143.Kapitel

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Melanie:

Wir standen vor einem Grab für Sternenkinder.

Jetzt verschlug es mir endgültig die Sprache, als ich im stillen den Namen des Kindes las und das Sterbedatum vor mir sah. Ich wunderte mich schon sehr, denn nur wenige Monate später wurde ich geboren. In meinem Kopf ratterte es unaufhörlich und ich fragte mich wie das nur möglich sein konnte.

Erst jetzt sah ich meine Mutter an, die bitterlich weinte und mir so allmählich klar wurde was hier grade passierte. Es war hier ein kleines Mädchen beerdigt worden mit dem Namen Francine Apel. Jetzt war meine Neugier geweckt und ich wollte nun die ganze Wahrheit wissen. Wenn mein Vater noch leben würde, ... spätestens jetzt würde ich ihm deswegen die Hölle richtig heiß machen und da könnte mich auch Chris nicht davon abhalten. Ich weiß eh nicht wie ich ihm das sagen soll. Er wird es mir sicher eh ansehen das mich etwas ganz bitter getroffen hat. Meine Mutter zögerte ganz bewusst bis auf diesen Moment hinaus, denn sie wollte mir etwas bestimmtes sagen und nun wusste ich was es sein sollte. Sie hat extra auf diesen Moment gewartet, weil sie sich sicher sein wollte das ich dafür bereit sein würde um diese Nachricht zu verkraften. Sie wusste immer das ich mir wegen meinen gewaltbereitem Vater Sorgen um sie gemacht hatte und jetzt wo sie frei ist, sollte ich es auch erfahren und verstehen, auch wenn dies ein sehr harter Brocken für mich sein würde.

Melli:
Mama, wer ist das? Und warum trägt dieses Kind den selben Nachnamen wie wir?
Marianna:
Sie wäre deine Zwillingsschwester gewesen.
Dein Vater hatte mich in unserer Ehe regelmäßig vergewaltigt und nur wenig später hatte ich erfahren das ich dadurch Schwanger war und das ich Zwillinge erwarten sollte. Eines abends kam er wieder betrunken nach Hause und war brutal mir gegenüber. Er vergewaltigte mich ein weiteres mal trotz das er wusste das ich schon weiter Schwanger war. Ihm war es egal ob euch was passieren würde oder nicht und das ich während dessen wahnsinnige Schmerzen hatte. Ich merkte das etwas nicht stimmte. Ich bekam starke Blutungen und wurde nach einem Notruf in die Klinik gebracht. Dort wurde ich untersucht und es wurde festgestellt das eines der beiden Kinder nicht mehr am Leben war. Ich wurde mit einer speziellen Technik notoperiert, so das nur das tote Kind aus dem Bauch geholt wurde. Ich lag bis zu deiner Geburt fest in der Klinik um deine Entwicklung nicht zu gefährden und um mich vor der Gewalt deines Vaters zu schützen. Du wurdest dann per Kaiserschnitt geholt. Dabei wurde bei vollem Bewusstsein eine Totaloperation gemacht, um eine weitere Schädigung der Organe und weitere Schwangerschaften durch Vergewaltigungen zu verhindern. Man konnte mich ja nicht zwingen deinen Vater anzuzeigen, das hatten andere getan. Ich tat es nicht aus Angst um Dich. Er hatte der Polizei damals schon gesagt das ich sein Eigentum bin und er mich so oft er will zum Sex zwingen wird, ob ich will oder nicht. Er ist damals unter Alkohol als unzurechnungsfähig verurteilt worden und er wurde gezwungen einen Entzug zu machen. Das hat dann auch einige Jahre gehalten, bis er seinen Job verloren hatte und alles wieder von vorne begonnen hatte. Er hatte mich wieder regelmäßig brutal mißbraucht, nur das ich nicht mehr Schwanger werden konnte. Das wollte ich damals so und das hatte ich deinem Vater verschwiegen das ich keine Kinder mehr kriegen konnte. Das war schon hart mitzubekommen, wie einem die Ärzte jegliche Chance nehmen, wieder Kinder bekommen zu können. Wenn man hört wie sie mit den Instrumenten an einem arbeiten und man weiß das nach der Op nichts mehr wie vorher ist. Die ganzen Nachuntersuchungen und die Schmerzen haben alles aufgewogen, nachdem man mir dich in den Arm gelegt hatte und es klar war das es dir gut geht. Deswegen warst du immer ein Einzelkind. Du hast nur selten etwas mitbekommen, weil er mir jedesmal den Mund zugehalten hat, damit ich nicht schreien konnte. Manchmal vergewaltigte er mich sogar mehrmals hintereinander, weil er es genossen hat, Macht über mich zu haben. Er ließ es nach außen so wirken, als wären wir alle eine glückliche Familie nachdem du geboren warst. Dich hat er nie angefasst als du klein warst, um so mehr hat er seine Wut an mir ausgelassen. Ich habe dich immer beschützt und da du selber ein Kind erwartest ist es an der Zeit das du die Wahrheit erfährst. Das war der Grund warum ich so getroffen reagiert hatte. Es war so viel wieder hoch gekommen. Ich hatte wieder Schmerzen, obwohl nichts mehr da war. Es hat seelisch wieder weh getan. Und ich hatte Angst dass du das auch hast mitmachen müssen.
Melli:
Unser Baby ist aus Liebe entstanden und es ist zu tausend Prozent ein Wunschkind von uns beiden. Chris ist zwar gelähmt, aber wir wollen es beide und er freut sich genauso wie ich auf dieses Kind. Ich kann das nicht glauben was du mir da grade gesagt hast. Aber jetzt kann ich dich besser verstehen und warum du reagiert hast wie du es getan hast, aber bei uns brauchst du dir da keine Sorgen machen. Wir sind glücklich zusammen und das wirst du sehen wenn wir dich besuchen kommen. Ich hätte also tatsächlich eine Schwester gehabt?
Marianna:
Ja und dein Vater hatte sie auf dem Gewissen. Er hat mich damals mit allem alleine gelassen. Mit der Trauer und der Beerdigung. Es hat so weh getan. Ich gehe sehr oft hier her. Besonderes an deinem Geburtstag.
Melli:
Komm lass dich mal drücken. Ich nehme dir das nicht übel. Und jetzt lass uns gehen. Du hast lange genug gelitten. Um so wichtiger ist es jetzt das du mit dem trinken aufhörst. Ich möchte das du dein Enkelchen sehen kannst, wenn es da ist und ich möchte das Du Chris kennen lernst. Dann weißt du was ich meine. Er wird auch dich verzaubern, so wie mich. Er ist privat ganz anders wie er auf der Bühne war.
Marianna:
Aber wie konntest du von ihm Schwanger werden wenn er gelähmt ist?
Melli:
Das behalte ich für mich Mama. Das ist ganz privat. Es ist möglich. Nur das zählt. Ich hab mich beruflich weitergebildet und das hat uns allen geholfen. Chris und mir als Paar und auch seinem Bruder mit seiner Frau. Auch die Medizin entwickelt sich weiter und kann Paaren wie uns weiterhelfen. Er hat schon genug mitmachen müssen Mama. Aber nichts desto trotz hatte er auch seinen Spaß.

Melli:

Das war ein Schlag ins Gesicht. Nicht nur das ich erfahren musste das ich eine Schwester gehabt hätte, sondern das ich auch noch erfahren musste, was mein Vater wirklich für ein Schwein war. Je mehr ich noch erfahre, um so mehr bin ich mir sicher das ich mir keine Vorwürfe mehr machen werde und um so sicherer bin ich mir das er es verdient hatte von mir erschossen zu werden.

Ich hatte da schon mal das Gefühl das jemand über mich wachen würde und mir jemand die Hand geführt hatte. Aber je mehr ich darüber nachdachte wer es hätte sein können, um so mehr kamen mir die Gedanken auf das es vielleicht wer gewesen sein könnte, wer mich auch zu schützen versucht hatte.

Ob es vielleicht meine Schwester war, die aus Rache abgedrückt hatte? Es heißt doch immer das es die Rache aus dem Grab geben soll. Diesmal glaubte ich es tatsächlich und ich verstehe immer mehr die Hintergründe, warum sich Chris und Andreas an ihren Vater halten, der in ihnen weiter lebt und sie aus dem Grab beschützt. Wer weiß?, vielleicht sitzen sie grade zusammen und unterhalten sich über uns. Ich hoffe nur das bei mir alles mit dem Baby gut gehen wird. Chris seine Träume machen mir schon etwas Angst, aber das auch jemand über mich zu wachen scheint, beruhigt mich doch etwas und ich sehe positiver in Chris und meine Zukunft.

Der Weg nach Hause war bei uns beiden sehr nachdenklich angehaucht, denn wir mussten das erst mal verdauen, was wir grade besprochen hatten. Ihr fiel es schwer das sagen zu müssen und mir fiel es schwer das zu glauben. Mir blieb fast das Herz stehen als ich zusehen musste, wie meine Mutter am erzählen war. Doch das schlimmste sollte uns heute Nacht zu Hause erwarten. Schlimme Stunden mit vielen Erinnerungen und ohne Alkohol und vielen Gesprächen, die sehr tiefgründig werden können und alte Wunden aufreißen werden. Aber es wird endlich mal alles ausgesprochen was uns auf der Seele liegt und man kann einen Neuanfang wagen und alles negative alte hinter sich lassen. Das kleine Wesen in mir macht eine Familie aus Chris und mir und er hat noch viel mehr hinter sich lassen müssen. Nur das er nicht so viel negatives erlebt hatte wie wir.

Während wir eine emotionale Nacht hatten, hatte Chris so seine eigenen Probleme mit seiner Tochter.

Nachdem meine Mutter doch in der Nacht erschöpft eingeschlafen war, schrieben wir uns noch eine ganze Weile hin und her, denn wir hatten beide Redebedarf. Ich wahrscheinlich aber mehr als er, nach dem heutigen Tag. Fest steht das ich mit Chris auch noch mal hier her gehen werde, um ihm auch noch das letzte Puzzleteil meiner Vergangenheit zu offenbaren.

Er hatte sich vorgenommen mit seiner Tochter darüber zu reden, was alles so die letzte Zeit passiert war und ihr auch die Folgen klar zu machen. Bisher hatte er sich das nur vorgenommen ihr von dem zweiten Grab zu erzählen. Aber heute wollte er es ihr sagen was in der Richtung schon voran gegangen war. Seine Mutter hatte sich darum gekümmert und einen Termin für die Miniurnenbeisetzung festgelegt.

Fabienne sollte auf jeden Fall dabei sein und auch für Chris wird das sehr wichtig werden, auch wenn es ihm noch nicht so richtig klar sein wird. Er wird für sich dann auch abschließen können, zumal er bei der originalen Beisetzung nicht dabei sein konnte. Jetzt bekommt er noch mal eine Zweite Chance sich zu verabschieden und sich auf eine Zukunft mit mir einzulassen. Das hatte er noch nicht so mitbedacht, aber ich, und ich werde ihn so gut es geht dabei unterstützen. Es ist auch für ihn wichtig einen Anlaufpunkt zu haben, wo er an den Jahrestagen trauern kann und das werde ich ihm auch nicht verwehren. Sie gehört zu seiner Vergangenheit dazu und das akzeptiere ich auch. Vor allem hat er dann etwas, was er mit seiner Tochter zusammen machen kann, weil es etwas ist was beide verbindet. Das ist denke ich das wichtigste für beide zusammen.

Ohne zu wissen was der nächste Tag bringen würde, verabschiedete ich mich von meinem Schatz und ging schlafen.

Am nächsten morgen lag wieder ein Alkoholduft in der Luft, den ich so oft von meinem Vater kannte. Scheinbar hatte meiner Mutter die Nacht doch mehr zugesetzt als ich dachte. Ich holte mir schnell einen Kaffee und schaute sie enttäuscht an, als sie sich grade einen Kurzen einschenkte und einen Blick auf die Tageszeitung von heute warf. Ich hatte doch alles weg geschüttet und ich fragte mich, wo sie diese Flasche, die sie grade öffnete her hatte.

Als ich die Überschrift las, wusste ich warum sie wieder zum Schnapps griff. Und nicht nur wir werden darüber geschockt sein.

First LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt