114.Kapitel

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Andreas:

Chris hatte heute eine erste unruhige Nacht. Er wusste was heute auf ihn zukommt und er spürte genau das er sich dem nicht entziehen kann. Ich hatte meine Schlafzimmertür heute Nacht etwas angelehnt gelassen, um mitzukriegen wenn es ihm nicht gut gehen würde. Zusätzlich hatten wir auch noch Vollmond und das machte ihm sowieso schon als Kind immer Schwierigkeiten beim schlafen, aber heute Nacht war er besonders unruhig. Ich weiß das meine Schwester aber mindestens genauso nervös ist was meinen Bruder betrifft, denn sie schrieb mich später am Abend noch mal an, das ihr sehr unwohl ist und das sie hofft das Chris das durchstehen wird, weil sie seine Ängste von damals noch kennt und sie vermutet das sich daran noch nichts geändert hat. Ich denke mir das sich jeder so seine Gedanken dazu macht und das jeder unterschiedlich damit umgeht.

Mein Bruder war heute schon früh wach und beobachtete alles um ihn rum. In erster Linie muss der normale Alltag bei uns laufen und Toni wird daher erst dann kommen wenn die Kinder weg sind, damit etwas Ruhe ist und sie sich auf Chris konzentrieren kann. Sie macht nicht nur alles was seine Pflege betrifft sondern kümmert sich auch um seine Medikamente als Krankenschwester. Für sie ist Chris ein Patient der aktuell mehr Hilfe braucht und nebenbei ist er ihr Bruder den sie über alles liebt und ihr seine jetzige Situation auch privat ziemlich zusetzt. Das muss sie aber bewusst ausblenden um ihre Arbeit vernünftig machen zu können. Sie hat damals schon lange gebraucht um sich von dem Schock zu erholen als Chris den allergischen Schock nach seiner Fuß-OP hatte. Sie weiß es besser als jeder andere was Chris gut tut und was nicht. Das war ja genau der Punkt, um ihn zu Hause pflegen zu lassen, damit er im Kreise der Familie gut aufgehoben sein wird.

Toni war lange bei ihm drin und meine Menschenkenntnis und mein Gänsehautgefühl sagte mir immer wieder zwischendrin, dass bei Chris auch Tränen im Spiel waren und mein Blick in sein Gesicht gab mir definitiv recht. Es war für uns alle heute das erste mal ein komisches Gefühl Chris seit langer Zeit wieder hier zu haben. Wir hatten uns alle daran gewöhnt ständig zwischen der Klinik und unserem Haus hin und her zu fahren. Nun konnten wir uns das sparen und wir haben alle mehr Möglichkeiten Chris immer sehen zu können wann wir wollen. Wir brauchen uns nicht mehr an Besuchszeiten zu halten und wenn es neue Informationen gibt sind wir an erster Stelle, denn der regelmäßige Austausch zwischen seinem Arzt und den Therapeuten ist das allerwichtigste.

Toni bestätigte mir Chris seine Ängste und das er es schwer haben wird sich an bestimmte Sachen zu gewöhnen, immerhin ist es ein Eingriff in seine Intimsphäre, das uns allen zwar bewusst ist, aber nicht zu ändern ist, wenn wir ihn wieder fit kriegen wollen. Diese Woche wird er was die zusätzlichen Therapien betrifft noch Schonfrist haben, aber dann wird das Tempo angezogen und mein Bruder wird mehr gefordert. Die erste Zeit wird er von Melanie bearbeitet und später wird er außerhalb trainieren müssen, weil er an Geräte muss die wir hier nicht zu Hause haben.

Ich war eine ganze Weile bei ihm drin und konnte spüren was sein Herz mir sagen wollte. Melanie war noch nicht da und so konnte ich ihm die Situation von ihr vor dem OP erzählen. Ich berichtete ihm über meine Gefühle die Melanie immer wieder betreffen. Ich hatte mich zwar der Vorurteile ihr gegenüber entledigt, aber ein gesundes Misstrauen zu ihr hatte ich trotzdem noch immer und das wollte ich das Chris das auch versteht. Er hörte genau zu und nahm das hin was ich ihm sagte, was anderes konnte er ja auch erst mal nicht machen. Er ist nicht der Mensch der andere sofort verurteilt. Er gibt jedem die Chance die er verdient und gibt jedem eine Möglichkeit etwas dazu zu sagen. Ich hatte aber im Gefühl das Chris sich in  der Richtung auch schon Gedanken gemacht hatte, was ihre Vergangenheit betrifft, denn auch ihm weicht sie immer wieder aus, wenn ich sie in seinem Beisein angesprochen habe. Sie wird dann unruhig und lenkt geschickt vom Thema ab. Auch wenn sie mit mir darüber spricht und Chris zuhört ist es ihr unangenehm das Chris etwas erfährt was er wohl nicht wissen soll.

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