanfictionDiese Geschichte beginnt noch vor dem bahnbrechenden Erfolg der Ehrlich Brothers. Jeder der beiden hat sein eigenes Studium mit Abschluss hinter sich und arbeiten in einer festen Anstellung in einem Gymnasium und in einem Internat. Allerdings hegen...