Kapitel 112 - Vollmond

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Der Vollmond stand bevor. Es war der erste Vollmond, den die vier Jungen zusammen in der Hütte verbringen würden, die für Remus gebaut wurde. Während Peter in einem Klassenzimmer nervös immer wieder seine Gestalt wechselte, James noch einmal die letzten Risiken auf ein abgerissenes Stück Pergament schrieb und Sirius aufgeregt an seinen Fingernägeln knibbelte, saß Remus vor dem großen Fenster des Gemeinschaftsraumes und blickte auf die untergehende Sonne. Obwohl er es sich nicht anmerken ließ, war niemand nervöser als er.

Gegen acht Uhr ging Remus hinaus und zwinkerte seinen Freunden ein letztes Mal zu. „Bis gleich.", flüsterte Sirius und drehte sich um. Sie hatten verabredet, etwa eine Stunde später zur Hütte zu kommen, damit niemand Verdacht schöpfte.

„Was ist, wenn sie unsere leeren Betten entdecken?", fragte Peter, als sie sich im Schlafsaal versammelt hatten. „Sie denken, wir spielen den Slytherins einen Streich!", sagte Sirius bestimmt und zog den Unsichtbarkeitsumhang unter James Bett hervor. „Niemand darf mitkriegen, dass wir verschwinden. Verstanden?", fragte James und sah seine Freunde durchdringend an. „Kein Stolpern, kein Zaubern, klar?", fragte er scharf und schmiss sich und seinen Freunden den Umhang über den Kopf. Erst jetzt wurde deutlich, wie sehr auch Peter, James und Sirius gewachsen waren. Vor einem halben Jahr passten sie noch alle bequem unter den Umhang, doch mittlerweile mussten sie darauf achten, alle Zehenspitzen unter dem Umhang zu behalten.

So vorsichtig wie es nur ging schlichen sie durch den Gemeinschaftsraum. Auf den Korridoren war es ruhig, trotzdem bestand James darauf, den schützenden Umhang über ihren Köpfen zu behalten. Sirius schüttelte sich wegen dem kalten Wind, der durch die offenen Fenster im ersten Stock pfiff und als sie endlich im Schlosshof standen, bibberte er aus tiefster Seele. „Du solltest im Januar wirklich keine Lederjacke tragen, sondern Pullover und Winterjacken!", seufzte James und legte, als sie kurz vor dem Eingang zum Tunnel standen, endlich den Umhang ab.

Sirius streckte und räkelte sich, als hätte er zum ersten Mal seit Jahren genug Platz, sich frei zu bewegen. Sie sahen dabei zu, wie die peitschende Weide sich aufbäumte und machten einige Schritte zurück. „Was machen wir mit diesem Mörder-Baum?", fragte Peter und wich vor einem dicken Ast zurück, der nur wenige Zentimeter neben ihm auf den Boden aufschlug. „Ich wüsste da etwas.", grinste James seinen Freund an. „Ich habe das Gefühl, dass mir das ganz und gar nicht gefallen wird!", seufzte Peter und ließ sich von James den Plan erklären.

Peter war der erste, der sich verwandelte. Aus dieser Perspektive wirkte die peitschende Weide noch gefährlicher und wütender. Langsam setzte er eine Pfote vor die andere und erwartete, jeden Moment von dem riesigen Baum zerquetscht zu werden. Sirius und James hörten nur ein leises Piepsen. „Nun beeil dich, Pete!", sagte Sirius und schon klatschte ein gewaltiger Ast auf den Boden. Peter – der nun einen riesigen Schreck bekommen hatte, blieb wie angewurzelt stehen. „Wurmschwanz! Die Weide weiß genau, wo du bist! Du musst dich bewegen, sonst bist du nichts anderes als Apfelmus!", rief James gedämpft. Die kleine Ratte im hohen Gras schien tief durchzuatmen. Dann rannte sie los, genau auf die Wurzel zu, die den Baum lähmte. Sie biss mit ihren scharfen Zähnen in die Knolle und sofort gefror jede Bewegung des Baumes.

„Jetzt aber schnell!", sagte Sirius mit einem kurzen Blick auf den Nachthimmel. Der Mond war noch nicht hervorgekommen, es würde allerdings nicht mehr lange dauern. Peter verwandelte sich blitzschnell wieder in seine menschliche Form zurück und lief mit den anderen den langen Tunnel zur Hütte entlang. Kurz bevor sie die Falltür zur Hütte öffneten, sahen sich kurz an. „Seid ihr bereit?", fragte James und die anderen beiden nickten.

Anstelle der bekannten Gesichter standen nun ein schwarzer Hund, ein Hirsch und eine Ratte im Erdgeschoss der Hütte. Remus hatte sich anscheinend noch nicht verwandelt, daher tapsten sie die Treppe hoch, um ihn zu suchen. Ein Lächeln fuhr über Remus Lippen, als der schwarze Hund sich neben ihn auf das große Bett legte, was in der Mitte des Raumes stand. „Seid ihr euch wirklich sicher?", fragte Remus, als er das erste Kribbeln in den Fingerspitzen spürte. Ein Bellen durchfuhr die stille Nacht.

Als die Jungen den Mondschein durch das Fenster fallen sahen, wussten sie, dass die Zeit gekommen war. Nun gab es kein Zurück mehr. Sie sahen, wie sich Remus Augen – die sonst so wunderschön warm waren – in ein kaltes gelb veränderten. Er warf seinen Freunden noch einen letzten Blick zu, bevor das Biest Remus Körper völlig übernahm. Seine Haut spannte sich über die Knochen, alles in seinem Körper knackte. Tatze wimmerte kläglich, er tippelte nervös von einer Stelle zur anderen. Die Kleidung riss von Remus Leib ab und dann stand er vor ihnen – bedrohlich, Zähne fletschend.

Die drei Animagi warteten ab – keiner wusste, was nun passieren würde. Der Werwolf vor ihnen schien sich zu beruhigen, er legte seinen Kopf schief und stellte alle vier Pfoten auf dem Boden ab. Nun wagte Krone es, einen Schritt nach vorn zu machen. Moonys Kopf drehte sich innerhalb einer Millisekunde zu dem Hirsch, der gerade ein Bein bewegt hatte. Tatze und Krone waren bereit, den Werwolf anzugreifen, falls etwas geschehen sollte, doch alle blieben ruhig. Der gewaltige Werwolf heulte einmal den Mond an und begann dann, leicht von einem Fleck zum anderen zu springen. Tatze entspannte seine Haltung und machte Moony nach. Er bellte einmal laut und sofort wurden Moonys Bewegungen wilder und größer.

Er tollte durch den Raum, spielte geradezu mit den drei Animagi. Wurmschwanz musste sehr darauf aufpassen, nicht von den gewaltigen Pfoten der anderen zerquetscht zu werden. Moony sprang über das Bett und jagte die anderen spielerisch. Einen nach dem anderen schubste er zu Boden und sprang über sie. Tatze bellte vor Freude auf und jagte nun Moony.

Die vier Jungen tollten die ganze Nacht lang herum und als der Mond langsam verschwand, spürten sie, wie müde sie eigentlich waren. Krone war der erste, der sich auf das große Bett legte. Wurmschwanz folgte kurz danach. Sie kuschelten sich zusammen und schliefen schnell ein. Tatze wollte gerade zu seinen Freunden, als er sah, wie Moony am Fenster saß und mit den scharfen Krallen am Fensterrahmen kratzte. Der schwarze Hund legte seinen Kopf schief und tippelte sofort zu dem Werwolf, als er das klägliche Wimmern vernahm. Er setzte sich zu ihm und rieb seinen Kopf an dem des Werwolfs. Sofort beruhigte sich auch Moony und richtete seinen Blick nun auf Tatze, der ihn mit riesigen Augen anschaute. Tatze bellte so leise, wie er nur konnte und wies Moony an, ihm zu folgen. Die beiden gingen gemeinsam zu den anderen beiden und kuschelten sich auf dem Bett ein. Es dauerte eine Zeit bei Moony, bis er eingeschlafen war, doch es war die friedlichste Verwandlung, die er jemals erlebt hatte.

Als er am nächsten Morgen aufwachte, lag Remus in einem Knäuel von verschiedensten Tieren. Der Hirsch streckte die langen Beine aus und öffnete langsam die Augen. „Guten Morgen.", sagte Remus mit einem Lächeln auf den Lippen, doch als Antwort bekam er nur ein halb-waches Röhren. Remus musste sofort lachen und auch Krone schien etwas wie Laschen von sich zu geben.

Als James wieder in seiner gewohnten Gestalt auf dem Bett lag, wachten auch die anderen auf. Peter wartete keine Sekunde, um sich zurückzuverwandeln, doch Tatze schien, als würde er am liebsten für immer in dieser Gestalt bleiben.

„Du musst wieder zu dir werden, bevor wir zum Schloss gehen!", grinste James und schüttelte den Kopf. „Wieso denn? Es ist so friedlich, wenn er nicht alle zwei Minuten irgendein Drama macht!", lachte Remus und kraulte dem schwarzen Hund den Kopf. Er lautes Bellen folgte sofort, was die Jungen nur noch mehr zum Lachen brachte. „In etwa zehn Minuten wird Frank aufwachen und wir wollen nicht, dass vier von sieben Betten im Schlafsaal leer sind!", warnte James und Peter und Remus ließen ein Seufzen hören. „Spaßverderber.", stichelte Peter und kassierte einen Stoß mit dem Ellenbogen von James.

Es dauerte seine Zeit, bis James Tatze davon überzeugt hatte, als Sirius das Schloss zu betreten, doch schlussendlich ließ er sich mehr oder weniger überzeugt darauf ein. Als sie die Hütte verlassen und den Tunnel durchquert hatten, standen sie endlich wieder an der frischen Luft. Remus blieb etwas Abseits des Schlosses stehen. „Ich wollte euch danken. Ihr riskiert so unglaublich viel für mich und ich kann nicht begreifen, wie ich solche Freunde wie euch überhaupt verdient habe!", sagte er und nahm seine drei besten Freunde auf der ganzen Welt fest in den Arm. „Versprecht mir, dass wir für immer zusammenbleiben. Ich will mit euch die Schule beenden. Ich will mit euch die erste WG gründen. Ich will mit euch auf Hochzeiten feiern. Ich will mit euch bis Mitternacht im Wohnzimmer sitzen und Berufe aussuchen. Ich will eure Kinder aufwachsen sehen. Ich will mit euch Tee trinken, wenn wir achtzig sind und auf diese Zeit zurückblicken."

James nickte. „Genau so soll es sein. Genau so!", strahlte er müde. Für eine Weile blieben sie in diesem wunderbar friedlichen Moment, genossen die letzten Momente der Nacht, bevor sie zurück in das Schloss gingen, wo sie Remus in den Krankenflügel brachten und Sirius, James und Peter für ein paar letzte Stunden in ihre warmen Betten schlüpften.

Die Rumtreiber - die ganze GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt