Kapitel 106

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Als er zurück zu der Feier ging, war der Raum bereits deutlich voller als zu dem Zeitpunkt, an dem er nach draußen gegangen war. Überall traf er Mitschüler oder abgeordnete aus dem Ministerium. „Sirius!", lächelte Thalia und winkte ihn zu sich. „Das hier ist Jasmine Burke, sie ist in der fünften.", sagte sie höflich. Dann lehnte sie sich näher an ihn heran und flüsterte in sein Ohr. „Sie hat schon sieben mal nach dir gefragt!"

Sirius lächelte und reichte ihr die Hand. „Schön, dich kennenzulernen!", sagte er und reichte ihr ein Glas Sekt. „Die Freude liegt bei mir!", sagte sie und nahm das Glas dankend an. Noch wenige Minuten zuvor schwirrten seine Gedanken völlig um seine Freunde in Hogwarts, daher fiel es ihm schwer, sich auf das Gespräch einzulassen.

„Jasmine hat mir gerade erzählt, wie sehr sie das Fach Zauberkunst liebt! Das ist doch auch eines deiner besten Fächer, nicht wahr?", fragte Thalia. „Oh – ja. Absolut! Professor Flitwick ist wirklich ein begabter Zauberer und Lehrer!", sagte Sirius. „Auf jeden Fall!", strahlte sie und reichte ihm ein Glas Sekt.

Je später es wurde, desto leerer wurde das Haus. Als Kreacher damit begann, das dreckige Geschirr wegzuräumen und den Boden zu wischen, kam Walburga deutlich angetrunken in den Flur gestolpert. Sirius und Regulus huschten noch zwischen ihren Zimmern hin und her, doch als sie die Stimme ihrer Mutter hörten, horchten sie auf.

Orion stand mit dem Rücken zu ihr gekehrt und drehte sich erst um, als die Stimme seiner Frau durch den Flur schnitt. „Bist du auch manchmal des Lebens etwas müde?", fragte sie und ging mit einem Glas in der Hand auf ihn zu. „Als wärst du nicht wirklich glücklich? Aber sterben ist auch keine Möglichkeit?", fragte sie. Orion sah sie wütend von Kopf bis Fuß an. Sein Ton hätte nicht niederträchtiger sein können. „Wie viel Feuerwhiskey hattest du?!", zischte er und schaute sich um. „Haben die Kinder dich so gesehen?", fragte er etwas leiser und ließ seinen Blick die Treppe hochwandern.

Oben sahen Sirius und Regulus sich besorgt an. „Geh schlafen.", sagte Sirius und schob Regulus in sein Zimmer. Er wusste, dass Walburga, was auch immer sie zu sagen hatte, nicht freundlich bleiben würde.

Walburga nahm den letzten Schluck aus ihrem Glas. „Wenn ich sie sehe, unsere Kinder, spüre ich nichts. Es ist, als wären sie nicht wirklich hier. Ich weiß, dass ich sie lieben müsste, aber sie sind mir egal! Ich wünschte, ich könnte sie lieben, aber ich kann nicht.", sagte sie und seufzte. „Ist es zu spät für mich?", fragte Walburga leise und ließ sich in die Arme ihres Mannes fallen.

Sirius holte tief Luft. Er hatte schon immer geahnt, dass seine Mutter auf diese Weise über ihn denkt, doch scheinbar sind ihre Gefühle Regulus gegenüber nicht anders! Er enttäuscht sie bloß nicht.

„Ich liebe dich nicht.", sagte sie Orion, bevor beide sich in das Schlafzimmer begaben. „Ich weiß. Wir müssen aber dafür sorgen, dass es funktioniert.", sagte er, bevor er die Tür schloss.

Sirius, der noch immer gegen das Treppengeländer lehnte, stand nun langsam auf und schleppte sich in sein Zimmer. Er lag auf seinem Bett und starrte an die Decke. Was auch immer er tat, er musste Regulus beschützen, so viel stand fest.

Bis Weihnachten war es sehr ruhig im Haus der Blacks. Sirius wagte es nicht, über das zu sprechen, was er gehört hatte, daher blieb er oft in seinem Zimmer und spielte Klavier oder las in den Märchen von Beedle dem Barden, das er zum Geburtstag von seiner Cousine Andromeda bekommen hatte.

Am Weihnachtsmorgen stand Regulus früher auf als sonst. Seine Augen strahlten, als er am Frühstückstisch saß mit einer Tasse heißer Schokolade. „Frohe Weihnachten!", sagte er, als Sirius das Esszimmer betrat. „Guten Morgen und Frohe Weihnachten.", antwortete Sirius, schnappte sich einen Keks und sah sich im Raum um. Wie jedes Jahr fiel ihm der fehlende Weihnachtsbaum auf, außerdem hingen keine roten Socken über dem Kamin. Eigentlich hätte er nie von diesen Traditionen gewusst, wenn seine Freunde nicht jedes Jahr aufs Neue von ihren hervorragenden Ferien schwärmen würden.

„Dein Weihnachtsgeschenk, Regulus.", sagte Walburga und überreichte ihm ein kleines Päckchen mit einer roten Schleife darum. Sie strich ihm einmal über die Wange und setzte sich zurück an ihren Platz. „Wahnsinn!", strahlte er, als er das brandneue Schachbrett mit den zarten Figuren auspackte. „Dankeschön!", sagte er, stand auf und fiel seiner Mutter um den Hals. Walburga tätschelte ein wenig den Rücken ihres Sohnes, bevor sie sich aus der Umarmung löste.

„Habt ihr auch ein Geschenk für Sirius?", fragte er, ohne die Blicke zwischen seinem Bruder und Walburga zu bemerken. Er war viel zu beschäftigt mit seinem neuen Schachspiel. Sirius hatte nicht viel erwartet, er hatte sich daran gewöhnt, weniger zu bekommen als sein Bruder, doch das einfache Kopfschütteln seiner Mutter war wie ein Stich ins Herz. Sie hatte ihn abgeschrieben. Er war nicht mehr ihr Sohn – nicht wirklich. „Ich habe mein Geschenk schon bekommen. Es ist in meinem Zimmer.", sagte Sirius schnell, bevor Regulus von seinem Schachset aufblicken konnte.

Statt sich zu seiner Familie zu setzen, griff Sirius nach zwei Keksen, die Regulus gebacken hatte und verschwand in sein Zimmer. Obwohl er zum ersten Mal in diesen Ferien gut geschlafen hatte, fühlten seine Augenlider sich schwer an, seine Muskeln waren müde. Trotzdem zwang er sich, nicht der Versuchung des Vormittagsschlafes zu verfallen und von seinem Bett aufzustehen. Seit fast zwei Wochen hatte er nichts mehr von seinen Freunden gehört, daher kreisten seine Gedanken um all die kleinen Weihnachtstraditionen, die wohl gerade bei seinen Klassenkameraden stattfanden.

Marlene würde sicher gerade einen ausgiebigen Morgenspaziergang mit ihrer Familie im Schnee machen, sie fuhren über die Feiertage oft nach Norwegen. James war bereits nachts ins Wohnzimmer geschlichen und hatte sich die Geschenke angesehen. Lily würde mit Sicherheit gerade mit ihrer Schwester Petunia streiten, die unheimlich eifersüchtig darauf war, dass Lily, im Gegensatz zu ihr selbst, eine Hexe war. Peter schlief gerne und lange, daher malte Sirius sich aus, dass Peter vor elf Uhr keinen Fuß in das Wohnzimmer setzen würde. Alice hätte am Abend vorher einen Brief von Frank bekommen, dass er ihr ein Geschenk bringen würde. Die beiden waren so glücklich zusammen, so unkompliziert. Natürlich waren sie noch nicht offiziell zusammen, allerdings musste man kein Spion sein, um die Blicke zu bemerken, die sie sich zuwarfen.

Sirius hatte sich den ersten Gedanken, der ihm in den Kopf geschossen war, verboten. Jetzt konnte er den Jungen mit den hellbraunen, welligen Haaren jedoch nicht mehr aus seinem Kopf verbannen. Remus würde Schokolade-mampfend zwischen einem Haufen Geschenke sitzen. Er hatte mit Sicherheit noch seinen Schlafanzug an, den, mit dem Geweih drauf, was James unheimlich lustig fand. Remus versuchte ständig, James davon zu überzeugen, dass seine Animagusform ein Rothirsch war und das Geweih auf seinem Schlafanzug zu einem Rentier gehörte, doch James weigerte sich einer solchen Behauptung Beachtung zu schenken. An diesem Weihnachtsmorgen würde seine Mutter erneut versuchen, ihn zum Bleiben zu bewegen, sie würde alles daran setzen, ihn zuhause zu unterrichten. Je öfter Morde an Muggelgeborenen und magischen Kreaturen wie Werwölfen im Tagespropheten standen, desto öfter flogen Briefe durch die große Halle von besorgten Eltern. Lyall und Hope Lupin hielten den Rekord für diese Art von Briefen. Wie jedes Mal, wenn Remus Mutter dieses Thema aufbrachte, versicherte Remus, dass es ihm in Hogwarts gut ginge und was für wunderbare Freunde er hatte.

Sirius stand auf und zog langsam seinen Koffer unter dem Bett hervor. Er seufzte schwer, bevor er ihn öffnete. „Wir sind nur Freunde. Wirklich, wirklich – wirklich – gute Freunde.", sagte er zu sich selbst und holte den Pullover und den kleinen Zettel heraus. Er drückte den Wollpullover an sich und stellte sich vor, es wäre Remus Hand, der ihm liebevoll über die Schulter streichelte, nicht seine eigene. Er konnte seine sanfte Stimme hören, die ihm versprach, dass alles einmal gut werden würde, dass auch diese Ferien vorbeigingen. „Eines Tages.", murmelte Sirius in den Pullover und lehnte sich gegen sein Bett. „Eines Tages."

Die Rumtreiber - die ganze GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt